Überwachung: Lauschen wie noch nie: Österreich beschließt Überwachungspaket

Finanzmarkt- und Konzernmacht-Zeitalter der Plutokratie unterstützt von der Mediakratie in den Lobbykraturen der Geld-regiert-Regierungen in Europa, Innsbruck am 21.04.2018
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Aus dieser Quelle zur weiteren Verbreitung entnommen:https://netzpolitik.org/2018/lauschen-wie-noch-nie-oesterreich-beschliesst-ueberwachungspaket/

 

Überwachung

Lauschen wie noch nie: Österreich beschließt Überwachungspaket

Die rechte Regierung in Wien gibt der Polizei umfassende neue Möglichkeiten. Der Bundestrojaner erlaubt das Infiltrieren von Handys, anonyme SIM-Karten werden verboten und die Behörden erhalten Zugriff auf alle Videokameras im öffentlichen Raum. Sogar das Briefgeheimnis wird aufgedampft. Die Opposition und Bürgerrechtler warnen vor großangelegten Lauschaktionen.

Innenminister Kickl möchte die berittene Polizei wieder einführen und saß zuletzt in München selbst auf hohem Ross. Designer Oliver Hinzmann hat das für uns illustriert. CC-BY-SA 4.0 Oliver Hinzmann

Österreich macht den Weg frei zu neuen Überwachungsmaßnahmen. Das Parlament beschloss heute in Wien mit rechter Regierungsmehrheit das sogenannete Sicherheitspaket. Vehemente Proteste der Opposition blieben wirkungslos. Das Bündel an Maßnahmen räumt der Polizei umfassende neue Möglichkeiten ein: Der Bundestrojaner infiltriert Smartphones und Computer, Behörden bekommen Zugriff auf Videoüberwachung, anonyme SIM-Karten werden verboten und selbst das Briefgeheimnis wird abgeschwächt. Die Beamten können lauschen wie noch nie.

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In Wien regiert seit Dezember eine Koalition aus der konservativen ÖVP und der Rechtsaußen-Partei FPÖ. Auf Druck des als Hardliner bekannten Innenministers Herbert Kickl wurde das Sicherheitspaket im Eilverfahren binnen drei Monaten durch das Parlament gebracht. Und das, obwohl Kickl das beinahe gleiche Paket an Maßnahmen der Vorgängerregierung nicht einmal ein Jahr zuvor abgelehnt und als „DDR 4.0“bezeichnet hatte. Seit seinem Amtsantritt arbeitet der Innenminister konsequent am Ausbau der Polizeibefugnisse und der Aufweichung von Kontrollmöglichkeiten, die ebenfalls heute beschlossen wurde. Wesentliche Teile des Überwachungspakets treten bereits in wenigen Wochen – mit Juni 2018 – in Kraft.

Die Affäre um den österreichischen Verfassungsschutz sorgt sogar in deutschen Regierungskreisen für Besorgnis. Auf Anordnung Kickls wurde der Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling, im März wegen angeblicher, schon länger zurückliegender Verfehlungen vom Dienst suspendiert. Der rechte Innenminister nützt die Affäre zur Neubesetzung der Führungsebene des Nachrichtendienstes. Dem gesamten Beamtenapparat der Polizei sendet die FPÖ damit eine klare Nachricht: Gehorcht uns, oder ihr seid die Nächsten.

Zugriff auf Videokameras

Das Überwachungspaket gibt der österreichischen Polizei Zugriff auf praktisch jede Videokamera im öffentlichen Raum. Das Gesetz verpflichtet sowohl öffentliche als auch private Betreiber, der Exekutive auf deren Ersuchen hin ihr Videomaterial der letzten vier Wochen zur Verfügung zu stellen oder sogar Echtzeitstreaming zu ermöglichen. Für den Zugriff braucht es keinen konkreten Verdacht und als Begründung reicht dabei die Vorbeugung wahrscheinlicher Angriffe, schreibt die Bürgerrechtsorganisation epicenter.works in ihrer Erläuterung zum Gesetz: „Damit gibt es eine zentrale, staatliche Kontrolle aller öffentlichen Plätze und des dortigen Lebens.“

Wie problematisch der Umgang des FPÖ-geführten Ministeriums mit Videodaten ist, zeigt eine aktuelle Episode: Das Innenministerium drängte vor kurzem laut einem Bericht der Wochenzeitung Falter die Polizei, ein Video von der Erschießung eines angeblichen Attentäters vor der iranischen Botschaft an eine rechte Boulevardzeitung zu leaken. Ein Whistleblower machte den Fall aber öffentlich, die Polizei weigerte sich. Was aber, wenn die Polizei künftig viel mehr Videomaterial zur Verfügung hat und das Ministerium seine Kontrolle über den Apparat stärkt?

Das Gesetz ermöglicht der Polizei auch Videoeinsicht auf Österreichs Autobahnen und Straßen. Den Beamten stehen die Videokameras des Autobahnbetreibers Asfinag zu Verfügung, aber auch dreißig neue Anlagen zur Kennzeichenerkennung. Das macht es etwa möglich, laufend Nummernschilder mit Fahndungsdatenbanken abzugleichen. Selbst der Autobahnbetreiber warnt in einer Stellungnahme ans Parlament, der Vorschlag könne zu Rechtsunsicherheit führen, da die Sicherheitsmaßnahmen ihn dazu zwingen könnten, rechtswidrig Daten zu sammeln.

Trojaner und offene Briefe

Das Überwachungspaket schafft die gesetzliche Möglichkeit zur Infiltrierung der IT-Systeme von Verdächtigen. Die Polizei darf künftig mit richterlicher Genehmigung bei Verdächtigen Spähsoftware, den sogenannten Bundestrojaner, einschleusen. Er soll bei allen Straftaten mit mehrjährigem Strafrahmen zum Einsatz kommen, nicht nur beim Verdacht auf terroristische Handlungen.

Der Trojaner nimmt nicht nur die Kommunikation von Tatverdächtigen ins Visier, sondern späht sämtliche Daten auf Smartphones und Rechnern aus. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag wertet dies in einer Stellungnahme als unverhältnismäßig und damit als einen unzulässigen Grundrechtseingriff. Der Autor der Stellungnahme, Rechtsanwalt Bernhard Fink, zweifelt an der Vereinbarkeit des Großteils der vorliegenden Bestimmung des Überwachungspakets mit der Verfassung und dem Unionsrecht. Zunächst stehe aber zu befürchten, dass die finanziell ausgehungerte und personell ausgedünnte österreichische Justiz der Polizei in vielen Fällen einen Persilschein für Überwachungsmaßnahmen ausstelle, sagte Fink auf Anfrage von netzpolitik.org. Zudem schränke das Gesetz beim Einsatz des Trojaners die Überwachung nicht ausreichend ein, um vor allem auch unbeteiligte Dritte auszunehmen. Das sei besonders bei Trägern von Berufsgeheimnissen wie Anwälten, Steuerberatern, Ärzten oder Journalisten bedenklich.

Sorge um das Redaktionsgeheimnis

Journalistenverbände warnen vor möglichen Eingriffen in das Redaktionsgeheimnis durch das Überwachungspaket. Der Einsatz des Bundestrojaners müsse grundsätzlich abgelehnt werden, um Journalisten zu schützen, sagte Astrid Zimmermann, Generalsekretärin des Presseclub Concordia, zu netzpolitik.org. Gleiches gelte für den Verbot anonymer SIM-Karten und den Einsatz von IMSI-Catchern – damit werde es leichter, investigative Journalisten ins Visier zu nehmen. „Mit dieser Regierung hat die Zahl der Whistleblower zugenommen. Das wollen sie mit solchen Bestimmungen stärker kontrollieren“, sagte Zimmermann. Auch der Österreichische Journalisten-Club äußerte zuvor ähnliche Bedenken.

Das „Sicherheitspaket“ bringt nicht nur Videoüberwachung und Trojaner: Epicenter.works listet sämtliche bedenklichen Maßnahmen auf. Prepaid-SIM-Karten müssen ab 2019 registriert werden: In einer Verordnung soll noch geregelt werden, ob dann beim Kauf der Karte ein amtlicher Ausweis gezeigt und eventuell auch ein „videounterstütztes, elektronisches Verfahren“ zur Identitätsfeststellung angewandt werden muss – also der Käufer gefilmt werden soll. Das neue Gesetz regelt zudem den Einsatz von IMSI-Catchern, mit denen Polizeibehörden Handys ohne Hilfe des Netzbetreibers lokalisieren können.

Auch wird als Ersatz für die vom österreichischen Verfassungsgerichtshof 2014 untersagteVorratsdatenspeicherung die Möglichkeit zum „Quick-freeze“ geschaffen. Dabei können sämtliche Kommunikationsdaten Einzelner für bis zu zwölf Monate gespeichert werden, wenn in einem Fall ein Anfangsverdacht besteht.

Die österreichische Regierung möchte aber nicht nur elektronische Kommunikation stärker überwachen: Auch das gute alte Briefgeheimnis wird eingeschränkt. Künftig ist es in Österreich der Polizei erlaubt, Post zu beschlagnahmen, wenn das aus Behördensicht zur Aufklärung einer Straftat mit Strafrahmen von mehr als einem Jahr nötig ist. Bisher war das nur bei Sendungen von Inhaftierten oder polizeilich gesuchten Personen möglich.

Cybercrime als Argument

In der Begründung für das Überwachungspaket argumentiert Innenminister Kickl mit der steigenden Zahl an Straftaten im Internet und warnt vor organisierter Kriminalität, die sich Messengerdiensten wie WhatsApp bedient. „Es ist nötig, bestimmte Sicherheitslücken zu schließen“, sagte er im Februar dem öffentlichen Sender ORF. Kickl vergaß dabei aber zu erwähnen, dass zwar im Vorjahr tatsächlich mehr Internetbetrug anzeigt wurde, die Kriminalität in Österreich insgesamt jedoch deutlich sank.

Österreich folgt dem Zeitgeist zur immer weiteren Aufrüstung der technischen und rechtlichen Möglichkeiten der Polizei. Ähnliches geschieht derzeit auch auf der anderen Seite der Grenze in Bayern. Widerstand regt sich in Österreich bisher nur in informierten Kreisen. Zahlreiche Institutionen gaben kritische Stellungnahmen zu dem Gesetz ab, darunter auch der eigene Verfassungsdienst des Justizministeriums. Bürgerrechtler starteten eine Kampagne gegen das Gesetz und organisierten mehrere Demonstrationen. Auch die Oppositionsparteien protestierten und warnen vor OrwellianischenVerhältnissen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Oppositionsfraktionen informierte netzpolitik.org-Autorin und CCC-Sprecherin Constanze Kurz über den Einsatz von Staatstrojanern und appellierte dazu, auf staatliches Hacken zu verzichten.

Geholfen hat es vorerst nichts, das Gesetz ist beschlossen. Ab Juni wird sich zeigen, wie der österreichische Staatsapparat seine neuen Möglichkeiten für sich nutzt.

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