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Rezeptblog
Ernest Pichlbauer über Gesundheitspolitisches
COVID19 – Testen, Testen, Testen heißt Daten, Daten, Daten!
Ich bin kein Epidemiologe, deswegen halte ich mich aus der Diskussion raus. Epidemiologie ist in der Versorgungswissenschaft sowas wie die theoretische Physik in der Naturwissenschaft.
Die Aufgabe der Epidemiologen ist leicht zu verstehen. Sie fragen sich, wer hat welche Krankheit, seit wann, woher und mit welchem Verlauf und welchem Ergebnis für seine Gesundheit?
Doch um das zu beantworten, müssen komplizierte und am Ende komplexe Modell gerechnet werden, die aus vielen Parameter bestehen. Diese Parameter sind so zu wählen, dass für jeden eine plausible Annahme getroffen werden kann, weil meistens harte Daten fehlen, und erst später experimentell bestätigt werden können. Und während man für viele Krankheiten Jahre Zeit hat, viele Experimente machen und so Modelle immer nachziehen kann, ist das bei einer Pandemie durch einen neuartigen Erreger, die sich explosionsartig ausbreitet, schlicht nicht möglich – dann ist Können angesagt.
Wären alle möglichen Daten in IST-Zeit zugänglich, wäre die Aufgabe der Epidemiologen leicht – doch das ist nie der Fall. Also müssen sie zuerst Krankheitsmodelle entwerfen, die sich aus Risikofaktoren zusammensetzen und messbar sind. Und die müssen sie dann mit sozioökonomischen, kulturellen und demographischen Daten verknüpfen. Die Schwierigkeit besteht darin, das alles so zusammenzubringen, dass selbst widersprüchliche Annahmen ein schlüssiges Bild ergeben.
Im Fall von COVID19 wissen Epidemiologen wenigstens schon mal ein paar Risikofaktoren, die den Verlauf bestimmen: Alter, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, COPD, Hypertonie, Krebserkrankung, Einnahme von immunsuppressiven Medikamenten, Body-Mass-Index, Geschlecht, Raucherstatus. Wie wichtig die alle zueinander und miteinander sind, das ist noch nicht so klar. Wie Infektiös das Virus ist, da herrscht auch noch Unsicherheit. Auch die Zeit von der Ansteckung bis zu ersten Symptomen (sofern die überhaupt auftreten, da es auch die stille Feiung gibt), und der zeitliche Verlauf, ist noch unklar. Welche Übertragungswege bestehen, ist auch noch nicht restlos geklärt, vor allem, wie lange das Virus auf Oberflächen überlebt und so über den direkten Mensch zu Mensch-Kontakt hinaus verteilt werden kann. Welche sozioökonomischen Faktoren mitbestimmend sind (denken wir an die Urlauber in Ischgl), da suchen sie noch.
Und wenn einmal das alles so plausibel wie möglich geschätzt ist, darf nicht vergessen werden, dass jedes Modell maßgeblich von der regionalen Kultur bestimmt wird! Ein Modell das in China passt, muss nicht in Österreich passen – etwa, weil bei uns die Wohnungen größer und die Zahl der Bewohner geringer ist, oder weil wir nicht frisches Fleisch auf Bauernmärkten kaufen, oder weil die durchschnittliche Niederschlagsmenge im Februar geringer ist, oder weil wir mehr Autos haben, oder weil wir Hände schütteln, statt uns kontaktlos voreinander zu verbeugen! All diese Parameter können in Modellen wichtig sein – und weil das alleine schon im ersten Bezirk in Wien anders ist als im Mostviertel, müssen die Modelle so parametrisiert werden, dass sie eben solche Unterschiede zulassen. Deswegen müssen oft „alte“, regionale Modelle vergangener Epidemien herangezogen werden, um Anpassungen vornehmen zu können.
Und nicht selten kommt es eben zu Widersprüchen und/oder Rückkoppelungen in den Parametern – und das macht aus kompliziert komplex!
Diese Modelle müssen die Vergangenheit der Krankheitsausbreitung darstellen – und erst wenn das klappt, sind die Modell so stabil, dass damit Prognosen möglich werden. Und wenn diese Modelle so modelliert sein sollen, dass von Ihnen auch präventive Maßnahmen abgeleitet werden können (also Masken oder nicht, Schulen offen oder nicht …), dann müssen die Parameter zudem so gewählt werden, dass sie beeinflussbar sind. Und um dann den Erfolg oder Misserfolg von solchen Maßnahmen beobachten zu können, müssen Indikatoren definiert werden, die das messen können. Zudem müssen diese Indikatoren so sicher und leicht erhebbar sein, dass sie nicht zu einer zusätzlichen Dokumentationsbelastung für ein in der Regel ohnehin überfordertes Gesundheitspersonal werden – nicht weil Epidemiologen Mitleid hätten, nein, wenn der, der Daten sammeln soll, das mit Widerwillen tut, sind die Daten schlecht!.
Und all das bedeutet in der Praxis aus extrem wenigen und unsichern Daten, mit ausgefuchsten statistischen Methoden, extrem viel und akkurat herauszulesen – und deswegen sind eben Epidemiologen so selten wie theoretische Physiker in der Naturwissenschaft! Ich bin in diesem Zusammenhang höchsten Ingenieur.
Aber klar ist, selbst die besten Epidemiologen brauchen so viele Daten wie möglich. Deswegen ruft die WHO laut „TESTEN, TESTEN, TESTEN“. Denn, je weniger Daten, desto weniger Parameter, desto unsicherer die Vorhersagen, und je schlechter die Daten, desto schlechter die Vorhersagen. Testen heißt Daten sammeln! Es geht dabei nur darum, die Krankheit epidemiologisch zu verstehen, nicht um die Zahl der Infizierten herauszufinden.
Warum brauchen wir diese Modelle in dieser Pandemie?
Wenn wir die Strategie verfolgen, so wenige Neuinfektionen wie möglich zu erreichen, dann brauchen wir keine Modelle, sondern einfach nur extrem scharfe Isolationsvorschriften. Wenn jeder zu Hause sitzt und keiner sich dem nächsten auf weniger als zwei Meter nähert, dann wird die Ansteckungsgefahr soweit reduziert, dass niemand irgendwas rechnen muss. Nur darf dann halt eine Mutter Ihr Baby nicht wickeln, einem Herzinfakrtpatienten ruft dann eine Ärztin von 2m Entfernung zu „wird schon wieder“, und der Wundmanager gibt übers Megaphon Anleitung, wie man sich selbst eine Kompression anlegt.
Dass wir bei COVID 19 eine Strategie verfolgen müssen. liegt daran, dass alles was wir bisher wissen, darauf hindeutet, dass relativ wenige (3%), aber absolut sehr viele Menschen (geschätzt werden es am Ende etwa 130.000 gewesen sein) im Verlauf von COVID19 eine so schwere Lungenentzündung haben, dass sie von selbst zu schwach sind, um zu atmen. Und die einzige, bisher bekannte Therapie dieses Verlaufs ist die Beatmung durch Maschinen. So lange, bis das Immunsystem des Körpers genug Viren getötet hat, dass die Entzündung abklingt. Oder eben der Patient stirbt, weil sein Immunsystem dafür zu schwach ist.
Der Limitierende Faktor bei der Versorgung von COVID19-Patienten ist daher die Infrastruktur, die diese Behandlung ermöglicht – Beatmungsgeräte! Je mehr desto besser! Doch das Problem ist, jedes Gesundheitssystem hat so viele dieser Geräte, wie es für „normale“ Spitzenzeiten braucht. Aber normal ist halt jetzt nichts. Und wir haben aktuell etwa 900 dieser Geräte für COVID19 Patienten, die ein Patient etwa 5 Tage braucht! Also müssen wir, wenn wir nicht mehr Geräte bereitstellen können, die geschätzten 130.000 Patienten auf zwei Jahre, oder bist eine andere Behandlungsmöglichkeit (Impfung, Medizin) besteht, verteilen – Flatten the Curve!
Flatten the Curve! Aber wie flach will das unsere Regierung und warum?
Epidemiologen wissen eben bereits, dass in einer Durchschnittspopulation etwa 3% der aktiv kranken COVID19-Patienten eine künstliche Beatmung brauchen. Das Problem dieser Aussage ist, dass es keine „Definition“ der Durchschnittspopulation gibt. Wie alt ist die, wie chronisch krank, wie dick, wie viele rauchen? Das ist bei weitem noch nicht klar, also arbeiten alle daran, herauszufinden, wer genau zu den 3% gehört. Je genauer wir das sagen können, desto genauer kennen wir die „Risikogruppen“ und damit die Personen die man durch die Strategie schützen muss, damit sie nicht alle auf einmal krank werden.
Anfangs hat unsere Regierung eine gute Figur gemacht. Wenigstens auf der Kommunikationsebene. Und ich ging davon aus, dass nach außen eben Ruhe erzeugt wird, und im Hintergrund Epidemiologen arbeiten, um herauszufinden, mit welcher Strategie wir welche Personen schützen können.
Es gab dann so einige Punkte, an denen ich begann, an der Regierung zu zweifeln.
Der wichtigste war wohl, als dieser Datensalat am 26.3.2020 bekannt wurde. Offenbar haben wir es noch nicht einmal geschafft, und schaffen es bis heute nicht, aktuelle Zahlen für zwei Prävalenzen zu haben: Hospitalisierung und Intensivbehandlung. Das ist schon sehr erschütternd. Denn wenn wir noch nicht einmal zwei so einfach Daten wenigstens stundenaktuell hinkriegen, sondern gerade einmal recht und schlecht alle 24 Stunden, dann haben die Epidemiologen praktisch nichts in der Hand, außer Daten aus der Literatur. Und offenbar wurde und wird bei keinem COVID-Test irgendein epidemiologisch relevanter Wert erhoben, ja noch nicht einmal bei den hospitalisierten oder beatmeten Patienten.
Dann wurde in der PK am 26.3. das Prognosemodell gezeigt – ein paar Grafen, keine Daten. Hochgradige Intransparenz! Und das Modell selbst? Bereits 4 Tage nach der Präsentation liegt die Zahl der Intensivpatienten 25% über der Prognose. Das ist die Folge fehlender Daten – weil eben nicht erhoben wird, wer wann erkrankt, und wie sein Verlauf ist! Es ist aber wichtig, herauszufinden, an welchem Tag der Krankheit eine Hospitalisierung und eine Beatmung nötig wird!
Auffällig war auch, dass die Regierung, offenbar mangels erhobener Daten, einem einfachen Weg folgte. Die Länder haben gemeldet, sie können 900 Beatmungsgeräte für COVID19 Patienten freispielen. Die Literatur sagt, dass etwa 3% der Infizierten (mit Symptomen und positiv getestet) ein Beatmungsgerät brauchen.
Wenn 900 Geräte da sind, und 3% der Kranken ein Gerät brauchen, dann dürfen also nicht mehr als 30.000 krank sein (so verkündet auf der PK). Weil die Krankheitsdauer mit 14 Tage angenommen wird, dürfen daher nicht mehr als 2143 Neuerkrankungen täglich stattfinden, damit alle, die ein Beatmungsgerät brauchen, auch eines kriegen.
Das ist echt noch keine Epidemiologie – das ist bis hierher eine einfache Schlussrechnung! Das hat mich schon sehr skeptisch gemacht, weil ich das, ohne Epidemiologe zu sein, so leicht nachrechnen konnte.
Warum auch immer, die Transparenz ist ja trotz Krise immer noch österreichisch, wurde politisch festgelegt, dass nur 10.000 bis 15.000 aktiv krank sein sollen (ich denke, dahinter stecken so föderale Frage wie – das niederösterreichische Beatmungsgerät nur den Niederösterreichern! Also muss sich die Zahl an der niedrigsten verfügbaren ländlichen Ausstattung orientieren), womit die Zahl der Neuerkrankungen auf 715 bis 1.000 limitiert wurde. Und diese Zahl war dann die „heilige Kuh“ – das war das anzustrebende Ziel, dem alle Maßnahmen dienen müssen. Wir flachen die Kurve also soweit ab, dass nicht mehr als 1.000 Neuerkrankungen auftreten – als globale Zahl, gemessen an den positiven Tests – keine weitere Konkretisierung!
An diesem Punkt war ich schon sehr sauer. Denn was heißt das, wenn alles getan werden muss, dass diese Zahl so niedrig bleibt.
Eine kleine Kopfrechnung: um eine natürliche Herdenimmunität (bis wir eine andere Therapie oder Impfung haben, die einzige Chance!) zu erreichen, müssen 4 – 5 Millionen Österreicher COVID19 durchgemacht haben. Sagen wir, wir machen alles, dass es 1.000 Neuinfizierte pro Tag gibt, und erreichen die Herdenimmunität schon bei 4 Millionen Einwohnern, dann müssen wir für die nächsten 11 Monate so weitermachen. Keine Schulen, keine Unis, keine Arbeiten, die weniger als einen Meter Abstand erfordern, keine Besuche in Altersheimen, keine planbaren Operationen – Lock down für 11 Jahre (133 Monate!)! Ernsthaft? Das ist die Strategie der Regierung? Obwohl klar ist, dass für alle gesunden Menschen unter 50 eine Infektion nicht schlimmer ist, als ein grippaler Infekt?
Ganz glauben konnte ich das noch nicht, oder wollte das nicht! Die haben sicher einen oder mehrere Epidemiologen, die wie wahnsinnige Modelle rechnen, Annahmen überprüfen, schlicht herausfinden, wer diese „3%“ sind (am Ende werden es 1,5% der Gesamtbevölkerung sein, da ja ab 4 Mio. Infizierten und geheilten eine Herdenimmunität auftritt – also etwa 130 Tausend Österreicher), die wir schützen müssen, und wie das am besten geht.
Doch dann kam die PK vom 30.3.!
Dazu gibt es eine Vorgeschichte, wie sich herausstellte. Am 29.3. hat eine Gruppe Mathematiker ein „Expertenpapier“ als offenen Brief an die Regierung und die APA geschickt – und es leider auf orf.at geschafft. Aus versorgungswissenschaftlicher Sicht ist es ein unsäglich schlechtes Papier. Was echte Epidemiologen dazu sagen, möchte ich gar nicht wissen. Doch das ist im Grund unwichtig – wichtig ist nur die politische Reaktion!
Angeblich gibt es ja – und ich habe immer auf ihn gehofft – einen Krisenstab, in dem eben die gescheiten Köpfe (=Epidemiologen) sitzen und die Regierung beraten. Und auf Basis dieser Beratung dachte ich, hat die Regierung, wie alle anderen auch, etwa die Wortwahl „Abflachung der Kurve“, „prozentueller Zuwachs bei den Infektionen“ und „Verdoppelungsraten“ verwendet. Leicht verständlich für jeden – etwas sehr wichtiges in der Krisenkommunikation.
Und dann die PK! plötzlich referiert die Regierung über den R0-Wert. Ich war völlig von den Socken! Keine andere Regierung verwendet diesen Wert, weil er kompliziert ist. Wie wenig sogar der „gut beratene“ Kanzler von diese R0-Wert versteht, hat er dann gleich in einem ZIB-Interview (Min 4:15) bewiesen, als er meinte, der Wert liegt aktuell bei etwa 2 und er wäre mal bei 4 gewesen! Und das ist halt völlig falsch, weil der Basisreproduktionsfaktor R0 bei COVID19 bei 2,8-3,3 liegt (also nie 4 gewesen sein konnte), und NICHT veränderbar ist. Wenn, dann ist Rt ein von R0 unterschiedlicher Wert, der eben dann auch den Erfolg von Massnahmen zu einem bestimmten Zeitpunk (t) zeigt. Also, warum plötzlich dieser Wert? Und dann habe ich mich an dieses „Expertenpapier“ erinnert, da steht „Oberlehrerhaft“
„Für eine Epidemie ist die alles entscheidende Größe der Replikationsfaktor R0. [….] Wenn es nicht gelingt, rasch den Faktor R0 unter den Wert von 1 zu drücken, sind in Österreich zehntausende zusätzliche Tote und ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu erwarten.„
Keine Empfehlung des Krisenstabes, nein ein Zuruf von außen, der von „Experten“ stammt, die RO noch nicht einmal richtig verwenden können – nicht sehr vertrauensbildend.
Und als ob das nicht reichte, dann noch die Ankündigung der Maskenpflicht im Supermarkt. Woher kommt die?
Am 26.3.hat auf orf.at ein anderer Mathematiker (dessen Modell übrigens ganz anders aussieht als das der obigen Mathematiker) gemeint. „Was wir in Österreich unbedingt brauchen, ist eine Maskenpflicht. Vor allem in Supermärkten, dort stecken sich die Leute an“. Seiner Meinung soll eine Maskenpflicht die Infektionen um 75% bis 90% reduzieren (so zumindest zitiert das ein Journalist auf Twitter) – Da wird eine Empfehlung eines Mathematikers, der offenbar kein Epidemiologe ist und die Krankheit nicht versteht, praktisch wortwörtlich übernommen und vom Kanzler so umgesetzt! Ohne irgendeinen Beleg, ein Modell, eine Ahnung und epidemiologisch sicher falsch.
An dem Punkt bin ich gerade! Es ist 1:30 am 31.3 Und die Regierung, die offenbar planlos agiert, macht mir Angst!