Finanzmarkt- und Konzernmacht-Zeitalter der Plutokratie unterstützt von der Mediakratie in den Lobbykraturen der Geld-regiert-Regierungen in Europa, Innsbruck, 2014-04-29
Liebe BlogleserIn,
was ich Dir/Ihnen nicht vorenthalten will aus dieser Quelle: https://www.entrepreneurship.de/ressourcen/publikationen/reichtum-unten/visionen/verbraucher3/
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Die Vision vom aufgeklärten Verbraucher
Name: Duttweiler Vorname: Gottlieb; Geboren 1888, aufgewachsen in den Arbeitervierteln Zürichs. Der Vater schafft für den Lebensmittelverein der Stadt. Die Mutter sorgt zu Hause für Nüchternheit und gutes Betragen. Manchmal rutscht ihr die Hand aus. Die Magazine und Lager werden zum Spielplatz des Jungen. Er ist ein Träumer, der auf dem Schulweg Ameisen so lange nachschaut, bis er zu spät kommt. Die Schüler der Primarschule im Stadtteil Aussersitz hänseln ihn. Der Junge schlägt zurück, legt sich mit Lehrern an und wird zum Schuldigen vom Dienst. Er ist nach einem halben Jahr im Gesicht so zerkratzt und hat so viele blaue Flecken, dass man ihn in eine andere Schule versetzen muss. Äußerlich ist er kräftig, aber in seiner Seele verwundet, so tief, dass kleine Vorfälle ihn schon in den Gedanken an Selbstmord treiben.
Er fängt sich langsam wieder, nicht inner-, sondern außerhalb der Schule. Er züchtet weiße Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen und handelt mit ihnen. Sein kleines Geschäft beginnt zu blühen. Später, als er einen Fotoapparat geschenkt bekommt, macht er Aufnahmen von Jungen und Mädchen in Kindergärten und verkauft die Bilder für 50 Rappen das Stück. Auf dem Zürchersee unternimmt er gefährliche Bootsfahrten, verläuft sich in nebligen Bergen und liegt danach drei Monate krank im Bett. In der Sekundarschule fängt er an zu schreiben, erfindet phantastische Geschichten und diktiert sie seiner jüngeren Schwester ins Heft. Mit Lehrern bleibt er auf Kriegsfuß. In seinen Zeugnissen vermerken sie unter der Rubrik „Betragen“, er sei „unaufmerksam“, „unruhig“ und „ungebührlich“. Da nimmt ihn der Vater aus der Schule.
Er beginnt – wir schreiben das Jahr 1905 – im Handelsgeschäft Pfister & Sigg als Lehrling. Ein Jahr später stirbt der Vater. Die Verantwortung, für die Familie zu sorgen, fällt zunehmend auf ihn. Er fängt systematisch an zu lernen und konzentriert sich auf Handelsgeographie und Spanisch. In der Abschlussprüfung wird er Zweitbester unter 150 Lehrlingen. Duttweiler bleibt bei der Firma, weiß aber zunehmend, was er wert ist, reklamiert bei den Eignern mehr Selbständigkeit und pflegt bald geschäftliche Beziehungen zu etwa 150 Firmen im In- wie im Ausland. Die wachsenden Gewinne der Firma, die Duttweiler auch seiner Arbeit zuschreibt, führen zum Konflikt. Duttweiler fordert seinen Anteil – 25 Prozent.
Die beiden Eigner geraten darüber in Streit. Sigg tritt aus der Firma aus, das Unternehmen heißt nun Pfister & Duttweiler. Auch wenn die Zeiten für die Beschaffung von Waren mit Ausbruch des Weltkrieges schwieriger geworden sind: Duttweilers ungebremstes Temperament treibt die Firma in eine Phase hektischer Expansion. Als 1920 ein neuer Buchhalter eingestellt und dem strikten Realitätsprinzip verpflichtet wird, kommen verheerende Bilanzen auf den Tisch. Schwarze Zahlen erweisen sich als rote. Bei Schulden in Millionenhöhe schlägt bald die Stunde der Wahrheit. In die Liquidation bringt Duttweiler große Teile seines Privatvermögens ein. Dem Trauma der Schule ist das Trauma des Konkurses gefolgt. Nur: Das zweite Trauma gerät produktiver. Duttweiler geht nach Brasilien und wird Kaffeepflanzer. Dann aber wird seine junge Frau ernsthaft krank. Sie erträgt das Klima nicht. So kehren beide 1924 zurück in die Schweiz.
Was nun folgt, könnte von Stanislaw Lem erfunden sein, wäre es nicht in der Wirklichkeit des schläfrigen Zürich geschehen. Duttweiler, der nun am eigenen Leib erfahren hat, was es heißt, in einem Land der Dritten Welt als Produzent schlechtes Geld für sauer erarbeitete gute Ware zu bekommen, ist schockiert und zornig über die Selbstverständlichkeit, mit der eine Mafia von Biedermännern horrende Preisaufschläge verlangt: fünfzig Prozent dafür, dass der Kaffee über den Ladentisch gereicht wird, 25 weitere Prozent für den Grossisten. Er vergräbt sich in die Datenberge des Statistischen Amtes der Stadt Zürich, durchforstet Tausende von Zahlen, vergleicht die Kleinhandelspreise verschiedener Städte, entwirft Berechnungen und schreibt nun keine Phantasiegeschichten mehr, sondern eher schon einen Kriminalroman in Zahlen. Titel: Wie die Züricher Spezereihändler es schaffen, die Stadt zum teuersten Territorium der Schweiz zu machen und die Bürger dabei ruhig zu halten.
Was der Trust der Spezereihändler im Kleinen versucht – die Preise in die Höhe zu schrauben -, wird weiter draußen im großen Stil praktiziert. Denn auch darüber erregt sich Duttweiler: dass, um die Weltmarktpreise hochzuhalten, hunderte von Schiffsladungen mit Mais und Weizen verbrannt, Millionen Säcke Kaffee im Meer versenkt, hunderttausende Tonnen Früchte vernichtet, Schafe samt ihrer Wolle verscharrt und Baumwolladungen zu Straßenbelägen eingestampft werden.
Am Ende seiner Recherchen steht die Erkenntnis, dass die Preise aus dreizehn Gründen überhöht sind: Es gibt viel zu viele Marken für Waren der gleichen Qualität. Die Lagerkosten sind zu hoch. Die Zinsen sind überzogen. Die Ladeneinrichtungen sind zu teuer. Die Mieten für die Läden sind unangemessen. Viele Waren verderben durch zu lange Wartezeiten. Der Bezug von nur kleinen Mengen treibt Frachtkosten und Spesen in die Höhe. Die Fabrikanten von Markenartikeln erlassen Preisvorschriften und sichern sich dadurch hohe Gewinnspannen. Spesen entstehen durch Rabatt- und Rückvergütungssysteme. Die Waren werden auf Wunsch ins Haus geliefert, das macht sie teurer. Der Verkauf dauert zu lange. Er erfolgt nur in kleinsten Mengen. Es wird auf Kredit verkauft.
Duttweiler liest Henry Ford: „Gelten die Dienste den Massen, dann wir sich die Auswahl der Verkaufsartikel auf die billigen hochqualifizierten Gegenstände beschränken, die für neunzig Prozent bestimmt sind, und das Geschäft wird groß werden…“ Duttweiler hört von Fords fahrbaren Läden, mit denen seine Arbeiter mit Grundnahrungsmitteln versorgt werden.
Mitte des Jahres 1925 gründet Duttweiler mit Freunden zusammen die Firma Migros. Am 25. August frühmorgens fahren fünf kleine Ford-Laster los, um ihre geladenen Waren unter die Leute zu bringen. Die Wagen führen nur sechs Artikel mit sich: Kaffee, Reis, Zucker, Teigwaren, Kokosfett und Seife. Duttweiler hat die Waren zuvor in großen Mengen gekauft. Die Laster fahren zu 178 Verkaufsstellen und halten dort nur zehn bis fünfzehn Minuten. Sie sind so beladen, daß die Waren von der einen zur anderen Seite durchgeschoben werden können. Nicht nur Waren werden an die Käufer geliefert, sondern auf Flugblättern auch Informationen darüber, warum diese Waren trotz hoher Qualität so billig sind. Die Wagen samt Fahrern wirken wie eine Verbraucheraufklärung auf Rädern, wie mobile Einrichtungen der Erwachsenenbildung.
Duttweiler, der Rechercheur und Erfinder von Naheliegendem, erweist sich mit seinem Ansatz als Preisbrecher ersten Ranges. Mit kleinen Rationalisierungen tritt er eine Lawine los, die klein beginnt, aber mit wachsender Kraft auf die Bastionen der Spezereihändler zurollt. Neun Prinzipien machen Duttweilers Konzept erfolgreich: Es werden nur große Packungen verkauft, damit werden Kosten für die Verpackung und der Verkauf kleiner Mengen drastisch gesenkt. Die Kunden zahlen bar, niemand lässt mehr anschreiben. Es gibt nur abgepackte Waren mit runden Preisen – die Fahrer der Wagen können so leichter rechnen und schneller bedienen. Da es sich um Netto-Preise handelt, entfallen auch Rabattmarken und Rückvergütungen. Es wird nicht mehr nach Hause geliefert. Flaue Zeiten für Personal und Läden entfallen. Die Beschränkung der Warenvielfalt und Sortenzahl beschleunigt den Verkaufsvorgang. Die Ware bleibt – des raschen Durchschiebeverfahrens wegen – immer frisch. Und: Die Wagen fahren zu den Konsumenten, die Einkaufswege werden kürzer, der Absatz erreicht viele und nicht mehr nur wie bei einem Laden die Kunden um die Ecke.
Sind Konsumenten umstürzlerisch im Umgang mit Kaufgewohnheiten? Sie sind es nicht. Man muss ihnen viel erklären. Und so kommt Duttweilers Schreiblust, seit der Schulzeit verdrängt, wieder zu Ehren. Er schreibt sich die Finger wund, um den Kunden – es sind vor allem Hausfrauen – deutlich zu machen, dass sie nur dann, wenn sie zu einer bestimmten, knapp gehaltenen Zeit dort hinkommen, wo die Wagen halten, gute und billige Ware bekommen. „Vergleichen Sie die Preise, berechnen Sie die Differenz pro Monat anhand Ihres Haushaltsbuches!“ Wer dies tut, kann hochrechnen, dass der Einkauf bei Migros einer durchschnittlich großen Familie pro Jahr 400 bis 600 Franken erspart. Duttweilers Angebote liegen um 22 bis 45 Prozent unter denen der Konkurrenz.
Die Flugblätter, die über die Fahrer ebenso an die Leute gebracht werden wie über Hausverteiler, unterscheiden sich von üblicher Werbelyrik. Sie setzen auf Sachaufklärung, rechnen Preise vor, erläutern die „Grundsätze des Großverkaufs im Kleinverkauf“ und zielen auf den informierten Verbraucher: „Zeit ist Geld, für die Hausfrau wie für uns: keine 1/2 Pfund und Pfund-Packungen; 1 oder 2 Kilogramm sind in derselben Zeit verkauft und bezahlt, also nur 1/4 der Verkaufsspesen; übrigens ein kleiner Vorrat steht dem Hause wohl an.“ Und, schon offensiver: „Nur Waren über Mittel- und beste Qualität gelangen zum Verkauf; täglich werden unsere Verkaufswagen frisch gefüllt, immer frische Ware.
Ihre zwei besten Bürgen für die Wahrheit des Gesagten sind: Die Behörden der Stadt, die anfangs ablehnten und nach Anhörung unseres Planes, Besichtigung unserer Lager, Waren und Einrichtungen den öffentlichen Grund der Stadt zur Verfügung stellten; die scharf wachende Konkurrenz, die peinlich prüfen wird, was wir hier sagen und was wir hier verkaufen. Wir schließen mit einem Appell an das selbständige Urteil der Hausfrau: Entweder siegen die alten lieben Einkaufsgewohnheiten der Frau, die Reklame und die Schlagwörter – oder der erhoffte Zuspruch stellt sich ein, dies falls können wir die Preise möglicherweise noch ermäßigen, anderenfalls müssen wir diesen ernsthaften Versuch, den Konsumenten zu dienen, aufgeben.“ Und noch einen anderen Weg erfindet Duttweiler: statt Anzeigen eine Zeitung in den Zeitungen, in der er nicht nur aufklärt, sondern zugleich angreift und sich auch, wenn ihm danach ist, mal über das Elend der Bergbauern oder über Ostern auslässt.
Anfangs hoffen die Spezereihändler, die Kunden würden die Lust daran verlieren, zu Zeiten, die ein Fahrplan vorschreibt und bei jedem Wetter einzukaufen. Dann aber wacht die Konkurrenz auf. Flugblätter werden aus Briefkästen wieder herausgeangelt, Verteiler verhöhnt und mit Steinen beworfen. Kunden von Migros erleben in Läden Schwierigkeiten, bedient zu werden. Eine Dumping-Aktion leitet den offenen Krieg ein. Die Geschäfte senken die Preise bis unter die Herstellungskosten. Duttweiler wird zum Verbrecher gestempelt, ein Totengräber der gesunden Volkswirtschaft sei er, ein Dschingis-Khan und Allesfresser. Die Lieferanten von Migros geraten unter Druck und riskieren, vom übrigen Einzelhandel boykottiert zu werden.
Letzteres wiederum wirkt wie ein Schuss von hinten. Migros beginnt mit der Eigenproduktion, Süßmost und Schokolade machen den Anfang. Schokolade kostet nun 25 Rappen und nicht sechzig wie bei den Markenführern; Ende der vierziger Jahre wird Migros zum drittgrößten Schokoladenhersteller des Landes. Auch der Absatz von Schachtelkäse aus eigener Herstellung erreicht 1933 ein Drittel der gesamten Landesproduktion. Migros setzt zunehmend auf gesunde Nahrungsmittel – Eimalzin als Alternative zu Kaffee kommt ins Angebot, Zigaretten und Alkohol sind und bleiben verpönt.
Prozesse begleiten den explosiven Aufstieg. Man will Duttweiler zu Preisbindungen veranlassen und Handelsspannen festschreiben, auf die die rationeller arbeitende Migros nicht angewiesen ist. Der Persil-Hersteller Henkel fühlt sich veralbert und klagt, weil Duttweiler ein preiswerteres Waschmittel namens Ohä (= ohne Henkel) herausbringt. Sunlight, den Hersteller von Vim, greift Duttweiler mit dem Putzmittel Päng an. Städte versuchen, Migros am Eindringen zu hindern. In St. Gallen wird ein Filialleiter beschossen, werden Migros-Kunden observiert und namentlich notiert, Wagen beschlagnahmt. In Bern muß Duttweiler seine Flugblätter aus der Luft abwerfen lassen, um Kunden über die aktuelle Situation zu informieren.
1933 schließlich – Migros hat inzwischen viele feste Standorte eingerichtet – wird vom Bundeshaus ein Knebelungsgesetz erlassen, das durch Erklärung von Eilbedürftigkeit vor einem möglichen Volksreferendum geschützt wird und Migros verbietet, weitere Filialen zu eröffnen. Damit wird – das Gesetz hält sich zwölf Jahre – Migros ein weiteres Wachstum bis auf wenige Prozente unmöglich gemacht. Der Markt ist von oben außer Kraft gesetzt.
Die Käufer schreckt dies nicht ab. Oft bilden sich Schlangen vor den Läden, weil die Menschen von weither kommen. Die ideologische Auseinandersetzung verschärft sich. In Berlin verüben Nationalsozialisten Anschläge auf Migros-Wagen, verbieten weitere Verkaufsstellen und zwingen Duttweiler zum raschen Rückzug aus Deutschland. Den gegen Migros eingestellten Sozialisten in der Schweiz wird – von Hans Munz – vorgehalten: „Warum habt ihr nur immer die tatsächliche oder vermeintliche Ausbeutung durch die Arbeitgeber auf der Zunge? Warum schweigt ihr – etwa im Zusammenhang mit dem Filialverbot – gegenüber der mindestens so verbreiteten Ausbeutung durch leistungsschwache und dazu auf Monopolstellung ausgehende Detailhandels-Gebilde, unter denen es neben solchen träger Spezierer auch genossenschaftlich organisierte gibt?“ Migros wuchs und wuchs weiter. Das Ende dieses Aufstiegs ist auch heute nicht recht absehbar, und doch mündet diese ungewöhnliche Geschichte in eine gewöhnliche. Heute, knappe siebzig Jahre später, ist Migros mit 40 000 Mitarbeitern zum großen Konzern geworden. Ein guter Schuss Gemeinwohl erinnert daran, dass Gottlieb Duttweiler, der 1962 starb, quer zu den Ideologien lebte, ein – wie er selber meinte – „sozialer Kapitalist“, einer, der seinen ökonomischen und sozialen Visionen bis zum Ende nachjagte.
„Reichtum von unten – die neuen Chancen der Kleinen“
- Aufriss – oder: Hochmut kommt vor dem Fall
- Die soziale Frage neu stellen
- Literatur
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- Visionen verwirklichen
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Am Ende hat es William „Bill“ Richards nicht mehr ganz geschafft. Am Ende lag er tot in einer Eistruhe, die sonst vielleicht Fisch und Fleisch barg, ein tiefgekühlter Bill im nordthailändischen Marktflecken Maesalong, der auf Abtransport wartete. Am Ende gab es ein Hin und Her zwischen einer Familie im fernen Australien, von der Bill sich gerade losgesagt hatte, thailändischen Behörden und den Akha, jenem kleinen Volk oben in den Bergen, bei den Bill zuletzt gelebt und mit dem er gearbeitet hatte. Während es den Thais egal war, wo Bill seine letzte Ruhe finden würde und seine entfremdete Familie zögerte, für den toten Bill die Überführungskosten zu übernehmen, fanden die Akha es eigentlich ganz selbstverständlich, dass einer nicht in der Fremde begraben werden will, sondern dort, wo auch die Seelen seiner Ahnen sind.
Nun – die Geschichte ist noch nicht lange her – ist Bill wieder aufgetaut und in Australien begraben. Zu seinen Lebzeiten war er ein Arzt, der wie ein kurz geratener Sankt Peter wirkte, dick, weißhaarig, schnaufend und schwitzend und in den Bergen oft auf einen Prügel gestützt. Eigentlich hatte er nur einen thailändischen Freund besuchen und ihn ins Goldene Dreieck begleiten wollen. Als sie aber oben angekommen waren und Bill sah, dass die Berghänge rings um die Dörfer zerrupften Fellen glichen, der Wald niedergebrannt war und der Boden unter der Trockenheit rissig wurde, und als er sah, wie sich die Akha damit quälten, Anpflanzungen über die Monate der Dürre zur nächsten Regenzeit hinüberzuretten und ihnen dabei das Wasser fehlte, da überfiel Bill die Vision wie ein Blitz. Alle, die, als dies geschah, um ihn herumstanden, bemerkten, wie sich seine Stirn runzelte und er keuchte und sich setzen musste. Und dann meinte Bill, das Problem sei doch wohl, dass die hier oben Wasser auch in der Trockenperiode bräuchten.
Und er sagte dem Dorfältesten und den Jugendlichen und der Lehrerin der kleinen Schule und seinem Freund aus Bangkok und allen, die es hören wollten und oft doch nicht verstehen konnten, weil sie weder des Englischen noch gar seines mehr geröhrten als gesprochenen australischen Akzents mächtig waren: Einen Staudamm könne man schlecht bauen, aber drunten in Australien, auf der anderen Seite der Erde, wo die Leute eben doch keine Magneten an den Schuhen trügen und auch nicht ins bodenlose Weltall stürzten, dort hätte er ein Bewässerungssystem gesehen, das genau hierher passe. Kleine, Röhren ähnelnden Kanäle würden von zisternenartigen Becken mit Wasser versorgt, ja, das Wasser würde behutsam in kleinen Dosierungen wie durch ein Netzwerk aus Adern pulsieren, und wenn während der Regenzeit das Wasser vom Himmel fiele und von vielen Becken aufgefangen und bewahrt würde, könnten die Pflanzen gedeihen und die Hänge grün werden, und an den Säumen der Felder könne man Hecken und schattenspendende Bäume wachsen lassen.
In der Dörfern der Akha sprach sich herum, dass ein Fremder, mit Wissen und Weisheit versehen, umherwandere und die Hänge betrachte. Bill fand – als er genug gesehen hatte -, dass er, wenn er denn nun vom Arzt zum Wasserbauingenieur wechseln wolle, noch einmal nach Australien zurückmüsse. Er wolle sich dort die Bewässerungsanlagen genauer ansehen und studieren, wie die funktionieren, und herausfinden, ob man sie oben im Goldenen Dreieck ohne Geld, mit örtlichen Materialien und der Kraft junger Männer aus den Dörfern nachbauen könne. Als Bill in Australien seine Hausaufgaben erledigt hatte, verabschiedete er sich von seiner Frau, befand, dass sein Sohn alt genug sei, für sich selbst zu sorgen, packte seine Siebensachen, flog nach Bangkok und von dort nach Chiang Rai und ließ sich von einen Jeep in die Berge bringen.
Die Dorfältesten gaben ihm junge Männer mit, und die begannen, angefeuert von Bill, der mit ersten Brocken der Akha-Sprache, vor allem aber mit Händen, Mimik und ausholenden Bewegungen seines Stocks versuchte, richtige Plätze für Bassins und flache Neigungswinkel für kleine Kanäle zu bestimmen. Morgens um sieben sollte es jeden Tag losgehen, und so geschah es anfangs auch, bis sich herumsprach, dass Bill nicht nur ein Ingenieur aus eigener Kraft, sondern auch ein Arzt von Profession sei. Sonst war ja keiner in den Bergen. Dramatische Fälle wurden ihm angetragen. Man riss ihn nächtens aus dem Schlaf, er war Chirurg ohne Besteck, Geburtshelfer ohne Kreißsaal und praktischer Arzt ohne Apotheke.
Der Spagat zehrte an seinen Kräften, zerriss Körper und Seele, ließ die Arbeit an den Hängen oft stundenlang warten, weil Bill nachts nicht hatte schlafen können und nun den Morgen verpasste. Eines Mittags legte Bill sich hin und stand nicht mehr auf. Er hinterließ, samt seinen Mannen, Spuren an den Hängen, röhrengleiche kleine Kanäle und Vertiefungen, einen Torso mit Adern, dem das steuernde Herz fehlte. Ratlos standen Junge und Alte aus den Dörfern davor, beschworen die Geister, baten um Wasser auch in der Trockenzeit und ergaben sich ihrem Schicksal. Das Geheimnis der Vollendung hatte Bill mit in die Tiefkühltruhe genommen.
Memento mori? Ja doch. Visionen können zu Stürzen führen. Das Herz kann stehenbleiben. Eine Fallgrube das Genick brechen. Es kann aber keiner stolpern oder auch sein Ziel erreichen, wenn er sich nicht vorher aufgemacht hat.
Und deshalb handeln auch die folgenden Geschichten von Versuchen, Visionen zur Wirklichkeit werden zu lassen.
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Die Veranschaulichung des terms of trade-Arguments haben die Teefürsten, das Gericht und das Finanzamt abwürgen können, die Philosophie und das Engagement der Teekampagne aber nicht…
- Visionen verwirklichen
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Aus dem per ÖVP-Amtsmissbräuche offenkundig verfassungswidrig agrar-ausgeraubten Tirol, vom friedlichen Widerstand, Klaus Schreiner
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