Aus dieser Quelle zur weiteren Verbreitung entnommen: https://www.tagesschau.de/inland/johns-hopkins-uni-corona-zahlen-101.html?fbclid=IwAR36V35iYRRMR9sXdjpesH8vBjSYc5QQrSNstkFGPOA17mDLjqIk1s1ZMqs
Daten zur Corona-Pandemie: Woher die Johns-Hopkins-Zahlen stammen
Stand: 03.04.2020 15:04 Uhr
Mit der Corona-Krise wurde die Johns-Hopkins-Universität berühmt – als häufig zitierter Datenlieferant. ZAPP-Recherchen zeigen, dass die deutschen Zahlen offenbar von drei Onlinemedien stammen, stimmig sind, aber Fragen aufwerfen.
Von J. Becker, R. Hollstein und M. Milatz, NDR
Die Corona-Daten der Johns-Hopkins-Universität (JHU) bilden seit mehreren Wochen einen der Grundpfeiler der deutschen Berichterstattung in der Pandemie. Auch die 20-Uhr-Ausgabe der tagesschau verwendet diese Zahlen.
Die dabei stets genannte Quellenangabe Johns-Hopkins-Universität greift allerdings zu kurz. Denn die Daten, die die Universität in einem sogenannten Dashboard laut eigenen Angaben für 180 Länder in Echtzeit publiziert, stammen aus Hunderten Einzelquellen und laufen bei der Privatuniversität aus Baltimore lediglich zusammen. Gleicht man die Daten mit denen der offiziellen deutschen Meldestelle, dem Robert Koch-Institut ab, liegen die Zahlen der US-Universität teils um mehrere Tausend Neuinfektionen höher.
Daten stammen von deutschen Onlinemedien
Wie eine gemeinsame Recherche des Medienmagazins ZAPP und der Datenjournalisten von NDR Data zeigt, stammen die Zahlen für Deutschland von drei verschiedenen deutschen Onlinemedien: der „Berliner Morgenpost“, „Zeit Online“ und dem „Tagesspiegel“.
Die Medien warten für ihre eigenen Auswertungen nicht erst auf die offiziellen Zahlen des Robert Koch-Instituts, sondern rufen in einem teilweise automatisierten Prozess direkt die Zahlen der Gesundheitsämter, Ministerien und Staatskanzleien ab. Diese stehen in der offiziellen Meldekette vor dem Robert Koch-Institut und stellen die Zahlen der laborbestätigten Neuerkrankungen meist schneller zur Verfügung.
Seriöse Quellen über Umwege
Es handelt sich bei den Daten zu Deutschland also um verlässliche Informationen von offiziellen Stellen, die über die Medien zur JHU gelangen. Und damit ist die US-Universität tatsächlich schneller als das Robert Koch-Institut, das die Zahl der Neuinfektionen erst vermelden kann, wenn sie über die behördliche Meldekette bei ihm eingegangen sind. Allerdings ist die Quellenlage mehr als unübersichtlich, da die Daten teils über verschiedene Zwischenstationen zur JHU gelangen.
Auf ZAPP-Anfrage lässt die Universität wissen, dass ihre Hauptquelle – das „Worldometer“ – ein auf Echtzeitstatistiken spezialisierter Datendienst sei, der sich für Deutschland nahezu ausschließlich der Daten von der „Berliner Morgenpost“ bediene. Die Zahlen der Morgenpost werden ursprünglich in der Funke Zentralredaktion für die Blätter der Funke Mediengruppe erarbeitet.
Die Universität scheint dabei selbst nicht ganz auf dem aktuellen Stand zu sein. Zwar berief sich „Worldometer“ vom 5. März bis zum 27. März hauptsächlich auf die Zahlen der „Berliner Morgenpost“. Seither sind aber auch „Zeit Online“ und der Berliner „Tagesspiegel“ Quelle für das internationale Dashboard der US-Universität. Dies lässt sich über das „Internet Archive“ rekonstruieren.
Rund 40 Freiwillige verifizieren regionale Infizierten-Daten
Interessant ist wiederum, was hinter den „Tagesspiegel“-Daten steckt. Diese sammelt das Berliner Medienhaus gemeinsam mit einem Karlsruher Think-Tank namens „Risklayer“. Auch mit diesem Unternehmen hat ZAPP gesprochen: „Wir haben eine Quellenliste für alle amtlichen Bekanntmachungen der Landkreise erstellt“, sagt Risklayer-CEO James Daniell. „Wir wollen eine präzise Übersicht über die Situationen vor Ort geben, damit in allgemeinen Katastrophen- und Krisensituationen schneller Entscheidungen getroffen werden können.“ Rund 40 Freiwillige unterstützen Daniell und den „Tagesspiegel“ nach eigenen Angaben dabei, die regionalen Daten zu verifizieren.
Medien erfuhren zufällig von ihrer Zulieferer-Rolle
Der NDR kontaktierte alle Beteiligten in dieser Informationskette. Ein Sprecher der JHU sagte auf Anfrage, das Team der JHU stehe in direktem Kontakt mit „vielen, wenn nicht allen Primärquellen“, auf die zugegriffen werde. Das können zumindest die Informationssammler bei der „Berliner Morgenpost“, „Zeit Online“ und dem „Tagesspiegel“ nicht bestätigen. Gegenüber ZAPP sagen sie, dass sie zufällig davon erfahren haben, die Corona-Quelle für die Johns-Hopkins-Universität zu sein. Entweder dadurch, dass sie die Johns-Hopkins-Daten auch benutzen und für Deutschland eine Übereinstimmung beider Datenquellen registriert haben, oder weil sie bemerkt haben, dass der Datenvermittler „Worldometer“ auf ihr Angebot verweist.
Probleme im Detail, allgemeines Bild aber stimmig
Auf dem Weg zwischen den Medien und der Johns-Hopkins-Universität gehen dabei teils wichtige Informationen verloren. So machen die Medienhäuser in ihrer datengetriebenen Berichterstattung zum Beispiel deutlich, dass es sich bei der Anzahl der Genesenen um Mindestangaben handelt.
Da es für die Heilung von Corona keine Meldepflicht gibt, wird die eigentliche Zahl der Genesenen mittlerweile deutlich höher liegen. Im Dashboard der US-Universität findet sich dieser Hinweis nur tief in den Fußnoten vergraben. Wer diese Fußnote nicht kennt, macht Schätzungen zur Wahrheit.
Offenbar Fehler nicht korrigiert
Auch berichten die Journalisten des Interaktiv-Teams der „Berliner Morgenpost“, sie hätten Fehler in den internationalen Zahlen der Johns-Hopkins-Universität – zum Beispiel für Liechtenstein – gefunden, in ihrem eigenen Angebot korrigiert und an die US-Universität gemeldet. Dort habe man diese Fehler bisher nicht korrigiert.
Dirk Brockmann, Professor am Institut für Biologie an der Berliner Humboldt-Universität berichtet, dass auch in seinen internationalen Kollegenkreisen bereits die Frage diskutiert wurde, wie die US-Universität so schnell an das Zahlenmaterial käme. Auch wenn die Quellenlage unklar sei, meint Brockmann, dass die Zahlen selbst brauchbar seien. Das zeigen statistische Berechnungen seines Instituts für das Robert Koch-Institut.
„Wir haben uns jüngst die Dynamik über alle Länder im JHU-Dashboard angeschaut und sehen in den meisten Ländern ein leichtes Abflachen der Kurve“, sagt Brockmann. Das ist nicht nur ein Zeichen dafür, dass weltweite Isolationsmaßnahmen langsam beginnen, die Verbreitung des Virus auszubremsen, sondern auch dass die Daten der Johns-Hopkins-Universität in sich stimmig sind.