Ungesühnte Kriegsverbrechen in Vietnam – Apocalypse Now – Die Männer der US Tiger Force mähten wehrlose Bauern nieder, schnitten ihren Opfern die Ohren ab und enthaupteten Babys. Wie Kriegsverbrechen totgeschwiegen werden – „Was hier passiert, bleibt hier“

Finanzmarkt- und Konzernmacht-Zeitalter in den Lobbykraturen der Geld-regiert-Regierungen (Oligarchie, Elitendemokratie) in Europa, Innsbruck am 06.07.2019

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Aus dieser Quelle zur weiteren Verbreitung entnommen: https://www.spiegel.de/jahreschronik/a-331554.html

Kriegsverbrechen in Vietnam

Apocalypse Now

Die Männer der Tiger Force mähten wehrlose Bauern nieder, schnitten ihren Opfern die Ohren ab und enthaupteten Babys: Monatelang recherchierten Journalisten der amerikanischen Lokalzeitung „Toledo Blade“ die blutige Spur der US-Eliteeinheit im Vietnam-Krieg. SPIEGEL ONLINE hat den Report übersetzt, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.

(Aus dem SPIEGEL-ONLINE-Archiv: Artikel vom 16.04.2004)

 

Quang Ngai, Vietnam – Die zehn älteren Bauern hatten auf dem offenen Reisfeld keine Chance. Auf der einen Seite der Fluss, auf der anderen die Berge. Dazwischen rückten die Soldaten immer näher: eine amerikanische Elitetruppe, bekannt unter dem Namen Tiger Force.

Die Bauern waren unbewaffnet, doch das machte keinen Unterschied. Am 28. Juli 1967, dem Tag, an dem die Sondertruppe den Ort erreichte, war niemand sicher.

Niemand.

Als die Kugeln flogen, fiel einer nach dem anderen, die Flucht erschwert durch das Dickicht an Grünpflanzen und den Schlamm. Binnen Minuten war alles vorbei. Vier waren tot, weitere verwundet. Einige überlebten, weil sie regungslos im Schlamm verharrten.

Später erinnerten sich vier der Soldaten an den Überfall: „Wir wussten genau, dass die Bauern unbewaffnet waren“, sagte einer, „aber wir haben sie trotzdem erschossen.“

Der grundlose Überfall ist einer von vielen, den die hoch dekorierte Militäreinheit im Vietnam-Krieg ausführte. Das ergaben achtmonatige Nachforschungen von „The Blade“, einer Regionalzeitung im US-Bundesstaat Ohio.

Das Platoon – ein kleiner, hervorragend ausgebildeter Trupp von 45 Fallschirmjägern, der ursprünglich als Spähtrupp gedacht war – geriet zwischen Mai und November 1967 völlig außer Kontrolle.

Sieben Monate lang zog die Tiger Force über das vietnamesische Zentral-Hochland und metzelte dabei Dutzende unbewaffneter Zivilisten nieder. Einige Opfer wurden gefoltert und verstümmelt. Diese Gewalttaten waren der amerikanischen Öffentlichkeit bislang unbekannt.

Die Männer der Elitetruppe warfen Handgranaten in unterirdische Bunker, in denen sich Frauen und Kinder versteckt hielten, und schufen so Massengräber. Sie erschossen unbewaffnete Zivilisten, die um ihr Leben flehten. Oft folterten und erschossen sie ihre Gefangenen, dann schnitten die Soldaten ihren Opfern die Ohren ab oder skalpierten sie – als Souvenir.

Eine Durchsicht von Tausenden von geheimen Armeedokumenten, Unterlagen aus US-Nationalarchiven und Funk-Aufzeichnungen geben Einblicke in die Praktiken einer Kampfeinheit, die die umfangreichste Serie von Gräueltaten im Vietnam-Krieg beging. Die verantwortlichen Kommandeure sahen einfach weg.

Die Recherchen der US-Armee erstreckten sich über viereinhalb Jahre, zahlreiche Augenzeugen wurden ausfindig gemacht, die die Kriegsverbrechen der Einheit bestätigten. Schließlich wurden die Akten jedoch in den Archiven vergraben – drei Jahrzehnte lang. Niemand wurde dafür jemals zur Rechenschaft gezogen.

Keiner weiß genau, wie viele unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder dieser Truppe vor 36 Jahren zum Opfer fielen. Die Unterlagen sprechen von mindestens 81 Opfern, die Schuss- oder Stichwunden erlagen. Aber viele weitere wurden umgebracht – unter eindeutiger Verletzung der US-Militärgesetze und der Genfer Konventionen von 1949.

Bei über 100 Interviews, die „The Blade“ mit ehemaligen Soldaten der Tiger Force sowie vietnamesischen Zivilisten führte, stellte sich heraus, dass in diesen sieben Monaten Hunderte von unbewaffneten Zivilpersonen ihr Leben verloren.

„Keiner hat Buch geführt“, so der ehemalige Gefreite Ken Kerney, heute Feuerwehrmann in Kalifornien. „Ich wusste, was wir taten, war nicht richtig, aber so war es eben.“

Viele Einzelheiten der Geschehnisse im fraglichen Zeitraum sind unbekannt: Unterlagen aus den Nationalarchiven sind verschwunden, Täter und Zeugen sind verstorben. In vielen Fällen erinnern sich die Soldaten zwar an die begangenen Taten und den ungefähren Ort, jedoch nicht an genaue Daten.

Nur eines ist klar: Fast vierzig Jahre später können noch immer viele die brutalen Verbrechen an den Bauern nicht vergessen – weder die vietnamesische Dorfbewohner noch die ehemalige Tiger-Force-Soldaten.

„Wir waren total außer Rand und Band“, erklärte der damalige Sanitäter Rion Causey, 55. Causey ist heute Atomingenieur und fragt sich selbst: „Auch wenn das alles 30 Jahre her ist – wie können manche Leute ruhig schlafen?“

Die Zeitung „Toledo Blade“ fand heraus:

  • Die Kommandeure waren sich über die Gräueltaten der Truppe 1967 durchaus im Klaren und ermutigten in einigen Fällen die Soldaten sogar weiterzumachen.
  • Zwei Soldaten, die sich gegen die Untaten aussprachen, wurden von ihren Befehlshabern verwarnt, den Mund zu halten, bevor sie in eine andere Einheit versetzt wurden.
  • Zwischen Februar 1971 und Juni 1975 ermittelte die US-Armee in 30 Verdachtsfällen von Kriegsverbrechen gegen Mitglieder der Tiger Force, mit dem Ergebnis, dass insgesamt 18 Soldaten derartiger Verbrechen bezichtigt wurden, darunter Mord und tätliche Übergriffe. Keiner der Schuldigen wurde je formell angeklagt.
  • Sechs Soldaten, die Kriegsverbrechen verdächtigt wurden, darunter ein Offizier, wurde gestattet, während der Nachforschungen in den Ruhestand zu treten. Damit konnten sie sich dem Bereich militärischer Ermittlungen entziehen.
  • Den Unterlagen zufolge gelangten die Ergebnisse der Recherchen bis in die Reihen der obersten Heeresführung, auch der Verteidigungsminister selbst hatte Kenntnis. Dennoch geschah nichts.
  • Spitzenleute im Weißen Haus, so auch John Dean, ehemaliger Chefberater von Präsident Richard Nixon, erhielten regelmäßige Berichte über die Fortschritte der Ermittlungen.

Bis heute verweigern die Ermittler der US-Armee die Herausgabe von Tausenden von Unterlagen, die aufklären könnten, was genau geschah und warum die Sache unter den Teppich gekehrt wurde. Armeesprecher Joe Burlas erklärte in der vergangenen Woche, es sei möglicherweise schwierig gewesen, die Anklage zu verfolgen. Fehler in den Ermittlungen könne er sich jedoch nicht erklären.

Die Armee befragte 137 Zeugen und machte ehemalige Tiger-Force-Mitglieder in über 60 Städten weltweit ausfindig. Dennoch war der Fall in den letzten 30 Jahren nicht einmal eine Fußnote wert in den Annalen eines der umstrittensten Kriege der USA.

 AP

Opfer Zivilbevölkerung: „Wir haben viele Menschen getötet, die nicht hätten getötet werden sollen“

Dreißig Jahre nachdem die US-Truppen aus Vietnam abzogen, leben die alten Bauern im Song-Ve-Tal mit Erinnerungen an das Platoon, das vor so langer Zeit durch ihre Dörfer zog. Nguyen Dam, 66, erinnert sich noch gut, wie er um sein Leben rannte, als die Soldaten an jenem Sommertag 1967 in das Reisfeld schossen. „Ich bin heute noch zornig“, erklärt er, heftig gestikulierend, „unsere Nachbarn hatten es nicht verdient, so zu sterben. Wir waren Bauern, keine Soldaten. Wir haben niemandem etwas zu Leide getan.“

William Doyle, ehemaliger Sergeant in der Tiger Force, der heute in Missouri lebt, sieht dennoch kaum Gründe, sich für die Aktionen von damals entschuldigen zu müssen. Wie Doyle selbst sagt, tötete er während des Vietnam-Kriegs derart viele Zivilisten, dass er diese nicht mehr zählen konnte.

„Wir haben immer von einem Tag zum anderen gelebt und nicht damit gerechnet zu überleben. Keiner da draußen, der ein wenig Verstand hatte, glaubte wirklich daran, dass wir überleben“, sagt Doyle. „Alles was wir machten, haben wir getan, um zu überleben. Und die einzige Chance zu überleben war das Töten – denn von einem Toten hatte man nichts mehr zu befürchten.“

Kampferprobte Eliteeinheit für Spezial-Mission

Die Quang-Ngai-Provinz zieht sich ostwärts von den üppig grünen Bergen bis zu den weitläufigen weißen Stränden des südchinesischen Meeres.

Für die Einheimischen war diese Region schon seit Generationen nicht nur das Stück Land, das sie liebten, sondern vor allem auch das Land, das sie bewirtschafteten und von dem sie lebten. Für die Nordvietnamesen dagegen war die Provinz die Hauptnachschublinie für die Guerillas, die für die Wiedervereinigung des Landes kämpften.

Für die US-Militärs hingegen war die Provinz ein Landstrich voller Dschungel und Flussbetten, der dringend unter ihre Kontrolle gebracht werden musste, um die kommunistische Infiltration von Südvietnam aufzuhalten. General William Westmoreland, Kommandeur der US-Streitkräfte in Vietnam, hatte 1967 hierfür eigens eine speziell ausgebildete Eingreiftruppe („Special Task Force“) initiiert.

Für den Fall eines größeren Konflikts mit heftiger Gegenwehr von Guerilla-Kämpfern brauchten die amerikanischen Streitkräfte eine Eliteeinheit, die sich schnell im Dschungel bewegen, feindliche Stellungen aufspüren oder Hinterhalte vorbereiten konnte. Diese Aufgabe fiel der Tiger Force zu, einem Elite-Ableger der 101. Luftlande-Divison. Die 1965 gegründete Einheit agierte meist in kleinen Gruppen, die – gekleidet in Tarnanzüge mit Tigerstreifen und ausgestattet mit 30-Tage-Essensrationen – den Feind im Dschungel ausspähten.

Nicht jeder wurde bei diesem Platoon angenommen. Zum einen mussten sich die Soldaten freiwillig für die Tiger Force melden, zum anderen über Fronterfahrung verfügen und sich einer ganzen Reihe von Fragen stellen – darunter Fragen zu ihrer Einstellung zum Töten. Die Mehrzahl dieser Männer stammte aus kleinen Städten wie Rayland in Ohio, Globe in Arizona oder Loretto in Tennessee.

Vor ihrer Ankunft in der Quang-Ngai-Provinz am 3. Mai 1967 hatte die Tiger Force bereits weiter südlich in My Cahn und Dak To schwere Gefechte geführt. Doch dies hier war ein ganz anderer Ort – ein Ort, an dem die Menschen tief mit ihrem Land verwurzelt waren und ihre Freiheit vehement verteidigten. Und in dieser unbekannten Umgebung begannen die Dinge außer Kontrolle zu geraten.

Niemand weiß genau, was die Aktionen auslöste, die zum Tod von unzähligen Zivilisten und Gefangenen führen sollten. Bereits wenige Tage nachdem die Tiger Force ihre Zelte in der Region aufgeschlagen hatte, begannen die Soldaten, Kriegsgesetze zu missachten.

Es fing alles mit den Gefangenen an.

Während einer Morgenpatrouille am 8. Mai entdeckten Tiger-Force-Mitglieder zwei vermeintliche Vietcong am Song-Tra-Cau-Fluss – die örtliche Miliz stellte sich gegen die US-Intervention in Vietnam. Einer der Männer entkam durch einen Sprung ins Wasser und verschwand durch einen Unterwasser-Tunnel.

Der andere wurde jedoch gefasst. Da dieser Mann deutlich größer und muskulöser war als die meisten Vietnamesen, ging man davon aus, dass er Chinese sei. In den kommenden zwei Tagen wurde er wiederholt verprügelt und gefoltert. Wie spätere Zeugenaussagen unter Eid belegen, diskutierten die US-Soldaten auch einmal darüber, den Gefangenen in die Luft zu sprengen.

Einer der damaligen Soldaten, Specialist William Carpenter, erklärte nun gegenüber „The Blade“, er habe damals versucht, den Gefangenen zu retten. „Doch ich wusste, seine Zeit war abgelaufen“, so Carpenter. Nachdem man dem Gefangenen gesagt hatte, er sei frei und ihn daraufhin angewiesen hatte wegzurennen, war dieser von den US-Soldaten erschossen worden.

Diese Art der Behandlung Gefangener – Quälen und Exekutieren – sollte in den folgenden Monaten zum gängigen Prozedere der Einheit gehören.

Immer wieder sprachen Mitglieder der Tiger Force von so vielen Exekutionen von gefangenen vietnamesischen Soldaten, dass die Ermittler später große Schwierigkeiten hatten, eine Gesamtzahl der Getöteten festzustellen.

Im Juni hatte der Gefreite Sam Ybarra einem Gefangenen mit einem Jagdmesser die Kehle durchgeschnitten und dann skalpiert. Den Skalp hängte er ans Ende eines Gewehrlaufes, sagten Soldaten in beeideten Stellungnahmen. Gegenüber Armee-Ermittlern verweigerte Ybarra später jede Aussage zu diesem Vorfall.

Einem anderen Gefangenen war befohlen worden, einen Bunker zu graben. Wie Akten belegen, wurde er dann mit einer Schaufel zusammengeschlagen und schließlich erschossen. Dieser Mord veranlasste den Sanitäter Barry Bowman dazu, sich an einen Geistlichen zu wenden: „Es erschütterte mich so sehr, ihn sterben zu sehen“, sagte Bowman vor kurzem „The Blade“. Ein anderer Tiger-Force-Soldat, Sergeant Forrest Miller, erzählte Ermittlern der US-Armee, dass die Ermordung von Gefangenen „ein ungeschriebenes Gesetz“ gewesen sei.

Und die Elite-Soldaten exekutierten nicht nur Kriegsgefangene, sondern begannen auch damit, unbewaffnete Zivilisten hinzurichten. Im Juni wurde ein älterer Mann in einer schwarzen Robe erschossen, nachdem er sich bei den US-Soldaten über die schlechte Behandlung der Dorfbewohner beschwerte. Wie Platoon-Soldaten später den Ermittlern erklärten, war dem getöteten Mann – der vermutlich ein buddhistischer Mönch war – eine Handgranate untergeschoben worden, um den Eindruck zu erwecken, er sei ein feindlicher Kämpfer.

Im selben Monat erschoss Ybarra den Akten zufolge einen 15 Jahre alten Jungen in der Nähe des Dorfes Duc Pho. Ybarra hatte seinen Kameraden später erzählt, den Teenager seiner Sportschuhe wegen getötet zu haben.

Die Schuhe passten Ybarra nicht – was ihn allerdings nicht davon abhalten sollte, ein inzwischen übliches Ritual auszuführen: Nach Aussagen von Carpenter schnitt Ybarra die Ohren des toten Jungen ab und legte diese in eine Proviant-Tüte. Im Laufe der US-Armee-Ermittlungen gegen die Tiger Force sollten später 27 Soldaten aussagen, dass das Abtrennen von Ohren eine gängige Praxis war. Der Grund dafür: Vietnamesen einzuschüchtern.

Den Akten zufolge hatten Platoon-Soldaten die abgetrennten Ohren zudem nicht nur gesammelt, sondern auf Schnürsenkeln aufgereiht um den Hals getragen. „Es gab eine Zeit, in der praktisch jeder eine solche Ohren-Kette um den Hals trug“, erzählte der einstige Tiger-Force-Sanitäter Larry Cottingham den Ermittlern. Und die Unterlagen belegen eine weitere grausame Praxis: Toten Zivilisten traten die Soldaten die Zähne aus, um an deren wertvolle Goldfüllungen heranzukommen.

Dorfbewohner widersetzen sich Umsiedelungs-Befehlen

Die Kämpfe in der Quang-Ngai-Provinz waren für die Tiger Force völlig unberechenbar. Als die Platoon-Soldaten in den ersten drei Mai-Wochen unbekannte Pfade auskundschafteten, lagen sie unter stetigem Heckenschützen-Feuer. Hügel und Strände waren übersät mit versteckten Sprengladungen.

Am 15. Mai geriet die Einheit in einen nordvietnamesischen Hinterhalt, der als „Muttertags-Massaker“ bekannt werden sollte. Von 11 Uhr morgens bis 17.45 Uhr war das Platoon unter heftigem gegnerischen Feuer in einem Tal eingeschlossen. Zwei Tiger-Force-Soldaten starben, 25 wurden verwundet.

In den kommenden Wochen veränderte sich das Platoon personell. Mit Lieutenant James Hawkins sollte die Einheit einen neuen Kommandeur bekommen; zusätzlich wurden zwei Dutzend Tiger-Force-Soldaten von neuen Kollegen abgelöst.

Von betrunkenen Soldaten und dem Tod eines alten Schreiners

US-Soldat mit gefangenem Vietcong: Die Grenze zwischen Zivilisten und feindlichen Kämpfern war verschwommen

Die Neulinge stießen zur Truppe, als diese gerade in das Song-Ve-Tal vordrang. Dort sollten die Einheimischen zum Verlassen ihrer Dörfer und zur Umsiedlung in Flüchtlingslager gezwungen werden; womit auch der Anbau von Reis unterbunden werden sollte, der wiederum feindlichen Truppen als Nahrung diente.

Wie sich herausstellte, war dieses Unterfangen jedoch alles andere als einfach.

Viele Dorfbewohner weigerten sich, in die Umsiedlungslager zu ziehen. Diese von Betonmauern und Stacheldraht umgebenen Camps, die stark an Gefängnisse erinnerten, kritisierte 1967 auch schon das US-Außenministerium; vor allem wegen des Mangels an Lebensmitteln.

Die US-Armee warf zudem von Hubschraubern aus Flugblätter ab, mit denen die 5000 Einheimischen dazu aufgefordert wurden, sich in die Lager zu begeben. Die meisten ignorierten diese Anordnung jedoch. „Die Leute wollten einfach auf ihrem Land bleiben“, erinnerte sich der Bauer Lu Thuan, 67. „Wir standen in diesem Krieg auf keiner Seite.“

Dorfbewohnern und Historikern zufolge war das von der dichter besiedelten Küste entfernt gelegene und nur über schmale Schlammpfade zu erreichende Song-Ve-Tal im Gegensatz zu den vielen anderen Teilen der Provinz nie eine Rebellen-Hochburg. „Wir wollten einfach nur unsere Ruhe haben“, sagt Lu Thuan.

Lieutenant exekutiert unbewaffneten alten Mann

Doch sie wurden nicht in Ruhe gelassen: Das Song-Ve-Tal – rund sechs Kilometer breit und zehn Kilometer lang – wurde in den kommenden zwei Monaten das Operationszentrum der Tiger Force.

Um die Leute zur Umsiedlung zu bewegen, begannen die Soldaten damit, Dörfer niederzubrennen. Aber selbst das hatte nicht immer die erhoffte Wirkung. Mitunter flohen Dorfbewohner in andere Dörfer. Oder sie versteckten sich einfach.

Für die Soldaten wurde das Tal damit ein immer frustrierenderer Ort. Tagsüber trommelten sie Einheimische für die Umsiedlungslager zusammen. Nachts suchten sie in ihren Lagern auf dem Boden kauernd Schutz vor den Granaten, die feindliche Soldaten aus den Bergen abfeuerten.

Die Grenze zwischen Zivilisten, die sich einfach nur weigerten, ihr Land zu verlassen, und feindlichen Kämpfern verschwamm für die Tiger-Force-Krieger immer mehr.

Eines Nachts trafen Platoon-Soldaten auf den alten Schreiner Dao Hue, der gerade den seichten Song-Ve-Fluss überquerte. Hue lebte schon immer hier im Tal und kannte den Weg am Fluss entlang zu seinem Dorf so gut wie seine Westentasche.

In dieser Nacht, es war der 23. Juli, sollte er es dennoch nicht bis nach Hause schaffen. Obwohl Hue um sein Leben flehte, wurde er von den US-Soldaten getötet – fünf Amerikaner erinnerten sich später im Rahmen des Ermittlungsverfahrens an seine Erschießung.

Die Tötung Hues war von den Talbewohnern als deutliches Zeichen aufgenommen worden, dass niemand mehr sicher war. Hunderte flohen daraufhin.

Nachdem das Platoon das Tal durchkämmt hatte, schlug die Tiger Force ihr Lager in einem verlassenen Dorf auf. Hubschrauber versorgten die Soldaten dort mit Bier. Bei Einbruch der Dämmerung sollen einige betrunken gewesen sein.

Wenig später erhielt das Platoon den völlig unerwarteten Befehl, den Fluss zu überqueren und einen Hinterhalt vorzubereiten. Was dann folgte, war ein Schusswechsel, der die Soldaten noch sehr lange nach ihrem Vietnam-Aufenthalt beschäftigen sollte.

Kaum hatte Dao Hue die andere Seite des Song-Ve-Flusses erreicht, lief der alte Mann mit dem grauen Bart Sergeant Leo Heaney in die Arme. Sofort warf der 68-Jährige seine Schultertrage mit zwei Körben voller Gänse auf den Boden. „Er war völlig verängstigt, faltete seine Hände und begann, mit lauter, hoher Stimme um Gnade zu bitten“, erklärte Sergeant Heaney gegenüber Ermittlern der US-Armee.

Wie Heaney weiter aussagte, sei sofort zu erkennen gewesen, dass von dem alten Mann keine Gefahr ausging. Heaney eskortierte Dao Hue dann zu den Platoon-Führern, Lieutenant Hawkins und Sergeant Harold Trout. Zitternd vor Angst, plapperte der alte Mann laut vor sich hin, worauf Lieutenant Hawkins den Vietnamesen schüttelte und anschrie. Wie Zeugen berichteten, schlug Trout den Vietnamesen schließlich mit seinem M-16-Gewehr nieder. Blutüberströmt sank der Alte zu Boden.

Als der Sanitäter Barry Bowman versuchte, Dao Hues Kopfwunde zu versorgen, hob Hawkins den knienden Mann auf und schoss ihm mit einem Karabiner ins Gesicht. „Der alte Mann fiel rückwärts zu Boden und Hawkins schoss erneut auf ihn“, erklärte Specialist Carpenter unter Eid. „Ich wusste sofort, dass er tot war, denn sein halber Kopf war weggeblasen.“ Gegenüber Armee-Ermittlern sagte Carpenter zudem, dass er Lieutenant Hawkins damals erklärt habe, dass der alte Mann „nur ein Bauer war und keine Waffen trug“.

Lieutenant Hawkins wies bei einer Befragung von Armee-Ermittlern am 16. März 1973 alle Anschuldigungen von sich. In einem kürzlich mit „The Blade“ geführten Interview gab Hawkins die Erschießung von Dao Hue allerdings zu. Er habe den Vietnamesen getötet, da dieser mit Absicht so laut gewinselt hätte, um die feindlichen Truppen auf sich aufmerksam zu machen. „Und das habe ich dann auf der Stelle abgestellt“, so Hawkins.

Wie vier weitere Soldaten aussagten, hätte es jedoch bessere Möglichkeiten gegeben, den Alten zum Schweigen zu bringen. Außerdem hätten die Schüsse die Position der US-Einheit erst recht verraten, was dann auch zu einem Schusswechsel führte. „Es gab keinen Grund dafür, Dao Hue zu erschießen“, sagte Bowman den Ermittlern.

Heute, fast vier Jahrzehnte nach diesem Ereignis, sagen die Dorfbewohner, die damals Dao Hues Leiche fanden, dass sie sofort wussten, dass er von den Amerikanern getötet wurde. Seine Nichte, Tam Hau, heute 70 Jahre alt, war eine der ersten Personen, die Daos leblosen Körper am nächsten Tag am Fluss entdeckten.

Gemeinsam mit Bui Quang Truong, einer anderen Verwandten, schleppte sie die Leiche ihres Onkels ins Dorf. „Er hatte Schusswunden am ganzen Körper“, erinnert sich Hau. „Das war für uns alle sehr traurig.“

Soldaten intensivieren Attacken im Song-Ve-Tal

Vier Tage nach der Erschießung von Dao Hue wurden vier Tiger-Force-Soldaten bei Granaten-Angriffen der Guerilla verletzt. Der Gegenschlag des US-Platoons sollte prompt folgen: In den kommenden zehn Tagen zogen die Soldaten ohne jede Rücksicht marodierend durch das Tal.

Die Gegend war zur „Feuer-frei-Zone“ erklärt worden – eine spezielle Bezeichnung dafür, dass US-Truppen auch ohne die Zustimmung von ihren Kommandeuren oder südvietnamesischen Offiziellen feindliche Soldaten angreifen konnten. Wie ehemalige Platoon-Mitglieder bestätigen, nahmen die Tiger-Force-Soldaten diesen Begriff wörtlich und schossen auf alles, was sich bewegte: Männer, Frauen und Kinder.

Zwei fast blinde Männer, die man beim Wandern im Tal aufgegriffen hatte, waren zum Song-Ve-Fluss geführt und dann erschossen worden. Zwei andere Dorfbewohner, darunter ein Teenager, wurden exekutiert, weil sie nicht in Umsiedlungslagern waren.

Am 28. Juli eröffneten Platoon-Soldaten das Feuer auf zehn ältere Bauern, die auf einem Reisfeld arbeiteten. Das Bild von überall verstreuten Leichen auf der weiten grünen Fläche sollte einigen Soldaten und den Bewohnern des Dorfes Van Xuan noch lange im Gedächtnis bleiben.

Dabei dachten die Bauern, sie seien sicher. Einerseits waren sie zu alt dafür, beim Militär zu dienen; andererseits standen sie in dem Konflikt – zumindest öffentlich – auf keiner Seite.

Auf dem Reisfeld wurden vier Bauern getötet – alle vier Erschießungen waren späteren Aussagen von mehreren Tiger-Force-Mitgliedern zufolge völlig ungerechtfertigt. Den Akten zufolge kam der Befehl, das Feuer zu eröffnen, von Lieutenant Hawkins, der die Patrouille anführte.

Ein Dorfbewohner erinnerte sich kürzlich, dass die Bauern von den Schüssen völlig überrascht wurden. Kieu Trac, heute 72 Jahre alt, sagte, er habe hilflos beobachten müssen, wie sein Vater und andere Bauern in das Reisfeld fielen. Erst Stunden später traute sich Trac, im Schutz der Dunkelheit in das Reisfeld zu krabbeln und seinen Vater zu suchen. Er drehte einen leblosen Körper nach dem anderen herum, bis er seinen Vater, Kieu Cong, 60, fand. Zusammen mit seiner Frau Mai Thi Tai trug er die Leiche zur Bestattung ins Dorf. Die drei anderen Bauern, Le Muc, Phung Giang und eine ältere Frau aus der Trang-Familie, wurden später von ihren Angehörigen beigesetzt.

„Die Bauern haben lediglich auf dem Feld gearbeitet und nichts getan […] Sie haben die Soldaten nicht verletzt“, sagt Kieu Cong während er auf die Stelle zeigt, an der sein Vater und die anderen Bauern erschossen wurden. „Sie dachten, die Soldaten lassen sie in Ruhe.“

Lu Thuan, ein anderer Dorfbewohner, der die Attacke von einem nahe gelegenen Hügel aus beobachtete, sagt, er könne sich nicht mehr daran erinnern, wie viele Bauern verletzt wurden. „Einige waren verwundet und konnten nicht weglaufen“, sagt Lu Thuan, heute 67. „Andere stellten sich einfach tot.“

Wie Kriegsverbrechen totgeschwiegen werden – „Was hier passiert, bleibt hier“

 

US-Flugzeuge beim Versprühen des Entlaubungsmittels „Agent Orange“: „Wir haben niemandem etwas zu Leide getan“

Einer aus der Tiger-Force-Patrouille, Specialist William Carpenter, besteht heute darauf, dass er seine Waffe nicht abgefeuert hat. „Diese Aktion war falsch“, sagt Carpenter. „Es gab keinen Grund für mich zu schießen, denn diese Leute hatten niemandem etwas getan.“ Doch er habe große Angst davor gehabt, seine Meinung zu äußern, sagte Carpenter den Ermittlern. In der Einheit habe es mit der Zeit als völlig in Ordnung gegolten, Zivilisten zu erschießen – und die Kommando-Führer hätten Carpenter zufolge streng darüber gewacht, dass alle Soldaten Stillschweigen bewahrten. Vier andere Ex-Tiger-Force-Soldaten erzählten den Militär-Ermittlern ebenfalls, dass sie die Gräueltaten aus Furcht vor ihren Vorgesetzten nicht an höhere Militärstellen meldeten.

Ken Kerney, damals Gefreiter in Vietnam, erinnert sich noch ganz genau an die Anweisungen, die er beim Eintritt in die Tiger Force erhielt. „Die Kommandeure sagten zu mir: ‚Was hier passiert, bleibt hier. Du erzählst niemandem, was bei uns vor sich geht. Wenn wir herausfinden, dass du dennoch geredet hast, wirst du das bereuen'“, so Kerney. „Man hat mir zwar nicht genau gesagt, was man mit mir machen würde, aber ich wusste es. Daher hatte man Angst, überhaupt den Mund aufzumachen.“

 

Dorfbewohner berichten jetzt in einem Interview, dass sie Dutzende Massengräber ausheben mussten, nachdem die US-Soldaten durch das Tal gezogen waren. Nguyen Dam, 66, erinnert sich an die grauenvolle Aufgabe, seine in den Feldern zurückgelassenen Nachbarn und Freunde zu begraben. „Wir konnten nicht mal mehr essen wegen des Gestanks“, sagt der Reisbauer. „Ich fühlte mich manchmal, als könnte ich nicht mehr atmen. So viele Leute aus dem Dorf wurden getötet, dass wir sie nicht einzeln, sondern nur alle gemeinsam in Massengräbern bestatten konnten.“

Das Platoon zieht nach Norden, konzentriert auf „Body count“

Tage nach der Attacke auf die Reisbauern flogen amerikanische Flugzeuge über das Song-Ve-Tal und warfen Tausende Liter Entlaubungsmittel ab. Damit sollte sichergestellt werden, dass niemand während des Krieges Reis anbauen konnte.

Für die Tiger Force war der Song-Ve-Feldzug beendet. Am 10. August zog das inzwischen mit Nachschub und Verstärkung versorgte Platoon auf Lastwagen in die gut 50 Kilometer nördlich gelegenen Provinz Quang Nam; ein großer und unübersichtlicher Landstrich voller dichter Dschungel und verwinkelter feindlicher Tunnel.

Als Ziel der Tiger Force in Quang Nam galt es, die Provinz unter Kontrolle zu halten – jedoch nicht im Sinne militärischer Landgewinnung.

Das Platoon entwickelte in dieser Schlacht eine Gewohnheit, die zum Mantra des Vietnam-Krieges wurde: Body count, die explizite Zählung getöteter feindlicher Soldaten. Der Erfolg einer Schlacht wurde nun anhand der Zahl der getöteten Vietnamesen gemessen und nicht etwa danach, ob ein Dorf erobert wurde, so die eidesstattlichen Aussagen von elf ehemaligen Offizieren.

Am 11. September startete die US-Armee die „Operation Wheeler“, die eine der blutigsten Perioden des Jahres 1967 einleiten sollte.

Das Kommando über die Tiger Force hatte inzwischen Bataillons-Kommandeur Lieutenant Colonel Gerald Morse übernommen, der neben der Tiger Force drei andere Einheiten leitete. Der 38-Jährige, als aggressiver Anführer bekannte Soldat, bewegte sich vor allem im Helikopter fort und hielt gewöhnlich Funkkontakt mit seinen Einheiten im 1. Bataillon, 327. Infantrie-Division.

Nur Tage nachdem Morse die Führung übernommen hatte, änderte er die Namen der drei Kompanien: Fortan nannten sich die drei Kompanien nicht mehr A, B und C, sondern Assassins (Mörder), Barbarians (Barbaren) und Cutthroats (Verbrecher). An den Bataillons-Hauptquartieren wurden entsprechende Namensschilder angebracht. Morse nannte sich außerdem „Ghost Rider“.

Unter seinem Kommando durchkämmte die Tiger Force Dutzende kleiner Dörfer in der Provinz. Wie die Soldaten sehr schnell erfahren sollten, war dies ein wesentlich schwierigeres Unterfangen als im Song-Ve-Tal, denn hier traf man nicht nur auf die Vietcong, sondern auch auf die gut ausgerüstete Zweite Division der nordvietnamesischen Armee.

Nachdem sich die Truppen aus dem Norden eine Zeit lang in den Annamese-Bergen versteckt hatten, bewegten sie sich nun in Richtung Chu Lai, der immer weiter auswuchernden amerikanischen Militärbasis, auf der auch die Tiger Force beheimatet war.

Ab Anfang September stellten die Vietnamesen den US-Truppen Fallen und versuchten, sie in Hinterhalte zu locken – darunter auch die Tiger Force. „Plötzlich stand uns der Feind Auge in Auge gegenüber“, erinnert sich der damalige Specialist Carpenter, der nun im Osten Ohios lebt. „Es schien fast so, als würden wir jeden Tag getroffen.“ In den ersten drei Wochen im neuen Operationsgebiet starben fünf Tiger-Force-Kämpfer, zwölf wurden verletzt. Die verbliebenen Soldaten waren entsprechend verbittert und wütend.

Verletzte US-Soldaten in Vietnam: Rache für die gefallenen Kameraden

In Splittergruppen von vier bis sechs Soldaten sann die Tiger Force nun auf Rache und attackierte die Dörfer. „Alle waren damals blutrünstig, jeder wollte es den Vietnamesen heimzahlen und die Zahl der gefallenen Kameraden begleichen“, erklärt Ex-Sanitäter Rion Causey. Ihre Aggressionen ließen die Soldaten, Causey zufolge, an unbewaffneten Zivilisten aus, die sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen.

„So etwas habe ich noch nie gesehen. Wir sind da einfach rein gegangen und haben die Zivilbevölkerung ausgelöscht“, sagt Causey, heute 55 Jahre alt und Nuklear-Ingenieur in Kalifornien. „Und das haben wir jeden Tag gemacht.“

Immer wieder hatte die US-Armee auch Flugblätter über den Dörfern abgeworfen und die Bewohner dazu aufgefordert, sich in die Umsiedlungslager zu begeben. „Diejenigen, die dennoch blieben, wurden getötet“, so Causey.

Um die Erschießungen zu vertuschen, gingen die Platoon-Führer nun auch dazu über, getötete Zivilisten als feindliche Kämpfer zu zählen, so fünf ehemalige Soldaten gegenüber „The Blade“. Armee-Akten bestätigen diese Berichte: Gemäß den Aufzeichnungen sollen die Platoon-Soldaten in den zehn Tagen, die auf den 11. November folgten, 49 Vietcong getötet haben – wie die Unterlagen belegen, wurden in 46 Fällen keinerlei Waffen gefunden.

Causey erinnert sich auch noch an eine Meldung an die Kommandeure: „Wir gaben Funksprüche durch wie: ‚Sieben Vietcong rannten aus einer Hütte. Wir haben alle erschossen'“, so Causey. „Dabei sind diese Leute, verdammt noch mal, nicht weggerannt. Und wir wussten auch nicht mal, ob sie Vietcong waren.“

Sergeant James Barnett erzählte den Ermittlern, dass er einmal gegenüber Hawkins seine Bedenken wegen der Tötung unbewaffneter Vietnamesen äußerte. „Hawkins sagte nur, ich solle mir keine Sorgen machen“, so Barnett. „Um die Waffen können wir uns immer noch später kümmern.“

Wie Armee-Unterlagen zeigen, begingen die Soldaten in dieser Phase ihre brutalsten Gräueltaten: Ein 13-jähriges Mädchen wurde missbraucht, danach wurde ihr die Kehle durchgeschnitten. Eine junge Mutter wurde erschossen, nachdem man ihre Hütte abgebrannt hatte. Ein unbewaffneter Teenager wurde in den Rücken geschossen, nachdem ein Platoon-Sergeant ihn aufgefordert hatte, sein Dorf zu verlassen. Ein Tiger-Force-Soldat köpfte ein Baby – weil er dessen Halskette mitnehmen wollte.

Joseph Evans, ein Ex-Gefreiter, der im Zuge der Armee-Ermittlungen gegen die Tiger Force seine Aussage bislang verweigerte, sagte nun gegenüber „The Blade“, dass viele Vietnamesen, die während des Krieges vor den US-Soldaten flohen, keinerlei Bedrohung für die Amerikaner darstellten. „Die rannten einfach nur, weil sie panische Angst hatten“, so Evans. „Wir haben viele Leute getötet, die nicht hätten getötet werden sollen.“

Granateneinsatz gegen Zivilisten in Bunkern

Für die Dorfbewohner war das Verstecken in unterirdischen Schutzbunkern längst Routine. In jedem kleinen Dorf gab es diese von Bambus gestützten und mit Blättern getarnten Höhlen, in denen sich die Zivilisten ebenso vor den Amerikanern wie vor den Nordvietnamesen versteckten.

Menschliche Schreie aus dem Bunker – und niemand hilft

Erbitterter Kampf während der „Tet-Offensive“: „Die einzigen Möglichkeiten auszusteigen waren, entweder getötet oder schwer verwundet zu werden“

So suchten auch die Bewohner eines kleinen Dorfes 32 Kilometer westlich von Tam Ky, Zuflucht in einem Erdbunker, als Tiger-Force-Soldaten plötzlich auf einem Pfad zu ihrem Dorf auftauchten. Tiger-Force-Soldaten erzählten Ermittlern später, dass sie dort Frauen und Kinder in die Eingänge kriechen sahen.

Keiner wusste genau, wie viele Menschen sich in dem unterirdischen Bunker versteckten. Doch das interessierte auch niemanden. Als die Soldaten die Zugänge erreichten, wussten sie, „was zu tun war“, erinnerte sich der Gefreite Ken Kerney gegenüber den Militär-Ermittlern. Ohne auch nur ein Wort mit den Menschen im Untergrund zu wechseln, warfen die Soldaten entsicherte Handgranaten in die Höhle hinein.

Nicht weit davon entfernt schlugen die Soldaten später ihre Zelte auf, wo die ganze Nacht Schreie aus den unterirdischen Bunkern drangen.

Aber keiner machte sich die Mühe zu helfen.

Platoon-Soldat Charles Fulton kam es so vor, als würde diese Nacht nie enden. „Wir hörten ständig die menschlichen Laute, die aus der Richtung der Bunker kamen“, erklärte Fulton den Ermittlern. „Das waren die Stimmen von Verletzten, die um Hilfe riefen. Wenn auch schwach, waren diese doch klar zu verstehen.“

Wie andere Ex-Soldaten aussagten, wurden die Leichen schließlich von den Dorfbewohnern weggebracht. In den Bunkern wurden Augenzeugenberichten zufolge keine Waffen oder sonstige Hinweise darauf gefunden, dass diese Leute eine Bedrohung für die US-Soldaten dargestellt haben könnten. Am nächsten Tag sahen Soldaten im Dorf die Leichen von Frauen und Kindern auf der Straße liegen.

Zielvorgabe erreicht: 327 Vietnamesen getötet

In der letzten Phase der „Operation Wheeler“ wurde die Lust am Töten sogar noch größer. Wie sich Jahre später sieben Soldaten erinnerten, kam eines Tages per Funk der Befehl, 327 Vietnamesen zu töten. Diese Zahl war deshalb von Bedeutung, weil sie gleichzeitig die Kennungszahl des Bataillons war, die des 327. nämlich. Drei ehemalige Soldaten schworen später einen Eid darauf, dass diese Zielvorgabe von „Ghost Rider“ kam – diesen Spitznamen benutzte Colonel Morse im Funkverkehr.

Wie Armee-Akten belegen, wurde diese Marke auch tatsächlich erreicht. Am 19. November meldete Tiger Force den 327. getöteten Vietnamesen.

Colonel Morse, der 1979 in den Ruhestand versetzt wurde, stritt in einem Interview mit „The Blade“ ab, diesen Befehl jemals gegeben zu haben und bezeichnete die Vorwürfe als „lächerlich“. „Ich hätte so etwas niemals getan“, so Morse.

Der Ex-Gefreite John Colligan erklärte im Rahmen einer Befragung von Armee-Ermittlern jedoch, dass dieser Befehl sehr wohl erteilt wurde. Außerdem sollte Colligan zufolge derjenige, der den 327. Vietnamesen tötete, „irgendeine Belohnung erhalten“. Auch Sergeant Barnett sagte den Ermittlern, dass er den Funkbefehl von einer Person gehört habe, die sich als „Ghost Rider“ identifizierte.

Drei andere Ex-Soldaten erklärten gegenüber „The Blade“, dass der „Body count“ von 327 getöteten Vietnamesen nur erreicht werden konnte, weil auch viele Dorfbewohner erschossen wurden.

Zahl der Todesopfer weiter unbekannt

Niemand weiß genau, wie viele unbewaffnete Zivilisten tatsächlich zwischen Mai und November 1967 durch die Tiger Force ums Leben kamen. Dem ehemaligen Sanitäter Rion Causey zufolge sollen die Soldaten des Platoons alleine in einem Monat 120 Dorfbewohner getötet haben. Causeys Sanitäterkollege Harold Fischer erinnert sich daran, dass die meisten Soldaten der Einheit, „auf allen Seiten, rechts wie links, Leute erschossen haben“, so Fischer. „Wir gingen einfach in die Dörfer und erschossen alle Einwohner. Wir brauchten dafür nicht mal einen Grund. Wer sich dort aufhielt, der war praktisch schon tot“, sagt Fischer.

Im Zuge der Ermittlungen der US-Armee gegen die Tiger Force konnten 18 Soldaten während ihrer Aktionen im zentral-vietnamesischen Hochland 20 Kriegsverbrechen nachgewiesen werden. Gegenüber „The Blade“ beschrieben ehemalige Mitglieder der Elitetruppe nun elf weitere Kriegsverbrechen, darunter:

  • In einem kleinen Dorf in der Nähe von Tam Ky wurden zwei ältere Männer ohne ersichtlichen Grund getötet. Einer wurde enthauptet; der andere war verwundet und erhielt von Sanitäter Barry Bowman den „Gnadenschuss“, so Bowman.
  • In der Nähe von Chu Lai erschoss der Gefreite Colligan einen älteren Mann – wie Sanitäter Harold Fischer sagt, wollte Colligan seine neue Pistole, Kaliber 38, an einem beweglichen Ziel testen.
  • In einem kleinen Dorf in der Nähe von Chu Lai erschossen dem ehemaligen Gefreiten Douglas Teeters zufolge Tiger-Force-Soldaten zahlreiche Dorfbewohner. Die Vietnamesen winkten den Soldaten mit Flugblättern zur Umsiedelung zu. Als von einer anderen Seite feindliche Schüsse abgefeuert wurden, eröffneten die US-Soldaten das Feuer in alle Richtungen.

„Wir haben eine ganze Reihe von ihnen getötet. Wie viele es waren, weiß ich allerdings nicht mehr“, so Teeters. „Aber ich erinnere mich daran, dass wir danach behaupteten, die Toten seien alle Vietcong gewesen; obwohl wir wussten, dass das nicht stimmte.“ Und die meisten Soldaten haben einfach geschwiegen, selbst wenn sie gar nicht beteiligt waren. „Man darf nicht vergessen, dass es da draußen im Dschungel keine Polizei gab, keine Gesetze, keine Richter“, sagt Kerney. „Man konnte tun und lassen, was man wollte, es gab niemanden, der einen hätte hindern können. Also schauten wir zu und schwiegen. Aus heutiger Sicht ist das schrecklich, wir hätten etwas unternehmen müssen. Aber damals war jeder der Meinung, dass das schon alles okay ist, was wir da machten. Aber das war es nicht – und das ist sehr traurig.“

Der Krieg wendet sich, Truppen geraten in die Defensive

Ende November war auch dieser lange Feldzug zu Ende.

In einem Artikel für die Armee-Zeitung „Stars and Stripes“ wurde der Tiger-Force-Soldat Sam Ybarra für den 1000. Toten der „Operation Wheeler“ gewürdigt. Am 27. November 1967 wurden die Tiger-Force-Kämpfer im Rahmen einer Zeremonie auf der Phan-Rang-Militärbasis mit Orden ausgezeichnet. Darunter auch Sergeant Doyle, der die Exekution eines Bauern angeordnet hatte.

In den folgenden Wochen zog sich die Tiger Force aus dem zentral-vietnamesischen Hochland zurück. Bis Ende des Jahres 1968 sollte sich der Krieg deutlich verändern. Die Nordvietnamesen starteten eigene Feldzüge – die „Tet Offensive“ – und attackierten 100 Dörfer und Städte im Süden des Landes.

Die Tiger Force wurde an die Grenze nach Kambodscha verlegt, um dort eine Militärbasis zu bewachen. Für den Sanitäter Rion Causey ging es damit im Vietnam-Krieg nun nicht mehr darum, Zivilisten zu töten, sondern eine amerikanische Hochburg zu halten; währenddessen marschierte der Feind immer weiter Richtung Süden auf Saigon zu.

Als das Basislager von nordvietnamesischen Kriegern angegriffen wurde und US-Soldaten starben, kam er zu einer bitteren Erkenntnis: „Die einzigen Möglichkeiten, aus der Tiger Force auszusteigen, waren, entweder getötet oder schwer verwundet zu werden.“

Causey sollte Recht behalten: Am 6. März 1968 wurde er verletzt. Bei seinem Abtransport im Hubschrauber schaute der Sanitäter auf seine Mitstreiter der Tiger Force hinab.

„Ich erinnere mich daran, dass ich da zu mir selbst sagte: ‚Gott vergebe euch dafür, was ihr getan habt. Gott vergebe euch‘.“

Michael D. Sallah, Mitch Weiss

Mit freundlicher Genehmigung des „Toledo Blade“

 

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Aus dem per ÖVP-Amtsmissbräuche offenkundig verfassungswidrig agrar-ausgeraubten Tirol, vom friedlichen Widerstand, Klaus Schreiner

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