FAKTEN GEGEN PANIKMACHE! Kleines Corona-Kompendium SARS, COVID-19 und humanpathogene Viren – von JUNGE WELT

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23.03.2020, 17:13:53 / INLAND

FAKTEN GEGEN PANIKMACHE

Kleines Corona-Kompendium

SARS, COVID-19 und humanpathogene Viren
Von Andreas Wessel
Passagier am Flughafen Hongkong mit Schutzanzug und Gesichtsmaske, 23. März 2020

Häufige Abkürzungen

Infektionen mit Coronaviren (CoVs) verursachen bei einer Reihe von Wirbeltieren, darunter Menschen, Nutztierbeständen und Wildtieren wie Vögeln, Fledermäusen sowie Mäusen Erkrankungen der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes, der Leber und des Zentralnervensystems.

 

Bis 2019 waren sechs humanpathogene CoVs bekannt, von denen zwei schwere, z.T. tödliche Krankheitsverläufe verursachten: SARS-CoV[-1] als Verursacher von SARS mit einem Ausbruch 2002 und MERS-CoV als Verursacher von MERS mit einem Ausbruch 2012.

Humanpathogene CoVs sind jedoch nicht neu im menschlichen Milieu, bereits Anfang der 1980er Jahre wurde geschätzt, dass Erreger wie HCoV 229E und HCoV-OC43 etwa ein Fünftel aller Erkältungen mit milden Verläufen verursachen, allerdings können auch diese bei Kindern und alten Patienten schwere Symptome auslösen.

Im Dezember 2019 wurde ein neuer CoV als Ursache einer Häufung von Fällen von Lungenentzündungen in Wuhan (China) identifiziert.

Zuerst provisorisch 2019-nCoV genannt, wurde der Erreger am 11. Februar 2020 offiziell als SARS-CoV-2 benannt, die durch ihn verursachte Krankheit als COVID-19.

Alle genannten Erreger können von Mensch zu Mensch übertragen werden, SARS-CoV[-1] und -2 wurden vermutlich ursprünglich von Fledermäusen auf den Menschen übertragen.

Vergleich von SARS und COVID-19

Die Erstsymptome von SARS waren Fieber (100%), Husten (61,8%), Muskelschmerzen (48,7%), Atemnot (40,8%) und Durchfall (31,6%).

Bei im Krankenhaus betreuten Fällen trat in 90,8% der Fälle Atemnot auf.

Die Atemnot trat im Durchschnitt 9,8 (±3,0) Tage nach den ersten Krankheitssymptomen auf.

Während des Krankheitsverlaufes entwickelten einige Patienten Leukopenie, Lymphopenie und Thrombopenie.

Bei COVID-19 sind die wichtigsten Manifestationen Fieber, Ermüdung und trockener Husten, während verstopfte oder laufende Nasen und andere Symptome der oberen Atemwege selten sind.

Der typische Krankheitsverlauf ist eine progressive Verschlechterung, wobei

  • milde Fälle (keine Atembeschwerden),
  • normale Fälle (Fieber, Atembeschwerden),
  • schwere Fälle (Atemnot, Atemfrequenz ≥30/min, partielle arterielle Sauerstoffsättigung≤300mmHg) und
  • kritische Fälle (Lungenversagen, Schock, damit verbundenes Versagen anderer Organe, die eine Intensivbetreuung notwendig machen)

unterschieden werden.

80% der Fälle verlaufen leicht (mild bis normal), 16% schwer und etwa 6% kritisch – allerdings schwanken die Zahlen je nach betrachteter Population.

Die Sterberate ist derzeit nur sehr schwer einzuschätzen, da die realen Infektionszahlen mangels flächendeckender Tests nicht bekannt sind.

Die aktuelle (21. März 2020) Sterberate als Verhältnis von gemeldeten Fällen (positiv getesteten Infizierten, diese fast immer mit Symptomen) und Verstorbenen liegt zwischen 0,3% in Deutschland und 8,6% in Italien (weltweit 4,1%, China 3,9%, Spanien 5,1%, Frankreich 3,4%, UK 4,4%, Südkorea 1,2%, Niederlande 3,5%).

Allerdings gehen Schätzungen von einer starken Untererfassung der Infizierten aus.

Die Zahlen schwanken dabei zwischen 5 und knapp 10% der Erfassung, d.h. die Zahlen der tatsächlich Infizierten wären um den Faktor 10 bis 20 höher als die offiziellen Angaben und die Letalität entsprechend niedriger.

Zum Vergleich: die Wintergrippe 2017 hatte eine Letalität von knapp 0,3% (bei geschätzten 9 Millionen Infizierten und 25.100 Toten).

Die Mehrzahl der Erkrankungen betrifft ältere Patienten (Altersmedian in Deutschland 47 Jahre), unter 20-Jährige sind kaum betroffen, jedoch sind schwere Fälle bei jungen Patienten dokumentiert, die bestimmte Vorerkrankungen haben, besonders chronische Krankheiten, wie Diabetes und Hepatitis B.

Ebenfalls gefährdet sind Personen unter Langzeitbehandlungen von Hormonen oder Immunsuppressiva mit verringerter Immunabwehr.

Bei den Älteren sind besonders Patienten mit Herzerkrankungen, Bluthochdruck und langjährige Raucher gefährdet.

Die Inkubationszeit (Zeitdauer von der Infektion bis zum Krankheitsausbruch mit ersten Symptomen) von COVID-19 ist mit 3-7 Tagen (max. 14 Tage) etwas länger als die von SARS mit 1-4 Tagen (selten über 10 Tagen).

Herkunft des Virus

Es ist bekannt, dass Fledermäuse als Wirte von mehr als 30 Coronaviren auftreten.

2010 konnte in der Chinesischen Hufeisennase ein Virus nachgewiesen werden, dessen Genom eine große Ähnlichkeit mit SARS-CoV[-1] aufweist, als Zwischenwirt zum Menschen traten vermutlich Schleichkatzen auf, die in unmittelbarer Nähe von Menschen gehalten wurden.

Der neuaufgetretene SARS-CoV-2 teilt mit SARS-CoV[-1] über 80% des Genoms; aus der Java-Hufeisennase wurde ein Coronavirus mit 96,2%-iger Genomähnlichkeit isoliert und diese damit als Quelle des neuen Virus wahrscheinlich gemacht.

Die Übertragung des neuen Virus fand wahrscheinlich durch Schuppentiere – in Asien als Pangolin bezeichnet – statt, deren Fleisch als Delikatesse gilt und deren (Keratin-)Schuppen in der traditionellen Medizin Verwendung finden.

Studien zeigten, dass etwa 70% aller Pangoline Coronaviren in sich tragen.

Ein kürzlich isolierter Virus zeigt eine 99%-ige Übereinstimmung der RNA-Sequenz mit SARS-CoV-2, so dass Schuppentiere zumindest als einer der Überträger sehr wahrscheinlich sind.

Prävention, Diagnose, Behandlung

Prävention

Da die Übertragung durch Tröpfchen und direkten Kontakt erfolgt, ist allgemeine Kontakteinschränkung, frühzeitige Erkennung und Isolierung von Infizierten sowie Überwachung stark frequentierter Plätze und Räume notwendig.

Bei direktem Kontakt zu Infizierten, z.B. durch Pflegepersonal, sollte eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) der niedrigsten Sicherheitsstufe (international: Level D) getragen werden.

Um neuerliche Erstübertragungen von Wildtieren zu verhindern, sind in den Herkunftsgebieten die Jagd, der Handel und der Verzehr von Wildtieren zu unterlassen.

Diagnose

Die frühen Symptome von SARS und COVID-19 sind denen der Wintergrippe sehr ähnlich,

und der wichtigste Weg zur Unterscheidung von Influenza und Lungenentzündung ist ein Rachenabstrich für einen Virustest.

Die momentan angewandten, sicheren Nachweismethoden beruhen allesamt auf PCR (Polymerase-Kettenreaktion) und nehmen einige Stunden in Anspruch. Meist wird der Test zweistufig durchgeführt, d.h. zuerst wird eine Virusinfektion durch unspezifische Primer bestätigt, dann SARS-CoV-2 durch spezifische Primer nachgewiesen.

Sogenannte Schnelltests suchen dagegen nach Antikörpern, die der Körper nach einer Infektion zu bilden beginnt. Diese Tests greifen daher erst einige Tage nach der Infektion und sind recht unspezifisch, sie können beispielsweise durch frühere Infektionen mit CoVs verfälscht werden. Daher bedarf jeder Verdachtsfall einer Überprüfung durch einen spezifischen PCR-Test.

Behandlung

Da SARS-CoV[-1] und SARS-CoV-2 ähnliche Symptome hervorrufen, können die Erfahrungen aus der Pandemie von 2003 für die Behandlung von COVID-19 genutzt werden.

SARS-Patienten wurden isoliert und antiviral sowie symptomatisch behandelt, als Medikamente kamen Hormone, Glukokortikoide und Interferon zum Einsatz.

Für COVID-19 kam in China u.a. eine Kombination von Lopinavir als Protease-Hemmstoff, der auch für HIV-Infektionen eingesetzt wird, in Kombination mit Ritonavir als Verstärker zum Einsatz. Die Kombination hat deutliche Anti-Coronavirus-Aktivität in vitro, der klinische Effekt ist noch festzustellen.

Bei der SARS-Pandemie 2003 wurde in Kanada erstmals Interferon eingesetzt, ursprünglich entwickelt zur Behandlung chronischer Hepatitis, erwies es sich als äußerst vielversprechend.

Bei der MERS-Epidemie wurde eine Kombination von Interferon-alpha und Ribavirin in den USA erfolgreich getestet.

Seit kurzem wird das in Kuba entwickelte Medikament Heberon Alfa R in Zusammenarbeit mit China in großem Stil (und extrem preiswert im Vergleich zu US-amerikanischen und deutschen Produkten) produziert.

Auch bekannte Wirkstoffe wie Nelfinavir greifen spezifisch die Protease von CoVs an.

Das für Ebola entwickelte Nukleosidanalogon Remdesivir wird derzeit in den USA als Propharmakon getestet und intravenös verabreicht.

In China werden derzeit mehr als 30 potenzielle Wirkstoffe getestet.

Genomischer Vergleich der CoVs

Coronaviren haben die größten Genome aller RNA-Viren.

Innerhalb der Coronaviren formen die humanpathogenen Viren aufgrund der genetischen Ähnlichkeit eine Gruppe zusammen mit einem Fledermaus-Coronavirus (bat-SL-CoVZXC21) aus dem Südwesten Chinas.

Die genomische Ähnlichkeit von SARS-CoV[-1] und SARS-CoV-2 ist sehr groß, es gibt jedoch sechs Abschnitte, die Unterschiede aufweisen. Einer davon codiert Teile des S-Gens (s.u.), die anderen sind für zwei sogenannte orf lab-Gene zuständig (orf7b und orf 8).

Die beiden SARS-CoVs sind enger miteinander verwandt als mit MERS-CoV.

26 der 28 codierten Proteine von SARS-CoV-2 sind mit denen von SARS-CoV[-1] zu 76-99% identisch, zwei Proteine (orf8 und orf10) haben keine Homologe in SARS-CoV[-1].

Die Funktion dieser Proteine ist unbekannt und dessen Aufklärung von großer klinischer Bedeutung.

Das für die Virushülle zuständige Protein (Nukleokapsid-Protein) ist bei beiden SARS-CoVs sehr ähnlich, so dass Antikörper gegen das N-Protein von SARS-CoV[-1] wahrscheinlich auch SARS-CoV-2 erkennen werden – dies ist auch die Grundlage von Schnelltests.

Mutiert dagegen ist das Gen (S-Gen), welches für die Bildung der charakteristischen »spikes«, der Stacheln des Virus, zuständig ist.

Die spikes sind für die Verbreitung und Pathogenität des Virus entscheidend, da der Virus mit ihnen an die Wirtszellen bindet und in diese eindringt.

SARS-CoVs binden an den ACE2-Rezeptor (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) und hemmen gleichzeitig dessen Funktion, was u.a. zu erhöhter Gefäßpermeabilität in der Lunge führt und zentraler Teil der Pathologie von SARS und COVID-19 ist.

Im direkten Vergleich nutzt SARS-CoV-2 die ACE2-Rezeptoren effizienter als SARS-CoV[-1] des Jahres 2003, aber weniger effizient als SARS-CoV[-1] von 2002.

Die Mutation der Proteine, besonders des S-Proteins, ist verantwortlich für die beiden wichtigsten Eigenschaften des neuen humanen CoVs: eine höhere Infektionseffizenz und höhere Pathogenität als Fledermaus-SARS-CoVs, aber eine geringere Pathogenität als SARS-CoV[-1].

Viren mutieren ständig und während einer Pandemie werden somit auch häufig neue Varianten des Virus auftauchen. Nicht alle, genauer gesagt: nur wenige Mutationen werden neue Eigenschaften hervorrufen, aber es ist nicht auszuschließen, dass die z.T. stark variierende Letalität von COVID-19 in verschiedenen Populationen auch auf Mutationen des Erregers zurückgeht.

Fazit in der »Krise«

COVID-19 hat, bei entsprechender medizinischer Betreuung, keine höhere, sondern eher eine niedrigere Letalität als die Wintergrippe von 2017, allerdings eine wesentlich höhere Verbreitungseffizienz.

Dazu kommt die relativ lange Inkubationszeit verbunden mit vielen leicht verlaufenden Erkrankungen, die oft gar nicht als COVID-19 erkannt werden (können).

Kritische, d.h. potenziell tödliche Krankheitsverläufe sind fast ausschließlich für bestimmte Risikogruppen zu erwarten, die daher eines besonders effektiven Schutzes bedürfen.

Zur Beherrschung der Folgen der Ausbreitung dieses neuartigen Coronavirus ist daher eine Kombination von allgemeiner Ausbreitungseindämmung (z.B. durch hygienische Maßnahmen und Verhaltensänderungen bei Direktkontakt), Isolation der Risikogruppen, Anpassung der bekannten und Entwicklung neuer Methoden der klinischen Symptombehandlung, Entwicklung und Anwendung eines Impfstoffes und Nutzung der Immunität nach durchlaufener Infektion (mit oder ohne Symptome) vonnöten.

Letzteres scheint als einziger Punkt zu wenig Beachtung zu finden, und könnte sich kritisch bei der mittel- und langfristigen Beherrschung der Pandemie auswirken, da eine zu starke Isolation von Nicht-Risikogruppen die Ausbildung flächendeckender Immunisierung vermindert, die letztendlich der einzig wirksame Schutz der gesamten Population ist.

Langfristig wird gerade in Pflegeeinrichtungen immunisiertes Personal benötigt, die den Erreger nicht mehr übertragen können.

Auch die (bislang) völlige Unempfindlichkeit von Kindern für SARS-CoV-2 könnte für eine »Herdenimmunisierung« genutzt werden.

Wichtigste Quellen:

– Macnaughton, M. R. 1982. Occurrence and frequency of coronavirus infections in humans as determined by enzyme-linked immunosorbent assay. Infect Immunology 38(2): 419-423.

– Robert-Koch-Institut 2020. SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html

– Xu, J. et al. 2020. Systematic comparison oft wo Animal-to-human tramsmitted human coronaviruses: SARS-CoV-2 and SARS-CoV. Viruses 12(2): 244; DOI: 10.3390/v12020244 [publ. 22. Februar 2020]

– 2019 Novel Coronavirus COVID-19 (2019-nCoV) Data Repository by Johns Hopkins CSSE, https://github.com/CSSEGISandData/COVID-19

Andreas Wessel ist Diplombiologe, freier wissenschaftlicher Autor, Publizist und regelmäßiger jW-Autor.

 

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