Finanzmarkt- und Konzernmacht-Zeitalter der Plutokratie unterstützt von der Mediakratie in den Lobbykraturen der Geld-regiert-Regierungen in Europa, Innsbruck am 29.04.2016
Liebe® Blogleser_in,
Bewusstheit, Liebe und Friede sei mit uns allen und ein gesundes sinnerfülltes Leben wünsch ich ebenfalls.
Aus dieser Quelle zur weiteren Verbreitung entnommen: http://www.free21.org/antikriegtv-im-gespraech-mit-jochen-scholz/
Jochen Scholz: Ich sage erst einmal etwas zu meiner Person. Ich bin ja bekanntlich 38 Jahre in der Luftwaffe gewesen und bin im Jahre 2000 in Pension gegangen. Und ich war in dieser Zeit insgesamt 12 Jahre lang in NATO-Gremien und auch 6 Jahre in NATO-Stäben tätig und die letzten 6 Jahre meiner Dienstzeit auch im Verteidigungsministerium. Ich habe damals insbesondere die Situation auf dem Balkan hautnah mitbekommen. Und ich bin heute – ja was bin ich heute? – ein freischwebender politischer Mensch, der sich für die aktuellen Geschehnisse interessiert und der versucht, sich ein Bild zu machen über die Ereignisse und die Ereignisse versucht richtig einzuordnen in das Gesamtgeschehen in dieser Welt. Derzeit schreibe ich an einem Buch über das amerikanische Jahrhundert und da passt die aktuelle Lage in der Ukraine und Europa, auf diesem großen Kontinent überhaupt, das passt natürlich sehr gut hinein in diese Geschichte.
Antikrieg TV: Sie haben einen Brief an Präsident Putin verfasst. Wie ist die Idee dazu zustande gekommen, und gab es mittlerweile Reaktionen darauf?
Jochen Scholz: Also der Brief; ich habe ihn zwar geschrieben, aber die Idee entstand in meinem erweiterten Netzwerk von einer Person, der die Rede von Putin am 18. März vor der Staatsduma gehört hatte und gesagt hat: ‚Wir sollten uns vielleicht überlegen, auf den Appell Putins zu reagieren.‘ Er hat ja speziell die Deutschen angesprochen, er hat ja um Verständnis gebeten speziell für das, was er da auf der Krim gemacht hat; vor dem Hintergrund der positiven Rolle, welche die Sowjetunion bei der Wiedervereinigung 1989/90 gespielt hat. Und so ist dieser Brief zu Stande gekommen. Der ist mittlerweile von sehr vielen Bloggern und in Online-Foren aufgriffen worden, nicht nur bei uns hier in Deutschland, sondern auch in der Ukraine und in Russland. Und die Zuschriften – soweit ich das verfolgt habe – sind etwa zu 80% positiv. Es gibt viele Menschen, die möchten heute auch noch unterschreiben, aber das lässt sich halt einfach jetzt nicht mehr darstellen.
Antikrieg TV: Wie schätzen Sie die Entwicklung der NATO im Bezug auf die Ost-Erweiterung ein?
Jochen Scholz: Es gab ja in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen längeren Artikel dazu, zu der Frage: Was ist Russland bzw. der Sowjetunion damals versprochen worden und was nicht. Da gibt es die widersprüchlichsten Darstellungen zu den Ereignissen, aber man muss wahrscheinlich ein bisschen tiefer graben. Gorbatschow sprach schon sehr früh, Ende der 80er Jahre, von dem gemeinsamen Haus Europa. Und daraus kann man ja doch entnehmen, welche Vorstellung er hatte für die künftige Entwicklung. Und da ist er wohl offensichtlich davon ausgegangen, dass Russland zusammen mit den westeuropäischen Staaten und natürlich auch den Vereinigten Staaten, eine wie immer geartete gemeinsame Sicherheits- und vielleicht auch ökonomische Architektur auf diesem großen Kontinent schaffen würde. Und von daher hat er die offensichtlich gemachten Versprechungen von Seiten des Westens in dieses Konzept gedanklich wieder eingebaut.
Ich beziehe mich, wenn ich eine Quelle zitiere, immer auf den ehemaligen US-Botschafter in Moskau zu dieser Zeit. Der war von 1987-91 Botschafter in Moskau und hat also die gesamten Gespräche natürlich persönlich miterlebt, auch die persönlichen Begegnungen zwischen Bush und Gorbatschow oder zwischen Baker und Gorbatschow. Und der hat in der Washington Post am 14. März 2014 einen Artikel geschrieben unter der Überschrift: ‚Der Westen hat Russland seit der Wende als Verlierer behandelt.‘ Dort schreibt er noch einmal ganz klar hinein, dass die Vereinigten Staaten Gorbatschow die Zusage gegeben haben, dass sie keinen Gewinn für sich herausschlagen würden aus dem sich auflösenden sowjetischen System und kein Gewinn daraus ziehen würden, dass die Sowjetunion bereit war, ihr Truppen aus Deutschland abzuziehen. Das ist eigentlich eine ziemlich deutliche Aussage. Da muss man jetzt gar nicht fragen: Heißt das keine NATO-Osterweiterung? Sondern wenn jemand sagt: Wir wollen keinen Gewinn daraus, dass ihr euch zurückzieht; dann gehört da natürlich die Frage der NATO-Osterweiterung hinein. Das ist natürlich ein Gewinn für den Westen gewesen – keine Frage. Ich glaube, dieser Mann hat keinerlei Anlass heute irgendetwas zu erzählen, was nicht den Tatsachen entspricht.
Wir haben ja dann auch gesehen, dass diese NATO-Osterweiterung so richtig an Fahrt gewonnen hat unter Präsident Clinton. Nicht Vater Bush hat sozusagen sein Versprechen relativiert, sondern der Nachfolger Clinton hat sich nicht an diese Dinge gehalten. Und er war ja auch der Präsident als die NATO ihr 50-jähriges Jubiläum feierte 1999 mitten im Kosovokrieg und dort eben weitere Staaten in die NATO mit aufgenommen wurden. Das hat Präsident Clinton gemacht. Und da muss man sich einfach einmal in die Situation Russlands versetzen und den Blick von Osten nach Westen werfen. Dann wird man vielleicht verstehen, wie so etwas empfunden wird, wenn also ein Staat nach dem anderen, der früher zum Warschauer Pakt System gehörte bis hin zu Staaten, die früher selber zur Sowjetunion gehörten, die baltischen Staaten zum Beispiel, NATO-Mitglieder werden.
Dann muss man sich einmal fragen: Was denkt so ein Land? Was denkt die politische Klasse? Was denkt die Bevölkerung über so eine Ausweitung? Vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund, dass die NATO ja in dieser Zeit der Erweiterung oder der Westen insgesamt, nicht gerade pazifistisch aufgetreten ist in der Welt. Also den Kosovokrieg hatten wir. Wir hatten den Irakkrieg. Wir hatten den Afghanistankrieg. Und die Amerikaner ja zugleich mit der Osterweiterung der NATO ihren Raketenabwehrschirm über Osteuropa aufgebaut haben. Und dieser Raketenabwehrschirm der wurde immer verkauft als Maßnahme gegen iranische oder gegen Raketen aus Nordkorea, die Europa bedrohen könnten. Das heißt, gegen iranische Raketen, die es noch gar nicht gibt, vor allen Dingen keine Atombomben gibt und noch keine atomar bewaffnete Raketen gibt. Das klingt nicht besonders glaubwürdig. Und wir wissen inzwischen ja auch über amerikanische Analysen von amerikanischer Politologen, dass dieser Raketenabwehrschirm ganz anderem Zwecke dient, nämlich dem Zweck das russische Erstschlagspotenzial zu zerstören und damit auch die russischen atomaren Kräfte zu neutralisieren.
Da gibt es einen schönen Artikel im Foreign Affairs aus dem Jahre 2007 ‚The end of MAD‘. Also MAD heißt Mutual Assured Destruction. Da kann man das wunderschön nachlesen, diese Analyse. So etwas wird natürlich in Moskau zur Kenntnis genommen, solche Absichten. Wobei ich hier noch einfügen muss: Diese Analyse dieser zwei amerikanischen Politologen stellt natürlich nur das Potenzial dar und sagt nichts über die wahren Absichten. Also die unterstellen ihrer Regierung nicht, dass sie das ernsthaft vorhätten, aber sie sagen: ‚Wenn ich so etwas mache und den Eindruck erwecke, ich neutralisiere damit ein Nuklearpotenzial, dann ist das natürlich ein riesiges Erpressungsinstrument für die amerikanische Politik gegenüber Russland.‘ Und diese ganze Vorgeschichte muss man nun übertragen auf die Situation in der Ukraine. Und da hat Putin – aus meiner Sicht – schlicht und einfach gesagt :‘Wenn jetzt also auch noch die Ukraine perspektivisch in die NATO aufgenommen werden soll, dann haben wir eine direkte Grenze mit NATO-Staaten. Und das wollen wir nicht. Wir wollen nicht direkt vor unsere Haustür weitere Raketensysteme stationiert sehen.‘ Und deswegen hat er die Notbremse gezogen. So einfach sehe ich das als defensive Maßnahme. Es gab natürlich eine weitere Überlegung, als wir diesen Brief verfasst haben. Wir wollten auch der russischen Bevölkerung zeigen, dass das, was sie möglicherweise tagtäglich aus westlichen Medien über diesen Konflikt lesen, nicht der Mehrheitsmeinung der Deutschen entspricht. Man muss sich ja auch mal in die Situation sowohl der russischen Bevölkerung in Russland als auch der vielen Russen, die hier in Deutschland leben. Da gibt es ja eine ganze Menge, nicht nur in Berlin, die täglich diesem Bombardement der westlichen Sicht ausgesetzt sind. Und denen wollten wir einfach einmal zeigen, dass ein signifikanter Teil der Deutschen durchaus anders denkt und deswegen haben wir ja auch hingewiesen auf die aktuellen Umfragen zu diesem Thema.
„Es gibt nicht den Westen und die westlichen Interessen, sondern es gibt ganz grob gesehen einmal das US-Interesse und es gibt ein europäisches Interesse. Wobei das europäische Interesse nochmal in sich möglicherweise differiert.“
Denn das muss man ja vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit einbeziehen. Ich meine, wir Deutschen haben Russland 1941 überfallen und mit den entsprechenden Konsequenzen. Den größten Blutzoll dieses Krieges hat die Sowjetunion getragen bzw. die russische Bevölkerung getragen. Deswegen war es für uns wichtig, dieses Signal zu geben: Das, was ihr in deutschen Medien lest, entspricht nicht der Mehrheitsmeinung der Deutschen.
Antikrieg TV: Glauben Sie, dass in der Ukraine ein Unterschied zwischen den europäischen und den US-Amerikanischen Interessen besteht?
Jochen Scholz: Ja, das ist für mich ganz eindeutig. Es gibt nicht den Westen und die westlichen Interessen, sondern es gibt ganz grob gesehen einmal das US-Interesse und es gibt ein europäisches Interesse. Wobei das europäische Interesse nochmal in sich möglicherweise differiert. Wenn man das Gespräch der Victoria Nuland mit ihrem Botschafter in Kiew sich noch einmal anhört – das war Mitte Februar oder so – dann wird es ja sehr deutlich, dass die US-Interessen mit den europäischen Interessen und Aktivitäten der Europäischen Union in Kiew oder in der Ukraine nicht kongruent waren. Deswegen kam ja auch diese Bemerkung mit ‚Fuck the EU‘, also ‚Scheiß EU‘. Die Amerikaner wollten einfach nicht, dass die EU dort in ihre – wie sie es verstehen – Angelegenheiten sich einmischt. Es sei denn, sie hätten auf der gleichen Linie agiert.
Und das war ja nicht der Fall, wie wir gesehen haben dann in den Aktivitäten des Weimarer Dreiecks, also der drei Außenminister des Weimarer Dreiecks vom 21. Februar. Das Abkommen hat ja keine zwölf Stunden gehalten, dann war es sozusagen zermalmt worden.
Die US-Interessen in dieser Region lassen sich am besten mit einem Bild beschreiben. Wenn man auf die Webseite des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft klickt, gibt es dort eine Unterkategorie und die heißt East-Forum. Die ist seit 2013 als Webseite präsent und da steht unter diesem East-Forum ein Text für eine gemeinsame Wirtschaftszone von Lissabon bis Wladiwostok. Und das ist genau der Punkt, um den es hier geht: Diese gemeinsame Wirtschaftszone, dieser gemeinsame Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok, der ja auch Putins Vorstellung ist, der soll verhindert werden. Darum geht es. Insofern sind die US-Interessen durchaus anders als die der Europäer, aber eben auch durchaus anders als die von signifikanten Teilen der deutschen Industrie. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, der ja auch im Petersburger Dialog eine gewisse Rolle spielt und im Deutsch-Russischen Forum eine gewisse Rolle spielt, der schaut natürlich weiter in die Zukunft und schaut sich an, wo denn die Zukunft der westeuropäischen Industrie liegt; nicht nur der deutschen, sondern auch der westeuropäischen insgesamt. Und die liegt sicherlich in einem riesigen Raum, der ökonomisch unterentwickelt ist und der damit große Chancen bietet. Und wenn ich mir den Besuch von Siemensvorstandsvorsitzenden Kaeser in Erinnerung zurückrufe, der wenige Tage nach den Ereignissen auf der Krim bei Putin war und dafür im Zweiten Deutschen Fernsehen versucht wurde zu naja; man hat versucht – nicht man, sondern Herr Kleber – ihn in inquisitorischer Manier dort also vorzuführen. Und Kaeser hat ganz klar gesagt: ‚Die Firma Siemens ist seit 160 Jahren in Russland. Und die hat schon viele Stürme überstanden und sie wird auch dort bleiben.‘ Das ist ein klares Signal. Und da sieht man dann die unterschiedliche Interessenlage zwischen den USA und der Europäischen Union. Wobei ich noch einmal differenziere: Es gibt sicherlich bei den Mitgliedern der Europäischen Union auch unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man künftig mit Russland umgeht.
„Es ist nicht der Westen, der hier steht, gegenüber Russland, sondern ein durchaus gespaltener Westen, der Russland gegenübersteht. Und in dem Zusammenhang will ich vielleicht auch etwas sagen zu der Vorstellung von Putin, der ja diesen Begriff geprägt hat des gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok.“
Es wird ein Unterschied sein, ob man einen deutschen Politiker fragt oder ob man einen Dänen, einen Holländer – ich nenne jetzt nur Beispiele – oder einen Polen fragt. Polen hat natürlich mit Russland historische Probleme, die auch verständlich sind. Dänemark und Holland sind eher – na sagen wir einmal – anglophil und in ihrer Orientierung Richtung England und auch USA ausgerichtet. Und da ergeben sich natürlich auch Schwierigkeiten für die deutsche Politik, dort zu einer gemeinsamen abgestimmten Haltung in diesem Konflikt zu kommen. Also insofern ist es ein bisschen komplizierter: Es ist nicht der Westen, der hier steht, gegenüber Russland, sondern ein durchaus gespaltener Westen, der Russland gegenübersteht. Und in dem Zusammenhang will ich vielleicht auch etwas sagen zu der Vorstellung von Putin, der ja diesen Begriff geprägt hat des gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok. Also zunächst einmal 2010 in der Süddeutschen Zeitung in einem Gastbeitrag kurz vor dem Deutsch-Russischen Forum, dem Treffen. Und dann bei seinem Amtsantritt 2012, als er seine jetzige dritte Amtszeit angetreten hat, ist er in seiner Antrittsrede nochmal darauf eingegangen. Und dieser gemeinsame Wirtschaftsraum muss natürlich gebaut werden und die Bausteine können heißen Europäische Union und Eurasische Union, also das, was Putin vorschwebt. Diese Eurasische Union wird diffamiert im Westen als imperialistischer Versuch, die Sowjetunion im neuen Gewande wieder aufzubauen. Ich meine, das ist alles grober Unfug. Diese Eurasische Union soll nach dem Vorbild der Europäischen Union zunächst einmal einen gemeinsamen Markt schaffen und dann gemeinsame politische Institutionen damit sie dann auf gleicher Augenhöhe mit der Europäischen Union zusammenarbeiten, kooperieren können. Das ist das Ziel. Eben um diesen großen Wirtschaftsraum herzustellen, der vielleicht irgendwann auch einmal ein großer gemeinsamer politischer Raum wird.
Antikrieg TV: Was wären die Konsequenzen, wenn sich die amerikanischen gegenüber den europäischen Interessen durchsetzen?
Jochen Scholz: Ich meine, natürlich werden die Amerikaner – was heißt natürlich? Die USA werden, weil sie ihren Anspruch nicht aufgegeben haben bisher, die Welt zu dominieren in ihrem Sinne; also ökonomisch, kulturell, wirtschaftlich. Weil sie diesen Anspruch immer noch nicht aufgegeben haben, werden sie natürlich versuchen, eine solche Entwicklung zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum auf diesem riesigen Doppelkontinent zu verhindern. Nur muss man sich einmal fragen: Mit wie viel Aussicht auf Erfolg ist so etwas überhaupt zu machen? Kluge US-amerikanische Analytiker wie Chalmers Johnson, der leider verstorben ist, der hat schon vor zehn, zwölf Jahren von einer Überdehnung des American Empire gesprochen. Und er hat gesagt: ‚Wir sollten lieber unsere Basen weltweit dicht machen und die Mittel in die Infrastruktur in den USA, in das Bildungssystem, in das Gesundheitssystem stecken, weil das ein Irrweg ist. Wir sind völlig überdehnt.‘ Und das ist genau die Situation in der sich die USA befinden. Sie können gegen die aufstrebenden ökonomischen Mächte, insbesondere China, da haben sie keine konstruktiven Mittel mehr um denen zu begegnen oder das etwa zu verhindern. Insofern sind alle Versuche, solche Prozesse zu stören, längerfristig zum Scheitern verurteilt.
Der chinesische Präsident war vor wenigen Tagen, also vor rund zwei Wochen, auf Europareise. Und eine seiner Äußerungen hier in Berlin bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin war, dass er sagte: ‚China und Deutschland sind ja in einer vergleichbaren Situation. Wir sind an einem Ende im Osten und Deutschland ist am anderen Ende im Westen.‘ Was meint er damit? Nämlich den riesigen Raum, der da zwischen uns liegt.
„Die USA werden, weil sie ihren Anspruch, die Welt ökonomisch, kulturell und wirtschaftlich zu dominieren, bisher nicht aufgegeben haben, versuchen, die Entwicklung zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum auf diesem riesigen Doppelkontinent zu verhindern. Nur muss man sich einmal fragen: Mit wie viel Aussicht auf Erfolg ist so etwas überhaupt zu machen?“
Und vor dem Hintergrund dieser Bemerkung muss man sich vergegenwärtigen, wo er denn war in Deutschland, wo er Station gemacht hat. Und einer der ganz wichtigen Termine für ihn war Duisburg. Da fragt jeder: Duisburg? Das ist eigentlich bisher nicht bekannt dafür, eine weltpolitische Rolle zu spielen. Nun ist in Duisburg der größte Binnenhafen Europas am Rhein und damit eine Verteilerstelle für Logistik, für Güter. Und der ist deswegen nach Duisburg gefahren, weil dort nach 16 Tagen Fahrt ein Zug ankam, nämlich ein Gütertransport aus China, der 16 Tage unterwegs war. Und diese Eisenbahnlinie, die dort bisher benutzt wird; die Trassen, die bisher benutzt werden, die werden in einem Projekt, das bereits begonnen wurde, ersetzt durch eine Hochgeschwindigkeitsgüterbahn. Und die Chinesen nennen das ‚Die neue Seidenstraße‘. Und das bedeutet, dass ein Großteil des Wirtschaftsaustauschs zwischen Westeuropa und China und natürlich auch den Staaten, die dazwischen liegen, über diese Trasse laufen wird. Und damit nicht mehr über den Seeweg. Da klingeln natürlich in Washington alle Alarmglocken, denn dann kann man die Meerengen noch so gut kontrollieren. Wenn sie keine signifikante Rolle mehr spielen für den Gütertransport, dann ist die Fähigkeit, die Meerengen zu kontrollieren, sozusagen marginalisiert und hat keine Bedeutung mehr. Das sind die Entwicklungen, die unwiderruflich sind. Die werden kommen. Und dann können sie natürlich Störfeuer und Störfeuermanöver machen, aber langfristig werden sie diese Entwicklung nicht verhindern können. Und deswegen ist – das ist natürlich Spekulation – die Frage ist halt, ob die Einsicht bei den amerikanischen Eliten da ist, dass sie diese Entwicklung nicht mehr stoppen können. Und dass sie daraus ihre Schlüsse ziehen und sagen: ‚Wir müssen uns vielleicht insgesamt geopolitisch anders orientieren, anders aufstellen.‘ Etwa in der Form, dass man sagt: ‚Okay, unser Führungsanspruch, unser Dominanzanspruch in der Welt lässt sich nicht mehr realisieren. Also müssen wir Plan B entwickeln: Wie können wir uns in dieses neue entstehende System in der Welt einordnen als vielleicht Gleicher unter Gleichen?‘ Aber so weit ist die amerikanische Politik noch nicht, sondern sie glaubt immer noch, dass sie die Welt dominieren kann. Und ein Mittel um die Welt zu dominieren – neben dem Militär natürlich – ist eben der Dollar als Weltleitwährung, der immer noch als Weltleitwährung akzeptiert ist. Und Weltleitwährung heißt ja, dass alle wichtigen Güter in Dollar gehandelt werden zwischen den Staaten. Nur dieser Dollar gerät in seiner Funktion als Weltleitwährung aber sehr stark unter Druck momentan, weil es zunehmend Abkommen gibt zwischen Staaten, die den Dollar im gegenseitigen Handel vermeiden. Der russische Zentralbankchef hat vorige Woche gesagt auf die Frage, ob denn das so sinnvoll sei, wenn Russland mit Kasachstan Geschäfte macht, dass dann die Rechnung über New York läuft. Und da hat er gesagt: ‚Sie haben Recht. Es ist eigentlich sehr merkwürdig.‘ Das sagt man nicht so dahin. Da sind Pläne da und Ideen da, den Dollar in dieser Funktion zu umgehen indem man Geschäfte in eigener Währung macht oder einer anderen Währung macht als den Dollar. Wenn diese Entwicklung weitergeht – und ich vermute, dass sie weitergehen wird. Das werden wir im Mai sehen, wenn Präsident Putin in Peking ist. Da werden ja einige Abkommen unterschrieben, die ja bereits in Vorbereitung sind. – dann wird man ja sehen, dass die künftigen Geschäfte zwischen Russland und China ebenfalls nicht mehr über den Dollar ablaufen.
„Es gibt Anzeichen dafür, dass die Rolle des Dollars als Weltleitwährung, die ja seit 1944 besteht, zunehmend unter Druck gerät. Und wenn das der Fall ist, dann können die Amerikaner, außer mit dem Militär, keinerlei Dominanz mehr ausüben.
Und dann darf man nicht vergessen, dass die sogenannten BRICS-Staaten ja bereits so etwas wie eine Konkurrenz zum Internationalen Währungsfonds aufgelegt haben, wo konkret bereits Einlagen einbezahlt wurden; also eine Clearingstelle für die Geschäfte innerhalb der BRICS-Staaten. Und das sind alles Anzeichen dafür, dass die Rolle des Dollars als Weltleitwährung, die ja seit 1944 besteht, zunehmend unter Druck gerät. Und wenn das der Fall ist, dann können die Amerikaner, außer mit dem Militär, keinerlei Dominanz mehr ausüben.
Diese Entwicklung sieht man natürlich in den Vereinigten Staaten, die sich da anbahnt, und man ist bisher nur sozusagen destruktiv; man handelt also nur destruktiv. Man hat keine konstruktive Idee, wie man mit diesen Entwicklungen auf eine Weise umgeht, die natürlich nur heißen kann: Kooperation. Aber diese Einsicht ist bei den amerikanischen Eliten offensichtlich nicht vorhanden.
Antikrieg TV: Besteht dadurch die Gefahr, dass diese Situation in einem militärischen Konflikt mündet?
Jochen Scholz: Also die Gefahr, dass man in solch einer Situation, wo einem die Felle davonschwimmen. Man muss das ja noch einmal sozusagen zeithistorisch, zeitgeschichtlich zurückverfolgen bis zur Zeit der Wende. Da war ja das Gefühl da: Der Westen war der Gewinner des Dritten Weltkrieges gewesen; also der Kalte Krieg als Dritter Weltkrieg. Den haben wir gewonnen. Dann sprach Fukuyama vom Ende der Geschichte. Und dann kam Ende 2000 ein Papier heraus von Paul Wolfowitz vom American Enterprise Institute namens ‚Rebuilding America‘s Defenses‘. Das war nicht in diesem Jahr entstanden, sondern es war ein Papier, das in den 90er Jahren Schritt für Schritt entwickelt worden ist. Da war ja das Gefühl da bei diesen neokonservativen Leuten: Also jetzt haben wir es geschafft. Jetzt beherrschen wir die Welt und uns kann keiner mehr. Das war ein gewaltiger Trugschluss. Und die Geschwindigkeit mit der sich China im Moment entwickelt ökonomisch, die ist ja atemberaubend. Was einfach damit zusammenhängt, dass China eben 150 Jahre technologische Entwicklung überspringen konnte. Weil westliche Firmen in China investiert haben und China gesagt hat: ‚Okay, das ist schön. Wir machen gute Geschäfte miteinander, aber wir wollen auch Technologietransfer haben. Wir sind hier nicht die verlängerte Werkbank westlicher Unternehmen, sondern wir wollen selber von diesen Technologien, die im Westen entwickelt worden sind – in Europa und in Amerika – profitieren.‘ Das hat diese Geschwindigkeit erzeugt, mit der die chinesische Wirtschaft aufgestiegen ist. Und die Gefahr besteht natürlich, dass solche – ich nenne sie immer – solche ‚Warrior‘, diese Neocons. Ich habe einen erwähnt – Paul Wolfowitz; Aber es gibt ja dutzende von anderen. Victoria Nuland gehört auch dazu und ihr Mann Robert Kagan und verschiedene andere, die möglicherweise auch bereit sind, massiv mit dem Feuer zu spielen. Das will ich überhaupt nicht ausschließen.
Und wenn man sieht mit wem Präsident Obama umgeben ist als Berater: Das sind überwiegend Leute aus dieser Richtung. Also Kerry ist sicherlich kein Neocon, aber sein Einfluss auf die amerikanische Politik ist auch sehr begrenzt. Viel größeren Einfluss hat eine Susan Rice, die nationale Sicherheitsberaterin ist. Und das merkt man dann auch an seinem Agieren. In der New York Timeswar am 20. April ein Artikel drin, da wurde berichtet, dass Obama sich entschlossen habe, sich George F. Kennan zu reloaden, also das Containment-Prinzip neu anzuwenden auf Russland, um Russland in der Welt zu isolieren.
„Ich erinnere daran, dass Frankreich und Deutschland ihr Veto eingereicht haben als 2008 die Frage anstand, ob Georgien in die NATO aufgenommen werden soll. Und auch bei dem Thema Ukraine in die NATO sind also Frankreich und Deutschland durchaus dagegen. Aber es gibt auch kleinere europäische Staaten in Osteuropa, die zum Beispiel diese Sanktionen nicht mitmachen wollen.
Das ist natürlich eine völlige Illusion. Aber daran sieht man, wes‘ Geistes Kind die Berater von Obama sind, wenn sie ihm solche Ideen nahe bringen können und er dann Bereitschaft zeigt auf so einem Wege voranzugehen. Das ist völlig zum Scheitern verurteilt. Russland ist nicht international zu isolieren. Vor allen Dingen nicht, wenn China nicht auch mitmachen würde bei dieser Isolation. Und darauf kann man Gift nehmen, das China dabei nicht mitmacht.
Also die Gefahr, dass man militärisch zündelt, die ist bei so einer Denkweise immer gegeben. Die Frage ist dann eben, wie sich die europäischen Partner im nordatlantischen Bündnis NATO dazu verhalten. Da bin ich aber nicht ganz so pessimistisch, denn ich erinnere daran, dass Frankreich und Deutschland ihr Veto eingereicht haben als 2008 die Frage anstand, ob Georgien in die NATO aufgenommen werden soll. Und auch bei dem Thema Ukraine in die NATO sind also Frankreich und Deutschland durchaus dagegen. Aber es gibt auch kleinere europäische Staaten in Osteuropa, die zum Beispiel diese Sanktionen nicht mitmachen wollen. Dazu gehört die Slowakei, aber auch Bulgarien und auch Rumänien. Also insofern kann man durchaus auch den ein oder anderen Hoffnungsschimmer sehen. Und Außenminister Steinmeier hat sich ja nun vor zwei Tagen noch einmal deutlich geäußert und gesagt, wir sollten aufhören, die Eskalationsschraube ständig enger anzudrehen. Und auch verbal abrüsten. Da gibt es dann natürlich andere Stimmen, die wir auch kennen. Elmar Brok, den Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, der ein richtiger transatlantischer Scharfmacher ist.
Aber letztendlich glaube ich, dass sich hier in der Bundesregierung die vernünftigen Kräfte durchsetzen werden. Man darf ja nicht vergessen, dass es offensichtlich zwischen Deutschland und Russland belastbare diplomatische Kanäle gibt und zwar seit Jahrzehnten, seit Breschnew-Zeiten, also seit Helmut Schmidt und Breschnew. Das ist mir nochmal klar geworden als der ehemalige verbeamtete Staatssekretär im Verteidigungsministerium unter Helmut Kohl, also in der ersten Regierung Kohl ‚83, Lothar Rühl in der FAZ vor wenigen Monaten darüber geschrieben hat, wie die Situation während des NATO-Doppelbeschlusses und der Nachrüstungsdebatte in Deutschland war. Er berichtete dann, dass nachdem Helmut Kohl sich für den NATO-Doppelbeschluss eingesetzt hatte. Also für die Zuschauer vielleicht nochmal zur Erklärung: Es ging darum, dass die Sowjetunion ihre SS20-Mittelstreckenraketen aufgestellt hatte, die vom Westen als neue Qualität eingeschätzt wurden. Und deswegen die Pershing-2 entwickelt wurde als Gegenmittel, die auch hier stationiert werden sollte in Europa. Man hat dann diesen NATO-Doppelbeschluss gefasst, der da lautete: ‚Wir rüsten nach gegenüber der SS-20, sind aber bereit die wieder abzubauen, wenn die Sowjetunion ihre SS20 auch abbaut.‘ Das ist ja dann auch in Reykjavik zwischen Gorbatschow und Reagan 1986 vereinbart worden. Kurz zurück; ‚83: Dort war dieser Lothar Rühl als Staatssekretär bei einer Diskussion – das schreib er selber in der FAZ – über das Thema und zwar mit hochrangigen sowjetischen Vertretern. Und dort hat er dem sowjetischen Botschafter gesagt: ‚Wissen Sie was, ich lade Ihren Generalstabschef nach Bonn auf die Hardthöhe ein damit wir uns über das Thema ausführlich unterhalten.‘ Und das haben sie gemacht. Und er kam. Der sowjetische Generalstabschef, mitten im Kalten Krieg, kam nach Bonn und dort hat man dann einen Weg gefunden mit diesem Thema moderierend umzugehen und gleichzeitig ständige Generalstabsgespräche vereinbart zwischen dem sowjetischen Generalstab und der Bonner Hardthöhe. Das hat kein Mensch gewusst bisher. Und dann führe ich die Linie weiter über das Verhältnis Genscher und Schewardnadse; also Außenminister Genscher und Außenminister Schewardnadse. Und bis in die jüngste Zeit hinein, als Genscher in Schönefeld, glaube ich, landete; auf dem Flugfeld stand und Chodorkowski dort aus dem Flugzeug stieg. Und dann eben Genscher erzählte im Interview, dass er 2,5 Jahre lang, weil er angesprochen worden war von den Anwälten von Chodorkowski auf seinen alten Kanälen versucht hat – und das ist ja die eigentliche Botschaft – Putin ein mediales Problem abzunehmen, nämlich diesen Fall Chodorkowski, der ja in der Presse gegen ihn gespielt wurde. Und es ist gelungen. Ohne dass irgendjemand davon wusste außer der Bundeskanzlerin und Alexander Rahr, der ihm dabei geholfen hat.
„Die Bundeskanzlerin spricht Russisch und Putin spricht Deutsch. Also ich sehe da nicht so pessimistisch in die Zukunft, was auch die deutsche Haltung angeht. Das Problem für die deutsche Politik ist halt nur, dass die Bundeskanzlerin natürlich in der CDU Rücksichten nehmen muss auf ein bestimmtes Milieu, das transatlantisch orientiert ist. Das einfach damit zusammenhängt, dass die CDU der Träger der Westbindung war nach 1945 und dieses konservative Milieu der CDU transatlantisch vereinnahmt worden ist.“
Also Genscher hatte Alexander Rahr darum gebeten, ihm bei diesem Prozess zu helfen. Das ist gelungen. Also eine große Entlastung für Putin, für die russische Politik und das Thema ist ja auch tot. Chodorkowski interessiert ja auch gar keinen mehr. Das zeigt ja, dass da über die Jahrzehnte dort Kanäle da sind, die auch weiterhin benutzt werden. Und die Bundeskanzlerin spricht Russisch und Putin spricht Deutsch. Also ich sehe da nicht so pessimistisch in die Zukunft, was auch die deutsche Haltung angeht. Das Problem für die deutsche Politik ist halt nur, dass die Bundeskanzlerin natürlich in der CDU Rücksichten nehmen muss auf ein bestimmtes Milieu, das transatlantisch orientiert ist. Das einfach damit zusammenhängt, dass die CDU der Träger der Westbindung war nach 1945 und dieses konservative Milieu der CDU transatlantisch vereinnahmt worden ist. Ich sage das ganz neutral. Das hing von den politischen Verhältnissen ab im Kalten Krieg und von den Institutionen, die man gemeinsam gebildet hat und vielerlei anderen Dingen mehr. Aber das ist genau das konservative politische Milieu in Deutschland, das früher zu Preußens Zeiten und zu Bismarcks Zeiten der Träger der deutsch-russischen Zusammenarbeit war. Es gibt einige aus diesem Milieu, insbesondere ältere Politiker, die diesen Gedanken der deutsch-russischen Verständigung weiterführen. Also Peter Gauweiler zum Beispiel. Seine Rede am Aschermittwoch in Passau beim Politischen Aschermittwoch war ja sehr eindeutig in Gegenwart des russischen Generalkonsuls. Willy Wimmer äußert sich in dieser Richtung, Jürgen Todenhöfer wo immer es geht und insbesondere auch andere ältere Staatsmänner wie Helmut Schmidt, aber auch Helmut Kohl und schließlich auch Gerhard Schröder.
Also da ist schon Bewegung drin in dem Ganzen, aber die Bundeskanzlerin hat natürlich diese Zwänge, dass sie auf der einen Seite in ihrer Partei diese transatlantischen Kräfte hat und auf der anderen Seite innerhalb der Europäischen Union natürlich auch unterschiedliche Interessenlagen hat. Und die deutsche Politik muss ja, weil wir nun einmal das ökonomisch stärkste Land in der EU sind, auf einem Wege der Annäherung an Russland alle Partner in der Europäischen Union mitnehmen. Und das ist nicht einfach. Also der Versuch der drei Außenminister des ‚Weimarer Dreiecks‘ am 21. Februar war ja schon einmal so ein Ansatz. Polen ist da mit dabei gewesen; Sikorski, der polnische Außenminister. Und dieser Ansatz muss auch weiter verfolgt werden. Insofern kann man auch nur an die russische Politik appellieren, sich diesen Schwierigkeiten, die Deutschland hat, bewusst zu werden. Und nicht etwa auch Dinge zu tun, die man lieber nicht tun sollte. Das immer mit einzukalkulieren: Wenn wir das gemeinsame Ziel erreichen wollen, nämlich diesen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok, dann müssen wir all das, was wir tun, diesem Ziel unterordnen.
Antikrieg TV: Spiegelt sich das transatlantische Übergewicht auch in den Medien wieder?
Jochen Scholz: Also in den Medien ist das für mich ziemlich eindeutig, dass die doch eher transatlantisch orientiert sind. Da muss man gar nicht bösen Willen unterstellen, sondern das ist einfach die Prägung der führenden Journalisten. Und wie solche Prägungen zustande kommen hat ja der Uwe Krüger, der an der Uni Leipzig tätig ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Journalistik. Der hat seine Doktorarbeit darüber geschrieben über die Alphajournalisten und ihre transatlantischen Beziehungsgeflechte. Da hat er das sehr schön dargestellt, wie so etwas zustande kommt. Ich kann das an einem Beispiel einmal verdeutlichen: Wenn Sie sich die Entwicklung von Josef Joffe anschauen. Josef Joffe hat als junger Mann bei der Zeit angefangen als Journalist. Er hat in Amerika teilweise studiert. Er ist von der Zeit dann 1985 zur Süddeutschen gegangen und hat dort bis zum Jahre 2000 das Ressort Außenpolitik geleitet, hatte engste Beziehungen zu transatlantischen Kreisen sowohl in Deutschland als auch in den USA, hat zwischendurch auch einmal eine Gastprofessur in Harvard gehabt. Und er hat natürlich in seiner Außenpolitikredaktion der Süddeutschen entsprechend Gleichgesinnte nachgezogen. Und einer der Gleichgesinnten heißt Stefan Kornelius, der heute das Ressort Außenpolitik leitet. Und was das bedeutet, das sieht man ja an der Kommentierung, an der Berichterstattung der Zeit. Das geht ja so weit, dass Redakteure aus dem Bereich internationale Politik oder Außenpolitik wie der Jochen Bittner, dass die in der New York Times deutsche Politik in einer Art und Weise kritisieren, wo ich nur sagen kann: Das ist unterhalb der Gürtellinie. So nach dem Motto: ‚Die Deutschen sind pazifistisch versaut. Die lassen lieber die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen.‘ Das ist so der Tenor gewesen. Und das ist eben nicht nur auf die Zeit und die Süddeutsche beschränkt, sondern das sieht man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung genauso. Also die massiven Versuche, die deutsche Öffentlichkeit so zu beeinflussen, weil sie merken, dass die Bevölkerung mehrheitlich anders denkt und wahrscheinlich auch die Mehrheit ihrer Leser das denkt. Jedenfalls wenn man die Leserzuschriften auf der Onlineseite sieht. Da ist ja auffällig, dass bei dem Thema Ukraine/Russland die Zahl der Zuschriften signifikant höher ist als bei allen anderen Themen. Und etwa 80% der Leute, die da schreiben, das kritisieren was die FAZ dort macht. Gleichwohl versuchen sie immer wieder dagegen anzuschreiben. Und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender da müssen wir uns gar nicht darüber unterhalten, weil dort der Einfluss über die Rundfunk- und Fernsehräte, die ja auf vielfältige Weise mit der Politik und den politischen Parteien verbunden sind. Wo zusammen Politik gemacht wird über die Fernsehsender. Ich kann nur sagen, was der Herr Kleber da veranstaltet hat im ZDF, das war schon absurdes Theater. Und man kann Herr Kaeser nur gratulieren, wie souverän er ihn hat abfahren lassen. Allein die Fragestellung – ich weiß nicht, wer das gesehen hat; das kann man ja im Internet noch einmal aufrufen – so nach dem Motto: ‚Wie können Sie in dieser Situation zu Putin fahren?‘ Dach fragt ein Journalist einen Konzernchef (lacht) eines Weltunternehmens, der natürlich dann logischerweise an seine Geschäfte denkt. Woran denn sonst? Das ist ja der Zweck seiner Firma. Sozusagen nach dem Motto: ‚Wie können Sie in solch einer Situation an Ihre Geschäfte denken?‘ Das ist völlig absurd. Was die Meinungen der Mehrheitsbevölkerung hier in Deutschland wiedergibt, das findet sich dann eben in kleineren Zeitungen: In Der Freitag, in der Jungen Welt, teilweise auch in der taz. Aber deren Einfluss ist natürlich relativ begrenzt und deren Leserschaft ist auch relativ begrenzt.
Antikrieg TV: Was kann man tun, um die Menschen zu informieren, und in politische Prozesse einzugreifen?
Jochen Scholz: Ich glaube, dass die Situation nicht so ist, dass man sehr viele Leute erreichen kann, die jetzt in irgendeiner Weise aktiv werden. Dazu bedarf es immer Anlässe, die sehr viele Menschen berühren und dann eben auch ein eigenes Agieren bewirken können und hervorrufen. Wir hatten ja ein Beispiel 2003 als es um den Irak-Krieg ging. Da waren ja hier in Berlin fast 800.000 Menschen bei dieser Demonstration. Aber natürlich auch nur deswegen, weil die Regierungsparteien SPD und Grüne und die Gewerkschaften dazu aufgerufen haben. Und so eine Situation haben wir noch nicht. Und ich hoffe auch nicht, dass es sich ergibt. Denn das wäre ja wirklich erst der Fall, wenn es zu militärischen Auseinandersetzungen käme. Dann wäre sicherlich so eine Situation da, wo die Menschen sagen: ‚Da müssen wir jetzt etwas dagegen tun.‘ Ansonsten sind die Möglichkeiten des Einzelnen relativ beschränkt. Man kann Leserbriefe schreiben, man kann online sich äußern in den Zeitungen. Man kann natürlich im Bekanntenkreis versuchen, Bewusstsein zu wecken. Die Schwierigkeit ist nur, dass viele Menschen die Zusammenhänge zwischen der Geopolitik, die ich vorhin geschildert habe und den Ereignissen in der Ukraine nicht herstellen können. Weil sie auch die Zeit nicht haben, sich über so etwas zu informieren.
Man muss ja immer wissen: Der Normalbürger hat eine Familie, hat Kinder. Der muss einem Broterwerb nachgehen. Wie viel Zeit bleibt dem eigentlich noch, um sich zu informieren? Also worauf verlässt er sich? Auf das, was ihm in unseren Medien angeboten wird. Und mehr Möglichkeiten hat er in der Regel nicht. Und das ist die Schwierigkeit. Also auch solche Zusammenhänge zu vermitteln. Der Zusammenhang zwischen der neuen Seidenstraße, dem Besuch des chinesischen Präsidenten in Duisburg, den Verabredungen der BRICS-Staaten, den Dollar unter Druck zu setzen als Weltleitwährung oder zu – wie sagt man auf Neudeutsch? – zu bypassen. Diese Zusammenhänge muss man sich ja erst einmal erarbeiten, sonst begreift man nicht, worum es da wirklich geht. Insofern weiß ich nicht, ob die Zeit schon reif ist, dass die Menschen viel machen können. Wir haben es jetzt bei den Ostermärschen gesehen: So überragend und überwältigend war das nicht. Die Menschen gehen dann halt lieber zum Alexanderplatz zu diesem entsetzlichen Rummel dort, der Weihnachten, Ostern, Herbst und zu allen Jahreszeiten immer der selbe ist.
Antikrieg TV: Was für Konsequenzen hätte ein NATO-Beitritt der Ukraine, und könnte durch radikale Kräfte ein Bündnisfall ausgelöst werden?
Jochen Scholz: Der NATO-Bündnisfall – mit Blick auf die Ukraine – der kann nur ausgelöst werden, wenn ein Mitgliedsland von einem Angriff betroffen ist. Die Ukraine ist nicht Mitglied der NATO und wird auch nie NATO-Mitglied werden. Und zwar ganz einfach deswegen, weil in der NATO für einen NATO-Beitritt ein einstimmiger Beschluss aller Mitglieder gefasst werden muss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Deutschland oder Frankreich zustimmen. Also insofern ist die Gefahr, dass die Ukraine als NATO-Mitglied dann zum Mittel eines Konfliktes benutzt wird, die ist relativ gering. Und dann darf man auch nicht vergessen, dass wenn wir von einem Konflikt zwischen NATO und Russland sprechen, noch ist Russland eine Atommacht. Deswegen gelten im Grunde die gleichen Prinzipien des Kalten Krieges, nämlich das Prinzip der Abschreckung. Also der Raketenschirm ist ja noch nicht so entwickelt, dass er jetzt schon geeignet wäre, das russische Potenzial zu neutralisieren. Und so einen Atomkrieg riskiert niemand. Auch ein Wolfowitz nicht. Ich nehme den jetzt nur einmal als Namen, als Beispiel für die Neocons in den USA. Insofern ist auch viel Getöse da, aber in der Realität wird man nicht diesen Schritt gehen um einen Atomkrieg zu riskieren. Das kann man wohl ausschließen. Das hat Chruschtschow 1962 nicht getan auf Kuba, sondern er hat mit Zugeständnissen der USA, von Kennedy damals, den Rückzug angetreten. Also die Zugeständnisse der USA waren der Abbau der Raketen in der Türkei auf westlicher Seite und Chruschtschow hat seine Raketen aus Kuba zurückgezogen, weil beide Seiten gemerkt haben: Das eskaliert und wenn es eskaliert, dann bricht die Hölle los. Daran hat sich ja nichts geändert, wenn zwei große Atommächte sich gegenüber stehen.
Antikrieg TV: Ist damit zu rechnen, dass sich die Sanktionspolitik gegen Russland noch verschärft?
Jochen Scholz: Wenn man jetzt sieht – wenn das der Wahrheit entspricht, was die New York Times dort berichtet hat – neue Containmentpolitik gegenüber Russland. Da hat der Berate ihm gegenüber gesagt: ‚Wir wollen sogar versuchen, China dafür zu gewinnen, für diese Isolation Russlands.‘ Das ist natürlich völlig absurd. Diese Isolation wird nicht gelingen. Und wenn man dann merkt, dass diese Isolation nicht gelingt, was bleibt dann noch? Da muss man sich den Gegebenheiten anpassen. Und eine militärische Eskalation würde zwangsläufig zu einem Atomkrieg führen. Ich glaube, das wollen die schlimmsten Krieger in den USA nicht. Und deswegen bin ich da, was die militärische Seite angeht, relativ gelassen. Auch was die NATO jetzt macht. Wenn wir noch drei oder vier oder fünf Eurofighter in die baltischen Staaten verlegen – Das sind ja Jagdflugzeuge, die machen ‚Airpolicing‘, also die überfliegen den Luftraum, weil die baltischen Staaten keine eigene Luftwaffe habe. Das machen wir eben seit fünf oder sechs Jahren schon. Die deutsche Luftwaffe ist ja auch regelmäßig für ein halbes Jahr dort und macht das, was bei uns unsere Jagdflugzeuge für Deutschland machen, machen die halt für die baltischen Staaten als NATO-Mitglieder, weil die keine eigenen Jagdflugzeuge haben und keine eigene Luftwaffe haben. Aber mehr ist das ja auch nicht. Das sind alles nur so Signale und natürlich auch an die Bevölkerung der baltischen Staaten. Das will ich ja gar nicht ausschließen, dass es dort auch Befürchtungen gibt. Die werden ja auch geschürt. Und um zu sagen: ‚Seid ruhig! Die NATO ist da und schaut nach dem Rechten.‘ Um ein Gefühl der Beruhigung auszulösen. Mehr ist das ja alles nicht. Und wenn die Bundesmarine mit einem Tender namens ‚Emden‘, das ist ja kein Kriegsschiff in dem Sinne. Und diese Übung ist ja eine Minenräumübung in der Ostsee; auf dieser ‚Emden‘ wird ja Operation dieser Übung koordiniert. Das ist ja auch keine aggressive Handlung. Da muss man die Kirche auch ein bisschen im Dorf lassen. Und noch, was da so berichtet wurde, sind die Amerikaner noch nicht mit ihren Kampfbrigaden aus Vicenca und aus Deutschland irgendwo nach Ostpolen verlegt worden. Das sind so Spielchen, die man da macht. Wobei solche Spielchen auch immer ihre Gefahren beinhalten. Wir kennen das: 1914. Die Bündnissysteme und die Automatismen, die da abliefen. Es ist immer ein Spiel mit dem Feuer.
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Aus dem per ÖVP-Amtsmissbräuche offenkundig verfassungswidrig agrar-ausgeraubten Tirol, vom friedlichen Widerstand, Klaus Schreiner
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“Wer behauptet, man braucht keine Privatsphäre, weil man nichts zu verbergen hat, kann gleich sagen man braucht keine Redefreiheit weil man selbst nichts zu sagen hat.” Edward Snowden.