Deutschland: Bis zu 20.000 Tote jährlich durch Krankenhauskeime
Krankenhausinfektionen treffen 400.000 bis 600.000 Patienten pro Jahr
Gefährliche Erreger: 400.000 bis 600.000 Patienten infizieren sich in Deutschland jedes Jahr neu mit Krankenhauskeimen – und 10.000 bis 20.000 versterben daran, wie eine aktuelle Schätzung zeigt. Insgesamt ist die Krankheitslast der fünf häufigsten im Krankenhaus erworbenen Infektionen bei uns sogar größer als im EU-Durchschnitt. Als Grund dafür geben die Forscher unter anderem die größere Zahl an stationär behandelten Patienten an.
Wer im Krankenhaus liegt, möchte so schnell wie möglich genesen. Doch oftmals fangen sich Patienten in der Klinik zusätzlich zu ihrer eigentlichen Erkrankung eine Infektion mit Krankenhauskeimen ein. Bakterien wie Staphylococcus aureus verzögern dabei nicht nur den Erholungsprozess. Sie können gerade für immunschwache Betroffene sogar lebensbedrohlich sein. Denn viele Krankenhauskeime sind gegen gängige Antibiotika immun und lassen sich nur schwer bekämpfen.
Von Lungenentzündung bis Sepsis
Schätzungen zufolge infizieren sich mehr als 2,5 Millionen Patienten in Europa jedes Jahr neu mit Krankenhauskeimen. Nun präsentieren Benedikt Zacher vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin und seine Kollegen neue Zahlen für Deutschland: Wie häufig sind solche im Krankenhaus erworbenen Infektionen bei uns – und wie schwer wiegen die Folgen für die Betroffenen?
Um dies herauszufinden, werteten die Wissenschaftler Daten aus einer Erhebung des Nationalen Referenzzentrums zum Auftreten von Krankenhausinfektionen aus. Dabei konzentrierten sie sich auf fünf verbreitete Erkrankungen, die zusammen fast 80 Prozent der im Krankenhaus erworbenen Infektionen ausmachen: Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen, Wundinfektionen, Clostridium difficile-Infektionen und Blutstrominfektionen.
250.000 verlorene Lebensjahre
Auf Grundlage dieser Zahlen schätzen Zacher und seine Kollegen, dass es in Deutschland jedes Jahr zu 400.000 bis 600.000 Krankenhausinfektionen kommt. 10.000 bis 20.000 Betroffene versterben daran – bisherige Schätzungen gingen von 10.000 bis 15.000 Todesfällen aus. Doch auch für Patienten, die die Infektion überleben, können sich schwerwiegende Konsequenzen für das Leben danach ergeben. Aus diesem Grund berechneten die Forscher erstmals in diesem Zusammenhang auch die Krankheitslast für Deutschland.
Die „Disability-Adjusted Life Years“ geben sowohl die durch vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre an als auch die Anzahl der Jahre, die ein Mensch mit Beeinträchtigung oder Behinderung lebt – je schlechter die Lebensqualität, desto höher der DALY-Wert. Das Ergebnis: Die durch Krankheit und Tod verlorenen Lebensjahre durch nosokomiale Infektionen liegen in Deutschland bei knapp 250.000 pro Jahr. Das sind 309 pro 100.000 Einwohner.
Über dem EU-Durchschnitt
Wie die Wissenschaftler berichten, lässt sich mit dem DALY-Modell der Schaden durch Krankenhausinfektionen besser abbilden und mit anderen Krankheiten vergleichen. „Damit können wir die Auswirkungen nosokomialer Infektionen auf die Gesundheit der Bevölkerung genauer abbilden und verlässlichere evidenzbasierte Grundlagen für Maßnahmen bereitstellen“, erklärt RKI-Präsident Lothar Wieler.
Wie aber steht Deutschland im EU-Vergleich dar? Auch das haben Zacher und sein Team untersucht. Demnach ist der Anteil der Patienten, die während eines Krankenhausaufenthaltes eine Infektion bekommen, bei uns mit rund 3,6 Prozent niedriger als im EU-Durchschnitt, der bei 5,5 Prozent liegt. Allerdings: Bezogen auf die Bevölkerung liegt Deutschland bei der Zahl der Infektionen und Todesfälle sowie der Krankheitslast (DALY) über dem europäischen Schnitt. So erkranken hierzulande jährlich 500 bis 650 Patienten pro 100.000 Einwohner an einer nosokomialen Infektion, im EU-Durchschnitt sind es 450 bis 500 Erkrankte pro 100.000 Einwohner.
Mehr Patienten als Ursache
Als wesentliche Gründe dafür geben die Forscher die größere Zahl an stationär behandelten Patienten und Krankenhausbetten an. Deutschland hat in Europa die höchste Anzahl an Krankenhausbetten und die zweithöchste Anzahl an Krankenhauspatienten pro 1.000 Einwohner und Jahr. „Eine Reduktion vermeidbarer Krankenhausaufenthalte ist daher zusammen mit einer effektiven Infektionskontrolle und -prävention ein wichtiger Schritt, um die Krankheitslast zu verringern“, schließt Wieler. (Eurosurveillance, 2019; doi: 10.2807/1560-7917.ES.2019.24.46.1900135)
Quelle: Robert Koch-Institut