Finanzmarkt- und Konzernmacht-Zeitalter der Plutokratie unterstützt von der Mediakratie in den Lobbykraturen der Geld-regiert-Regierungen in Europa, Innsbruck am 07.09.2016
Liebe® Blogleser_in,
Bewusstheit, Liebe und Friede sei mit uns allen und ein gesundes sinnerfülltes Leben wünsch ich ebenfalls.
Aus dieser Quelle zur weiteren Verbreitung entnommen: Aus dieser Quelle zur weiteren Verbreitung entnommen: https://www.dossier.at/dossiers/oesterreich/der-boulevard-ist-immer-und-ueberall/
Der Boulevard ist immer und überall
Es ist 10.58 Uhr, als ein Mann die Bank betritt. Alarm: Banküberfall! Eine Minute später beginnen Polizisten den Eingangsbereich abzusperren. Sie waren zufällig auf Streife, in der Nähe der Bawag-Filiale auf der Wiener Mariahilfer Straße. Niemand darf mehr hinein, es ist ein Ernstfall: In der Bank werden sieben Menschen als Geiseln festgehalten – umso absurder ist das, was sich an diesem 27. Februar 2007 noch abspielen wird.
Zehn Gehminuten entfernt, im Newsroom der Tageszeitung Österreich, stellt der Journalist Arpad Hagyo gerade einen Artikel über einen medizinischen Kunstfehler fertig. Dann meldet sich der Chronikreporter zum aktuellen Dienst. Der Überfall mit Geiselnahme ist bereits in vollem Gange. „Es gab eine kurze Besprechung mit sechs oder sieben Kollegen. Einer hat darüber referiert, was man zu diesem Zeitpunkt über den Banküberfall wusste“, erinnert sich Hagyo heute. Für die Journalisten ist klar: Es ist kein gewöhnlicher Banküberfall, es heißt, der Mann wolle kein Geld. „Mir ist der Gedanke gekommen: Ich versuche mal, mit ihm zu reden“, sagt Hagyo.
Während einer Geiselnahme? Das hatte es in Österreich schon einmal gegeben: 1993, als ein Journalist der mittlerweile eingestellten Boulevardzeitung Täglich Alles einen Geiselnehmer anruft – das Geiseldrama endet blutig. Hagyos Chefs nicken den Vorschlag ab, er schlägt die Nummer der Bank im Telefonbuch nach und wählt. Zu seiner Verblüffung ist die Leitung offen, Sekunden später hat er den Geiselnehmer am Apparat.
Heute, fast zehn Jahre später, nennt Hagyo das Telefonat und das, was folgen sollte, seine „schlimmste Erfahrung“ bei Österreich – auch wenn er es war, der die Idee dazu hatte. Hagyo blickt nicht gern auf seine Zeit als Journalist bei Österreich zurück. Er ist nicht der Einzige. DOSSIER hat mit fast zwei Dutzend ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen; darüber, wie es ist, bei Österreich, der bundesweit viertgrößten Tageszeitung, zu arbeiten und wie es dazu kommt, dass journalistische Grenzen überschritten werden. Nur wenige wollen wie Hagyo namentlich zitiert werden. Zu groß ist ihre Angst, ihre Karriere zu gefährden, oder davor, was sonst kommen könnte. Viele sind aber bereit, ihre Aussagen vor Gericht zu wiederholen: Sie erzählen, wie Artikel nach den Regeln der Boulevardkunst zugespitzt werden, wie Fakten verdreht und Exklusiv-Interviews erfunden werden. Und sie sprechen von Druck, von gewaltigem Druck. Dem Druck zu liefern: das Interview, das Foto, die Story – ohne Rücksicht auf Verluste.
Dieser Druck kommt bei Österreich aus der Mitte des rund 2.400 Quadratmeter großen Newsrooms in der Friedrichstraße 10, nahe dem Wiener Karlsplatz. Hier sitzen die Chefredakteure, hier sitzt Wolfgang Fellner. Gründer, Eigentümer, Herausgeber, kurz WoFe genannt, der Boss der Zeitung. Ein Vollblutjournalist. Einer, von dem Kollegen sagen, er habe den richtigen Riecher, das Gespür für eine Story – und eine Mission: Zeitungen verkaufen.
Ich wollte eine positive Zeitung machen, für eine Stadt, von der ich das Gefühl habe, dass sie sich positiv entwickelt, dass die Integration zu funktionieren beginnt; dass sie ein rot-grünes Modell ist, was ich spannend finde. Da wollte ich eine positive Zeitung machen. Das gelingt leider nicht jeden Tag, muss ich ehrlich sagen, weil leider auch in Wien viele Dinge sind, die nicht lustig sind: Ärztestreik, Kindergarten-Problem, steigende Kriminalität.
„Ich bring euch alle um“
Für Auflage und Reichweite überschreiten Zeitungen schon Grenzen, seit Kinder Schlagzeilen auf der Straße, dem Boulevard, ausriefen und damit den Namen prägten. Nicht nur in, nicht nur bei Österreich. Eines, das den Boulevard der Marke Wolfgang Fellner abhebt, ist dessen Umgang nach innen, mit seinen Mitarbeitern. Denn Fellner kann sein wie seine Schlagzeilen: laut. Seine Wutausbrüche sind nichts für schwache Nerven: „Trottel“ oder „Arschlöcher“ beschimpft er seine Leute, wenn Fehler passieren oder etwas nicht so läuft, wie er es gerne hätte. Drohungen wie „Ich knall euch eine“ oder „Ich bring euch alle um“ brüllt er durch den Newsroom. Kein leichtes Pflaster, auch wenn er es oft gar nicht so meinen mag. „Ein Kollege hat Wolfgang Fellner wegen dessen harscher, aber begründeter Kritik an einer bereits fertigen Seite mit Tränen in den Augen angesehen“, erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter. „Fellner hat das bemerkt und zu ihm gesagt: ‚Heast Oida, versteh mi richtig, i mein ned di, i komm von der Sache. Die Seite is misslungen‘.“
„Es fliegen ab und an die Fetzen und so manches harte Fäkalwort“, schreibt Österreich-Chef vom Dienst, János Aladár Fehérváry, via Facebook an die DOSSIER-Redaktion. „Aber das ist pure publizistische Dialektik vor unternehmerischer Realität, welche die Produkte und die Ösi-Gesellschaft bereichern.“ Wer die Fellners nicht packe, der oder die solle
„zur toten staatlichen ,Wiener Zeitung‘ oder zum in Schönheit sterbenden ,Datum‘ gehen. Wer jedoch Medien wirklich machen will, davon und damit leben will, der oder die ist in diesem Fellner-Irrenhaus gut aufgehoben.“
Das sehen etliche ehemalige Österreich-Journalistinnen und Journalisten anders. Manche gingen schon wenige Monate nach dem Start der Zeitung am 1. September 2006. Damals beschäftigte Österreich 194 Redakteurinnen und Redakteure. Obwohl Auflage und Mediengruppe wuchsen, reduzierte sich der Personalstand in den ersten zwei Jahren auf 150 Journalistinnen und Journalisten, wie Daniela Kraus und Andy Kaltenbrunner in der Studie „Was Österreich bewegt“ schreiben. Auf Facebook gibt es mittlerweile die Gruppe „Wir waren Österreich“, zurzeit hat sie 162 Mitglieder. Und auf der Online-Jobplattform Kununu, wo man anonym Erfahrungen über Arbeitgeber berichten kann, finden sich 21 Bewertungen zur „Mediengruppe ‚Österreich’ GmbH“. Ein Nutzer bewertet die Arbeit klar positiv: „Top-Arbeitgeber mit viel Gestaltungsspielraum“. Die anderen Bewertungen sind weniger schmeichelhaft: Von „Burn-out-Garantie“, „cholerisches Management“, „Chaos und leere Versprechungen“ ist zu lesen, und: „Keine Zeit für Recherche.“ „Interviews wurden hinterrücks umgeschrieben.“
Keine Zeit für Moral
„Von ihm beschimpft zu werden ist entwürdigend und belastet noch mehr, weil es in aller Öffentlichkeit gemacht wird“, sagt Christian Nusser. Fast 20 Jahre lang hat er mit Wolfgang Fellner zusammengearbeitet. Zuerst zehn Jahre beim News-Verlag, ab 2005 als „Mitarbeiter Nummer 2“, wie er es nennt, beim damals in der Entwicklung steckenden Tageszeitungsprojekt. Bis 2012 war Nusser schließlich Chefredakteur beiÖsterreich, seither leitet er die Redaktion der Gratiszeitung Heute, der großen Konkurrentin am Gratiszeitungsmarkt.
Neben Fellners Art hat Nusser noch eine Erklärung für die journalistischen Grenzübertritte, die Österreich seit zehn Jahren begleiten: Produktionsdruck. „Ich weiß nicht, ob es eine Zeitung gibt, die einen größeren Stress hat“, sagt Nusser. Es sei diese Vielzahl an Büchern, an Mutationen, Regional- und Sonderbeilagen. „Das alles zu produzieren, erzeugt bei den Mitarbeitern einen unfassbaren Druck. Da kommen selbst Menschen mit einem gewissen Grundethos ins Schleudern, weil nicht die Zeit bleibt, sich 15 Minuten zu überlegen, ob das jetzt passt oder nicht. Es ist ein Stress, der auf Dauer gesundheitsschädigend ist. Viele der Dinge, die passieren, sind dem geschuldet.“
Wie am Tag des Banküberfalls im Februar 2007. Auch damals ging alles schnell. „Es war kein gutes Gespräch“, erinnert sich Hagyo an das Telefonat mit dem Geiselnehmer. „Ich habe der Chefredaktion gemeldet, dass es zum Einstampfen ist.“ Seine Chefs schicken ihn vor die Bank, wo sich der Täter gegen 16 Uhr stellt. Alle Geiseln bleiben unversehrt, zumindest körperlich. Die Geschichte des Banküberfalls geht indes um die Welt. Auch Hagyo ist nun ein Teil von ihr; der Journalist, der mit seinem Anruf womöglich Menschenleben in Gefahr gebracht hat. Als er in die Redaktion zurückkommt, empfängt ihn ein Kollege mit den Worten: „Du wirst jetzt ein Superstar. Dein Interview wurde online gestellt.“ Hagyo sei die Spucke weggeblieben, wie er heute sagt.
Covermacher Fellner
Die Entscheidung, das Interview zu veröffentlichen, war in seiner Abwesenheit getroffen worden. In der Mitte des Newsrooms. Nicht nur das, auch die weitere Berichterstattung und wie mit alle dem umzugehen sei, war klar: Während Polizei und Medien Hagyos Vorgehen kritisieren, erteilt ihm Fellner Redeverbot. Trotzdem gibt er zwei Interviews, der Nachrichtenagentur APA und dem Magazin Datum, um seinen Standpunkt zu erklären. Er wird verwarnt. Fellner erklärt der APA, der Fehler liege bei der Polizei, weil diese die Leitung nicht gekappt hätte. Überhaupt, es wäre besser, „wenn man sich bei uns bedanken würde“, so der Herausgeber damals. Die Geiselnahme sei kurz nach dem Telefonat zu Ende gegangen. Gegenüber dem Standard wird er sagen, das „scherzhaft“ gemeint zu haben.
Die Zeitung des nächsten Tages ist kein Scherz. Auf der Titelseite sind eine Geisel und der Täter zu sehen. Beide nicht unkenntlich gemacht, der Täter mit erhobenen Händen und einem nassen Fleck im Schritt. Ein Pfeil weist auf diesen. „Wolfgang Fellner wollte das so“, sagt Claus Reitan, von 2006 bis 2008 einer der Österreich-Chefredakteure und mitverantwortlich für die damalige Berichterstattung. „Das ist eine eigentümergeführte Zeitung“, da gebe es wenig Spielraum für Diskussionen: „Das Wort ist der Wille, und der Wille findet die Worte.“
„Jedes Cover macht er entweder selbst oder er gibt es frei“, sagt Christian Nusser, „egal, wo auf der Welt er gerade ist.“ Selbst von seinen Villen auf Ibiza und in Malibu habe Fellner direkten Zugriff auf das Redaktionssystem. Geht es um Österreich, ist er immer und überall – auch wenn Fellner das, wie vieles andere, im Interview mit DOSSIER und dem Falter bestreitet: „Ich bin nicht mehr als operativer Chefredakteur im Newsroom tätig, so wie ich das einmal bei News war.“ Er arbeite als Geschäftsführer und als Erfinder neuer Produkte – wie dem aktuellen Projekt, dem Internet-Fernsehsender oe24.TV.
„Ich schreibe mit Ausnahme meines Kommentars nachweislich keine Geschichten selber, abgesehen von zehnmal im Jahr, wo ich die Sonntagszeitung gestalte. In der Früh nehme ich an der Sitzung teil, wenn es sich ausgeht. Da werden viele Geschichten besprochen, und da bin ich sicher involviert, aber sonst definitiv nicht. Wer das behauptet, hat keine Ahnung vom Tagesablauf bei ,Österreich‘, weil es gar nicht möglich ist, dass sie als Geschäftsführer mit zig Terminen am Tag noch in Geschichten eingreifen.“
„Jeder in der Redaktion hat einen kleinen Mann im Kopf, der Wolfgang Fellner heißt“, sagt Christian Nusser. Er ist mit allen Gesprächspartner auf einer Linie: Fellner arbeitet von früh bis spät, er ist ein Medienjunkie – und einer, der weiß, wie man Schlagzeilen macht, das Extreme findet. Besonders beliebt: Wettergeschichten, wie ein ehemaliger Mitarbeiter sagt: „Der Monstersturm. Die Mega-Kaltfront. Oder: Die Erde friert zu.“ Beim Wetter kann man bekanntlich falsch liegen. Bei einem Liveticker von dem Begräbnis eines Kindes, wie ihn „oe24.at“, das Onlineportal der Zeitung, fünf Jahre nach dem Banküberfall einrichtet, nicht.
Arpad Hagyo bereut es damals wie heute, in der Bank angerufen zu haben. Er wird ein Jahr später kündigen. Im Zusammenhang mit dem Überfall muss sich Fellners Tageszeitung seither den Vorwurf des „Hyänenjournalismus“ gefallen lassen. Der einstige Kurier-Chefredakteur Christoph Kotanko hat ihn erhoben – „ein Werturteil, das jeder gebrauchen darf“, wie Fellner heute sagt. Doch der Anruf in der Bank war an diesem Tag nicht das einzige Absurde, dass sich rund um die Geiselnahme ereignete. Draußen vor der Bank stellen Anrainer noch während des Verbrechens die Boxen ihrer Stereoanlage ins Fenster und spielen einen Hit der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV) ab: „Ba-Ba-Banküberfall. Das Böse ist immer und überall.“ So ist er eben, der Boulevard.
Das war Teil eins unserer Artikelserie anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Tageszeitung „Österreich“. In den kommenden Tagen werden wir berichten, welche anderen Grenzen von „Österreich“ und im Namen des Herausgebers überschritten werden.
Sie werden lesen, wie es einem Mädchen erging, das als Minderjährige öffentlich bloßgestellt wurde. Wir werden zeigen, wie Wolfgang Fellner Menschen unter Druck setzt, wie er redaktionelle Berichterstattung an Unternehmen verkauft und gleichzeitig von öffentlichen Inseraten profitiert.
Aus dieser Quelle zur weiteren Verbreitung entnommen: https://www.dossier.at/dossiers/oesterreich/lizenz-zum-schreiben/
Lizenz zum Schreiben
Selina hat nicht gut geschlafen. Es ist die Aufregung vor dem ersten Tag an der neuen Schule, die die 16-Jährige lang wachgehalten hat. Doch nichts wird kommen, wie sie es sich vorgestellt hat. Beim Frühstück überbringt ihre Mutter die Nachricht: Selina, du stehst in der Zeitung. Ein Foto von ihr ist groß auf der Titelseite, daneben die Schlagzeile: „Wegen einer Ratte: Kanzler-Tochter fliegt von der Schule.” Das Foto zeigt Selina auf ihrem ersten Schulball, eine Ratte wurde durch Fotomontage auf ihre Schulter gesetzt – doch nicht nur das Foto, auch die Meldung ist falsch. Es ist der Höhepunkt der medialen Bloßstellung, die sie seit mehr als einem Jahr erfährt.
Heute ist Selina Gusenbauer 24 Jahre alt. Von Jänner 2007 bis Dezember 2008 war ihr Vater Bundeskanzler der Republik Österreich. Im selben Zeitraum ist Selina regelmäßig auf den Klatschseiten von Boulevardzeitungen wie Österreich zu sehen. Die Demütigung, die sie damals ertragen musste, ist für sie noch immer gegenwärtig.
Selina ist nicht die Einzige, die in den vergangenen zehn Jahren der Berichterstattung von Wolfgang Fellners Gratiszeitung zum Opfer gefallen ist. Für die Story ist so gut wie jedes Mittel recht: Etwa ein Liveticker von einem Kinderbegräbnis, den Österreich einrichtet – ein siebenjähriger Bub war vom eigenen Vater erschossen worden. Manchmal ist die Berichterstattung nicht nur grausam, sondern auch falsch: Als ein 80-jähriger Mann verdächtigt wird, seine Töchter missbraucht zu haben, führt Österreich drei Tage lang eine mediale Offensive an, veröffentlicht unverpixelte Fotos des Mannes und bezeichnet ihn als „neuen Fritzl“ und „Inzest-Opa“. Wenige Wochen später wird der Mann aus der U-Haft entlassen, laut Polizei ist er unschuldig. Darüber, was es heißt, medial verurteilt zu werden, kann er nicht mehr sprechen – er ist knapp ein Jahr darauf verstorben.
DOSSIER hat mehrere Betroffene, deren Intimsphäre für schnelle Schlagzeilen geopfert wurden, kontaktiert, doch fast alle wollen das Vergangene ruhen lassen. Sie nennen Gründe: Eine Frau erzählt, sie habe wegen der Berichte ihren Job verloren, nun wolle sie ihre neue Stelle nicht riskieren. Sein Vertrauen in die Medien sei gebrochen, sagt ein anderer. Mit Journalisten zu sprechen, das mache nur Schwierigkeiten. Alle haben Angst, erneut Aufmerksamkeit zu erregen. Nicht aber Selina Gusenbauer: „Wenn es darum geht, die journalistische Fahrlässigkeit von Österreich aufzuzeigen, bin ich gerne ein Teil davon“, sagt sie.
Am Boulevard machen alle mit
Lange ist es her, dass die ersten Berichte über Selina erschienen sind. Noch heute hat sie Tränen in den Augen, wenn sie über die Ereignisse von damals spricht. Die Medien treffen sie an einer für Jugendliche ganz besonders verletzlichen Stelle: ihrem Aussehen. Boulevardmedien mustern sie von Kopf bis Fuß, machen sie zum nationalen Gesprächsthema. „Kanzler-Tochter im Kelly-Osbourne-Look“ titelt Österreich im September 2007 und enthüllt, dass sich Selina im Griechenlandurlaub zwei Piercings in die Unterlippe stechen ließ. Einen Monat später fachsimpelt das Blatt über ihren „Emo-Style“: „Sie ist bekennender Emocore-Fan und steht auf Totenköpfe, Converse-Schuhe, die Farbe Schwarz (auch um die Augen) und Piercings.“ Michael Jeannée, Kolumnist der Kronen Zeitung, bezeichnet Selina als „Gusenbauers Piercing-Töchterl“, die „die abscheulich-löchrige Modetorheit gewissermaßen salonfähig gemacht“ hätte. Auch News moniert über Selinas Schminke: „Ein Kajalstrich so dick, dass man damit Straßen absperren könnte“. Man fragt sich: „Wie schwarz sind die Gedanken der Tochter des roten Kanzlers wirklich?“
Die Botschaft, die bei ihr angekommen sei, war „Du bist hässlich, du bist nicht feminin. Ich merke erst jetzt, wie sehr ich das verinnerlicht und tatsächlich geglaubt habe, dass ich nicht gut aussehe“, sagt Selina. Für Gerald Kral, Psychologe für Kinder und Jugendliche, erfüllt diese Art der Berichterstattung viele Aspekte von Mobbing. „Sie wurde als Person definitiv psychisch beschädigt. Wenn das noch vor einem landesweiten Publikum passiert, kann es weitreichende Folgen haben.“ Einmal nimmt Selina ihren Mut zusammen und konfrontiert zwei Österreich-Reporter mit der Tonalität der Berichte: „Ich habe sie gefragt, warum sie so gemeine Sachen über mich schreiben, aber die Journalisten haben sehr offensiv reagiert und meine Sicht der Dinge als übertrieben dargestellt.“ Sie suche absichtlich die Aufmerksamkeit und lasse sich deswegen so oft fotografieren. Selina war in der Tat gemeinsam mit ihren Eltern öfters bei öffentlichen Veranstaltungen. Sie ist nicht schüchtern, kommt mit anderen schnell ins Gespräch; sie ist selbstbewusst und eloquent, vielleicht mehr als manche es von einem 15-jährigen Mädchen erwarten. „Ich habe einfach nicht in das Bild hineingepasst, das Leute bei Kindern von Politikern sehen wollen. Sie konnten mich gut ausnutzen, um meinen Vater zu schädigen. Das hat ja so ausgesehen, als ob er keine Kontrolle über mich hätte.“
Vor dem Tag im September 2008, als Selina die Schule wechselt, waren bereits vielfach journalistisch ethische Grenzen überschritten worden. Nun hatte Österreich das „Thema des Tages“ draufgelegt: eine Falschmeldung über Selinas angeblichen Rauswurf aus einer Privatschule. „Die überzeugte Emo-Anhängerin kann einem wirklich leidtun“, schreibt das Blatt. Dreimal sei sie schon durchgefallen und müsse nun wegen einer Ratte im Spind die Schule verlassen. Am selben Tag dementiert Schuldirektor Jean Bastianelli via Aussendung den Bericht und stellt darin klar, „dass die Schülerin Selina Gusenbauer nicht – wie leider fälschlicherweise behauptet – von der Schule verwiesen wurde. Ferner ist unrichtig, dass sie das vergangene Schuljahr ‚hätte wiederholen müssen’.“ Trotzdem dreht Österreich die Geschichte am nächsten Tag weiter: Süffisant wird über Selinas berufliche Laufbahn spekuliert und in einem Bekleidungsgeschäft, in dem sie ein Ferialpraktikum absolviert hat, nachgefragt, ob eine Stelle für sie frei wäre.
Täter Wolfgang Fellner?
Warum ignorieren erfahrene Journalisten, die auch bei Österreich am Werk sind,fast jedes journalistische Minimum und attackieren eine Minderjährige auf diese Weise? Claus Reitan und Christian Nusser waren damals Chefredakteure der Tageszeitung. „Das war falsch, vor allem menschlich. Ich will mich gar nicht herausreden, ich war dafür – so wie Wolfgang Fellner – mitverantwortlich, ich habe es nicht gestoppt, und das tut mir heute noch leid“, sagt Nusser, der seit Sommer 2012 die Redaktion der Gratiszeitung Heute leitet. Die Geschichte sei unter Druck entstanden, und dieser Druck zu liefern, der gehe bei Österreich von ganz oben aus. Reitan, von 2006 bis 2008 Chefredakteur bei Österreich, verortet den Fehler an ähnlicher Stelle wie sein einstiger Kollege: „Meiner Erinnerung nach hat sie der Wolfgang Fellner gebaut.“ Das Motiv, über Selina Gusenbauer massenwirksam zu berichten, habe nicht in der Sache selbst liegen können. „Also lag es möglicherweise außerhalb der Sache“, sagt Reitan – spielt er hier auf etwas an, was mit Journalismus nichts mehr zu tun hat; auf etwas das Journalismus gar zur Waffe werden lässt? Auch Wolfgang Fellner gibt sich heute selbstkritisch: „Diese Geschichte zählt zu unseren Fehlern. Wir arbeiten heute viel genauer und passen besser auf. Mittlerweile ist es unser Prinzip, keine Geschichten zu machen, die gegen den Kodex des Presserats verstoßen könnten“, sagt er.
Ich würde die Geschichte heute nicht mehr so machen, weil ich der Meinung bin, man sollte so etwas über eine Minderjährige nicht schreiben, auch wenn sie das Kind eines Prominenten ist.
Kein Einzelfall
Der Fall hatte für seine Zeitung auch ein juristisches Nachspiel: Selinas Eltern schalten einen Anwalt ein und klagen Österreich. Nur wenige Monate später, im Jänner 2009, zieht das Wiener Straflandesgericht laut Medienberichten den Schluss, dass sich die Boulevardzeitung „dubioser Informanten“ bedient und „ohne großartige Recherche grobe Unwahrheiten“ verbreitet hat. Österreich kommt trotzdem glimpflich davon: Die Zeitung muss eine Gegendarstellung abdrucken und 2.000 Euro Entschädigung bezahlen. „Das ist nicht viel, in Amerika müssten Sie in solchen Fällen ein paar Nullen dranhängen“, sagt Medienanwalt Gottfried Korn im Gespräch mit DOSSIER. Korn ist Lehrbeauftragter für Kommunikationsrecht am Institut für Publizistik der Uni Wien, und er vertritt als Rechtsanwalt auch die Konkurrenz, die Mediaprint, allen voran die Kronen Zeitung – die selbst nicht gerade die Hüterin der publizistischen Moral ist, wie Zahlen zu den Verstößen gegen den Ehrenkodex der Österreichischen Presse zeigen.
Quelle: Statistik des Österreichischen Presserates
*Aktiv Zeitung (1), Bezirksblätter (2), Der Österreichische Journalist (1), Der Standard (3), DFZ (1), Die ganze Woche (1), Die Presse (1), Echo (1), Falter (2), Gailtal Journal (1), Kassenarzt (1), Klasse (1), Kleine Zeitung (1), KTZ Bezirksjournal (1), Kurier (2), Meine Südsteirische (1), News (2), OÖN (2), profil (1), Journal Graz (1), SN (1), Vice (1), Weekend (1), Wiener Zeitung (1), Zur Zeit (4)
Abseits von Moral und Anstand sieht das Gesetz bei Verstößen gegen das Persönlichkeitsrecht Höchststrafen von bis zu 50.000 Euro vor. Jedoch entscheiden die Gerichte „in den meisten Fällen nur bis zu zehn oder 20 Prozent der Höchstsummen“, sagt Korn, der bereits mehr als 100 Verfahren gegen die Zeitung Österreich geführt hat. „Für eine gute, knallige Schlagzeile wird eine Entschädigung in Kauf genommen“, sagt er, denn „die Höhe der Entschädigung ist eine Sache der Gerichte und nicht des Gesetzgebers.“ Würde man in allen Fällen die Höchststrafe verhängen, dann käme „ein beträchtlicher Betrag zusammen. Ich denke, das wäre ausreichend, um Verleger abzuschrecken“, sagt Korn.
Für Selina ist der Sieg vor Gericht kein Triumph. Sie sagt, sie habe sich Vorwürfe gemacht und die Schuld bei sich gesucht: „Als mein Vater nicht mehr Bundeskanzler war, habe ich mir das stark vorgehalten. Ich dachte, ich hätte seine Karriere ruiniert, weil ich es nicht geschafft habe, mit Medien umzugehen.“ Nicht einmal im Gerichtssaal habe sie damals zugeben wollen, wie schlimm das war. „Heute würde ich mir erlauben, ein Mensch zu sein, den man auch verletzen kann.“
Fellner schlägt zurück
Wolfgang Fellner gefällt nicht, was er Anfang Juni 2016 in der Wochenzeitung Falter liest: ein Interview mit Christoph Chorherr, Gemeinderat der Grünen in Wien. Der Politiker spricht sich dafür aus, dass die Stadt Wien weniger Inserate schalten soll, allen voran in Boulevardzeitungen: „Ihr Geschäftsmodell ist es, Angst und Ressentiment zu verbreiten“, sagt Chorherr. Daher sein Vorschlag: „Man sollte Medien, die wiederholt und systematisch vom Presserat verurteilt werden, nicht auch noch mit Inseraten belohnen.“
Eine „Trottelidee“ findet Wolfgang Fellner, Herausgeber der Tageszeitung Österreich.Seit 2011 verstieß seine Zeitung 34 Mal gegen den Ehrenkodex der Österreichischen Presse – einzig die Kronen Zeitung hat im selben Zeitraum mehr Verstöße. Chorherrs Vorschlag muss auf ihn wie eine Drohung gewirkt haben, denn Zeitungen wie Heuteoder Österreich leben fast ausschließlich von Inseraten. Wenige Tage später erscheint in Österreich ein Artikel über Projekte, für die nicht nur Christoph Chorherr, sondern auch dessen Familie öffentliche Förderungen erhielten.
Ein publizistischer Gegenschlag? Im Gespräch mit DOSSIER und Falter lässt sich Wolfgang Fellner tief in die Karten blicken: „Wenn uns jemand vorwirft, dass wir zu viel Geld kassieren, dann darf man wohl schreiben, wie viel Geld er kassiert“, sagt er.
Ich bin ja nicht der Watschenmann der Stadt, der sich hinstellt und sagt, jetzt darf mir jeder eine runterhauen. Das bin ich nicht. Wenn mir einer eine runterhaut und selbst von Subventionen lebt, dann darf ich ja wohl schreiben, dass der Scherzbold, der behauptet hat, man soll die Inserate der Zeitungen komplett kürzen und an den Presserat koppeln, dass er das auch noch originellerweise im Falter macht, der zwei Wochen vorher verurteilt worden ist und deswegen keine Inserate mehr bekommen hätte.
Fellner spricht erstmals offen aus, dass er und seine Zeitung Journalismus ähnlich einer Waffe einsetzen. „Wenn man Fellner kritisiert, dann muss man damit rechnen, dass man mit einer persönlichen Geschichte angegriffen wird,“ sagt Armin Thurnher, Falter-Herausgeber und Chefredakteur im Interview mit DOSSIER. Für Fellners Art mit Kritikern umzugehen, hat er einen Namen: „Retorsionsjournalismus“, was so viel bedeute wie „Wir schlagen zurück!“, sagt Thurnher. „Dabei wird versucht, die betreffende Person persönlich zu vernichten. Das ist schon mehrmals passiert.“
Krieg der Chefredakteure
Unlängst berichtete Österreich über Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter, einen von Fellners Erzfeinden. Seit Jahren schenken sich die beiden vor Gerichten und in Kommentaren nichts. Am 21. August erscheint in der Rubrik „Politik-Insider“ ein Text, in dem Brandstätter vorgeworfen wird, seinen 25-jährigen Sohn mit einem Job bei den ÖBB versorgt zu haben – „direkt im Büro des damaligen ÖBB-Chefs Christian Kern“. Und Österreich wirft eine Frage auf: „Wurde das Wohlwollen des Kurier-Chefredakteurs mit einem hoch bezahlten Job für den Sohnemann erkauft?“
Ein weiterer journalistischer Angriff der Marke Fellner? Oder was ist dran? „Nichts“, sagt Helmut Brandstätter zu DOSSIER: „Alle Fakten sind falsch. Mein Sohn hat sich für ein Praktikum beworben und nie im Büro von Christian Kern gearbeitet. Er hat ein normales Gehalt.“ Jakob Brandstätter sei nach einem dreimonatigen Praktikum „wegen seiner überzeugenden Leistung“ übernommen worden, sagt auch eine Sprecherin der ÖBB und weiters:
Jakob Brandstätter war weder im Büro des früheren ÖBB-CEO Christian Kern tätig noch ihm direkt unterstellt. Er war oder ist in keiner Führungsposition in der ÖBB Holding tätig. Sein Gehalt und Einstufung orientieren sich strikt an den entsprechenden Unternehmensrichtlinien.
Helmut Brandstätter glaubt, die versteckte Botschaft des Berichts zu kennen: „Ich verbreite Lügen über dich, und wenn du weiterschreibst, verbreite ich noch mehr Lügen.“ Immer wieder habe der Kurier „absurde Inserate in Boulevardzeitungen“ aufgezeigt, weshalb Fellner verärgert sei. „Wenn man sich wehrt, haut Fellner hin und er rechnet damit, dass sich alle fürchten“, sagt Brandstätter. Doch das wahre Ziel seien weder er noch sein Sohn gewesen, sondern Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) – dieser bezog schon in seinem ersten Fernsehinterview als Bundeskanzler in der ZiB 2 eine deutliche Position zu den hohen öffentlichen Werbeetats:
Ich wüsste gar nicht, wo die Mitglieder der Bundesregierung inserieren sollen. Unsere vorrangige Aufgabe ist es nicht zu inserieren, sondern Politik zu machen, Taten zu setzen und klar identifizierbar zu machen, was wir für das Land tun. (Bundeskanzler Christian Kern am 17. Mai 2016)
Rund zwei Monate später spricht auch der neue Medienminister Thomas Drozda (SPÖ) von einer Reduktion der Anzeigengelder: „Den Inseratenetat werden wir sukzessive kürzen und uns wie jedes Unternehmen überlegen, wie wir unsere Werbeausgaben aufteilen.“ Die neue Linie soll über die Regierung hinaus Wirkung zeigen. Tatsächlich belegt eine Auswertung der Werbeschaltungen des mit Abstand größten öffentlichen Anzeigenkunden der Republik, der Stadt Wien und ihrer Unternehmen, einen Abwärtstrend, der gegen Ende 2015 einsetzt – auch die Tageszeitung Österreich ist davon betroffen.
Laut Fellner ist der Bericht über Brandstätters Sohn aus rein journalistischen Motiven entstanden: Eine „völlig anständige Geschichte“, sagt er und verweist auf die Berichterstattung anderer Medien über Christian Hofer, den älteren Bruder des Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ). Dieser hatte einen Job in einer Abteilung der burgenländischen Landesregierung bekommen, die wiederum dem freiheitlichen Landeshauptmann-Stellvertreter Johann Tschürtz untersteht. „Was ist da bitte der Unterschied?“, fragt Fellner. Für Brandstätter scheint der Unterschied im Motiv zu liegen. Er schreibt in einem Tweet:
@hoppenina @MD_Franz @KURIERatFellners Botschaft:Wer gegen mich ist, keine Inserate gibt, muss wissen, daß ich auf seine Familie losgehe
Auf DOSSIER-Nachfrage relativiert der Kurier-Chefredakteur. Da müsse er vorsichtig sein, „aber es kommen sonderbare Methoden zur Anwendung, über die sich Geschäftsleute und Politiker bei mir ausgeweint haben. Jeder Stadtrat und jeder Generaldirektor in Österreich kennt diese Methoden.“
Worum es bei Wolfgang Fellners „Österreich“ vor allem geht, lesen Sie ab Montag auf DOSSIER. Wir werden berichten, wie viel Steuergeld in der Zeitung steckt, wie „Österreich“ im Auftrag des Herausgebers redaktionelle Berichterstattung an Unternehmen verkauft und wie die Achse „WoFe-WeFa“ funktioniert hat.
Bleiben Sie dran!
Wie die Polizei Schleichwerber laufen lässt
Seit 17 Monaten liegen bei der Polizei 476 Anzeigen. In allen geht es um das Delikt der Schleichwerbung, im juristischen Sprachgebrauch: um mögliche Verstöße gegen den Paragrafen 26 Mediengesetz – die Pflicht, Werbung als solche zu kennzeichnen. Bis zu 20.000 Euro Geldstrafe sind vorgesehen, im Wiederholungsfall bis zu 60.000 Euro. Die Beschuldigten der 476 Anzeigen sind die fünf größten Zeitungen des Landes – und die Polizei, die das Gesetz vollziehen sollte, tut: nichts.
„In der Bearbeitung ist das in einer der niedrigsten Stufen“, sagt Hofrat Gerhard Lecker von der Landespolizeidirektion Graz am Telefon. Später muss er zugeben, dass die Polizei die Anzeigen, die nachweislich eingegangen sind, sogar verloren hat: „Es ist mir unerklärlich“, sagt Lecker. Willkommen in der Welt der Schleichwerbung, wo Menschen getäuscht, Moral wie Gesetz gebrochen werden. Bezahlte Einschaltungen getarnt als redaktionelle Berichte werden zunehmend zum Problem, wie Gabriele Faber-Wiener, die Vorsitzende des PR-Ethikrates, zu DOSSIER sagt. Branchenverbände stehen dem hilflos und die vollziehenden Behörden untätig gegenüber.
Vier Verdachtsfälle pro Ausgabe
Das zeigte der Wiener Philosophiestudent Alexander Kaimberger eindrucksvoll auf: Er ist der Urheber jener Anzeigen, die die zuständigen Behörden unbearbeitet ließen beziehungsweise nicht mehr finden. Im Rahmen seiner Magisterarbeit zum Thema Schleichwerbung analysierte Kaimberger zwei Wochen lang die fünf reichweitenstärksten Tageszeitungen Österreichs. „Die Herausforderung ist, Schleichwerbung zu erkennen“, sagt Kaimberger. „Ich habe Indizien gesammelt: Gibt es in der Nähe von Anzeigen wohlwollende Berichte? Findet man werbliche Formulierungen wie etwa ‚Schnäppchen‘?“ Nach zwei Wochen hatte er 476 Verdachtsfälle von unzureichend oder gänzlich ungekennzeichneter Werbung aufgelistet – durchschnittlich vier Fälle pro Zeitungsausgabe. Kaimberger beschloss, die Fälle anzuzeigen.
Die zuständigen Behörden für die von Kaimberger Verdächtigten Heute, Österreich, Kronen Zeitung, Kurier und Kleine Zeitung sind laut Mediengesetz die Landespolizeidirektionen in Wien und in Graz. „Ich habe schon beim Erstkontakt mit der Polizei gemerkt, dass hier eine Wissenslücke existiert“, sagt Kaimberger. „Mir war klar: Freiwillig verfolgen die das nicht.“ Er behält recht.
Nicht nur die Landespolizeidirektion Graz ignoriert die Anzeigen und verliert sie sogar, auch in Wien weiß mit diesen offenbar wenig anzufangen. Trotz mehrwöchigen Bemühens ist der zuständige Beamte zu keinem Interview bereit. Nur so viel: „Die Fälle sind rar gesät, ich kann nicht aus großer Erfahrung sprechen.“ Dabei kann oder will man bei der Wiener Polizei nicht einmal beantworten, ob die Anzeigen überhaupt bearbeitet wurden.
„Im Boulevard wird das Problem noch stärker“
Gabriele Faber-Wiener, Vorsitzende des PR-Ethikrats, eines Branchenkontrollorgans, berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Dass immer öfter Kritik aus PR-Kreisen an den Methoden der Medien und dem Ausverkauf von Journalismus laut wird, macht den Missstand deutlich. „Es geht um Transparenz und Glaubwürdigkeit. Wir wollen nicht, dass Rezipienten manipuliert werden“, sagt Faber-Wiener. Das Problem gekaufter Berichterstattung ziehe sich durch die gesamte Medienlandschaft, in Boulevardmedien fänden sich aber besonders viele Verdachtsfälle.
„Qualitätsmedien schauen vermehrt auf Korrektheit, gleichzeitig gibt es den Boulevard, wo das Problem noch stärker wird“, sagt Faber-Wiener. Verantwortlich für die Ausbreitung der Schleichwerbung macht sie vor allem die Untätigkeit der Behörden: „Wir haben kürzlich drei für uns eindeutige Verdachtsfälle an die Landespolizeidirektion Wien weitergeleitet, keiner der der Fälle wurde weiter bearbeitet“, sagt sie. „Das kann so nicht weitergehen. Die Manipulation nimmt zu, und wir haben kein funktionierendes Medienrecht.“
Gute PR gibt es in der Tageszeitung „Österreich“ nicht nur für Unternehmen. Auch Politiker können sich mit Inseraten wohlwollende Berichterstattung kaufen. Dafür gibt es kein besseres Beispiel als Werner Faymann, den ehemaligen Bundeskanzler der Republik. Demnächst auf DOSSIER: die Achse „WoFe-WeFa“ – oder, warum Faymann Fellners „bester Informant“ gewesen sein soll.
Journalismus im Ausverkauf
Schleichwerbung hat viele Namen: „Gratis-PR-Artikel“, „rein redaktionelle Integration“, „eine kleine redaktionelle Geschichte“. Bei der Tageszeitung Österreich sind Begriffe wie diese mehr als geläufig. Das zeigen interne E-Mails, die der DOSSIER-Redaktion vorliegen. Sie geben einen tiefen Einblick in das System Fellner: Sie buchen, wir schreiben.
Mit Journalismus hat das wenig zu tun. Es geht um Inhalte, die Menschen täuschen und die gegen das Gesetz verstoßen. Und es geht darum, wie Werbung getarnt und als Journalismus verkauft wird. Das beginnt bei Österreich ganz oben, wie sich anhand der E-Mails nachvollziehen lässt. Der Herausgeber der Zeitung, Wolfgang Fellner, veranlasst darin höchstpersönlich eine mehrwöchige Serie an redaktionellen Berichten über einen seiner größten Werbekunden. Firmenchefs sollen Gefälligkeitsinterviews zugeschanzt werden. Den Unternehmen wird die Entscheidung überlassen, ob Sie „klassische Werbung“ oder doch lieber positive Berichterstattung kaufen möchten. Hauptsache, der Preis stimmt.
Die Traumküche
Im Fall des Möbelhauses Ikea belief sich dieser auf 10.000 Euro. „Ikea will nicht klassisch mit einem Küchensujet drinnen sein, sondern nur eine rein redaktionelle Integration und dafür eine Art Druckkostenbeitrag zahlen“, steht in einer E-Mail, die eine Mitarbeiterin der Anzeigenabteilung im Jahr 2011 verschickt. Fellner hätte für den Deal sein „Okay“ gegeben. Am vereinbarten Tag erscheint der ganzseitige Beitrag „Clevere Traumküchen“ in der Österreich-Beilage Madonna. Ikea kommt in dem Artikel, der nicht als Werbung gekennzeichnet ist, als einziger Hersteller vor.
Schleichwerbung täuscht Leserinnen und Leser, deshalb ist sie verboten: Gemäß Paragraf 26 Mediengesetz müssen entgeltliche Einschaltungen als solche gekennzeichnet sein. Schon in der Vergangenheit wurden vielfach Fälle aufgezeigt, in denen Medien dagegen verstoßen haben – die DOSSIER vorliegenden Dokumente zeigen, dass dies bei der Tageszeitung Österreich nicht nur aus Versehen geschieht, sondern auch aus geschäftlichem Kalkül. Juristisch sind die aufgezeigten Fälle bei Österreich bereits verjährt, doch sie belegen: Getarnte Werbung ist ein lukratives Geschäft und ein wichtiges Verkaufsargument für Inserate. Oder wie es Wolfgang Fellner am Ende einer der E-Mails aus dem Jahr 2012 formuliert: „Bitte nicht auf die Storys vergessen.“
In der gleichen E-Mail schickt Fellner der Leiterin seiner Wirtschaftsredaktion eine ausführliche To-do-Liste:
Ob und welche Gegenleistung Saturn konkret erbringt, geht aus der E-Mail nicht hervor. Eine Erklärung, warum sich der Herausgeber so stark für den Elektrohändler einsetzt, ist trotzdem schnell gefunden: Saturn, oder besser gesagt, die Mediamarkt-Saturn-Gruppe, zählt zu den besten Anzeigenkunden der Zeitung.
Ein weiterer Fall zeigt das System Fellner noch deutlicher: „Soeben habe ich die Freigabe von der ÖBB bekommen“, steht in einer E-Mail der Verlagsleitung. An vier Tagen im März 2012 schalten die Bundesbahnen fünf ganzseitige Inserate, zu diesen solle es am Montag, Dienstag und Mittwoch jeweils eine „kleine redaktionelle Geschichte“ geben. Die Themen der Artikel kommen der Bahn gelegen: „Hohe Benzinpreise“, „Stauzeit zu Ostern“ und „Benzinsparen, auf Öffis umsteigen“.
Und erneut findet sich der Hinweis: Der Deal sei „mit WoFe besprochen“ – das Kürzel WoFe steht für Wolfgang Fellner. Wenig später berichtet Österreich: „Benzin und Diesel waren im vergangenen Jahr (…) so teuer wie noch nie.“ Ein anderer Artikel widmet sich dem neuen Catering: „Die Speisewagen der ÖBB sind am besten Weg zur Top-Adresse für Gourmets.“
„Teil unseres redaktionellen Konzepts“
Für Wolfgang Fellner ist all das kein Problem. „Die Storys ‚Oster-Reisewelle‘, ‚hohe Benzinpreise‘ und ‚Stau zu Ostern‘ sind in jeder Tageszeitung des Landes erschienen – dafür braucht es keine ÖBB-Inserate“, schreibt er in einer Stellungnahme. Berichte über Eröffnungen und Verkaufsaktionen von Saturn und Media Markt seien wiederum „Teil unseres redaktionellen Konzepts, weil sie bei Lesern extrem beliebt sind.“ Und weiter:
„Ich kann Ihnen versichern, dass es in ,Österreich‘ keine Schleichwerbung gibt – jedenfalls viel weniger als in anderen Medien.“
Die werbetreibenden Unternehmen sind auf DOSSIER-Anfragen zurückhaltender: Es sei „selbstverständlich, dass Inserate und bezahlte Einschaltungen gekennzeichnet sind“, schreibt Ikea-Sprecherin Barbara Riedl. Die konkreten Fälle will sie, wie auch Saturn und die ÖBB nicht kommentieren – man halte sich aber an alle gesetzlichen Vorschriften.
„Schleichwerbung ist tägliche Praxis“
In einem Punkt hat Fellner jedenfalls recht: Die Vermischung von bezahlter Werbung und scheinbar unabhängiger Berichterstattung ist nicht einzig ein Österreich-Problem, es ist ein Österreich-Problem. „Schleichwerbung ist tägliche Praxis“, sagt Gabriele Faber-Wiener, Vorsitzende des PR-Ethikrats, eines Selbstkontrollorgans für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Käufliche Berichterstattung ziehe sich durch die gesamte Medienlandschaft. „Das große Problem ist, dass Schleichwerbung nicht geahndet wird“, sagt Faber-Wiener. „Medien, die das auf täglicher Basis machen – und Österreich ist so ein Medium –, lachen sich da ins Fäustchen.“
Solange die Behörden das Gesetz so schlampig, wenn nicht gar fahrlässig vollziehen wie bisher, so lange wird das System Fellner funktionieren. So lange wird er in Österreich zu haben sein, der Journalismus im Ausverkauf, wie man auch anhand der Ausgabe vom 2. September 2016 vermuten kann.
Gute PR gibt es in der Tageszeitung „Österreich“ nicht nur für Unternehmen. Auch Politiker können sich mit Inseraten wohlwollende Berichterstattung kaufen. Dafür gibt es kein besseres Beispiel als Werner Faymann, den ehemaligen Bundeskanzler der Republik. Demnächst auf DOSSIER: die Achse „WoFe-WeFa“ – oder, warum Faymann Fellners „bester Informant“ gewesen sein soll.
————————————————————————————-————
————————————————————————————-————
Aus dem per ÖVP-Amtsmissbräuche offenkundig verfassungswidrig agrar-ausgeraubten Tirol, vom friedlichen Widerstand, Klaus Schreiner
Don´t be part of the problem! Be part of the solution. Sei dabei! Gemeinsam sind wir stark und verändern unsere Welt! Wir sind die 99 %!
“Wer behauptet, man braucht keine Privatsphäre, weil man nichts zu verbergen hat, kann gleich sagen man braucht keine Redefreiheit weil man nichts zu sagen hat.“ Edward Snowden
PDF-Downloadmöglichkeit eines wichtigen sehr informativen Artikels über den amerikanischen Militärisch-industriellen-parlamentarischen-Medien Komplex – ein Handout für Interessierte Menschen, die um die wirtschaftlichen, militärischen, geopolitischen, geheimdienstlichen, politischen Zusammenhänge der US-Kriegsführungen samt US-Kriegspropaganda mehr Bescheid wissen wollen : Ursachen und Hauptantriebskräfte der US Kriege und Flüchtlinge der amerik. MIK (… auf Unterstrichenes drauf klicken 🙂 )
Hier noch eine kurzes Video zur Erklärung der Grafik Gewaltspirale der US-Kriege
https://www.youtube.com/watch?v=1PnxD9Z7DBs
Bitte teile diesen Beitrag: