Gong zur Runde acht: Im Dezember laufen die Verhandlungen über TTIP, das EU-Freihandelsabkommen mit den USA , weiter. Der KURIER lud Unternehmer Veit Schmid-Schmidsfelden (Fertinger GmbH) und Attac-Ökonomin Alexandra Strickner (Plattform Stop TTIP) zum Streitgespräch.
KURIER: Was würde TTIP Ihrem Unternehmen konkret bringen?
Veit Schmid-Schmidsfelden: Wir exportieren Autoteile in die USA, wo wir auch eine Produktion starten werden. Da frage ich mich: Wie kann es sein, dass die zwei größten Wirtschaftsräume einander Prügel vor die Beine werfen? Will ich eine Maschine um 500.000 Euro aus Wolkersdorf in die USA transferieren, zahle ich 20.000 Euro Zoll. Diese 3,5 bis 4 Prozent sind so viel wie die Gewinnaufschläge in der Autoindustrie. Das ist absurd! Dieses Geld könnte ich viel sinnvoller in die Forschung stecken.
Alexandra Strickner: Der Güterhandel mit den USA ist ohnehin weitgehend liberalisiert. Ginge es nur um manche Zölle oder einheitliche Autoblinker, sage ich: Warum nicht? TTIP ist aber ein Deregulierungsabkommen, das Standards abbauen und angleichen will. Die Menschen in Europa wollen aber keine genmanipulierten Lebensmittel und keinen schlechteren Schutz vor Chemikalien.
Die Kommission betont gebetsmühlenartig, hohe EU-Standards würden nicht gesenkt. Eine Lüge?
Strickner: Eine Vielzahl durchgesickerter Dokumente belegt diese Absichten. Deshalb darf das nicht im Geheimen verhandelt werden.
Schmid: Zu schlampigen Standards würden wir auch Nein sagen, ich bin allerdings überzeugt, die Kommission wird ihr Mandat einhalten. Und das beinhaltet, Standards nicht abzusenken. Die Verhandlungen könnten tatsächlich etwas transparenter ablaufen. Ich halte die Ansichten von Attac für legitim, weil sie Risiken aufzeigen. Aber warum heißt die Plattform nicht „TTIP neu“, sondern „Stop TTIP“? Wir stellen uns als EU und Österreich so ins Abseits. Wo ist da unsere Zukunft?
Strickner: Laut EU-Studien hätte TTIP minimale Effekte: 0,5 Prozent mehr Wachstum auf zehn Jahre. Das bringt den 27 Millionen Arbeitslosen in Europa wenig. Die US-Universität Tufts hat berechnet, dass es sogar 600.000 Arbeitslose mehr geben würde.
Schmid: Warum sollte das denn der Fall sein? Das Ifo-Institut in München erwartet 400.000 neue Arbeitsplätze.
Strickner: Weil sich die Produktion dorthin verlagert, wo sie billiger ist. Das Abkommen mit Kanada und Mexiko (NAFTA) hat die USA 800.000 Jobs gekostet. Zugleich hat billiger US-Mais die Lebensgrundlage für Mexikos Kleinbauern ruiniert. Und: Mehr Güterverkehr bedeutet noch mehr CO2-Ausstoß.
Ihre geplante Produktion in den USA: Werden da nicht auch heimische Jobs ausgelagert?
Schmid: Im Gegenteil, wir sichern so die Entwicklungskompetenz und Wertschöpfung in Österreich. Sollen wir uns einmauern? Das wäre ein Armutszeugnis! Es hieße, die USA wären so viel besser. Unsere Industrie ist nach 1989 durch die Öffnung der Ostgrenzen nicht kaputt gegangen, sondern Österreich ist einer der wichtigsten Investoren in der Region geworden. Eine riesige Erfolgsgeschichte.
Strickner: Sie werden doch nicht ernsthaft argumentieren, dass Europa der alleinige Profiteur wäre. Viel wichtiger als die USA ist der interne Handel der 28 EU-Staaten. Der würde sich mit TTIP um 20 bis 40 Prozent reduzieren. Für Österreichs Unternehmen würde ein Teil des EU-Marktes wegfallen.
Schmid: Warum?
Strickner: Weil er von einem US-Exporteur bedient wird.
Schmid: Und der ist so viel besser, dass er sofort den Markt erobert? Wir sind doch mit den Amerikanern auf Augenhöhe. Und hat jemand bessere Ideen, sage ich: Willkommen! Dann können wir etwas lernen. Bei Gesundheit, Lebensmitteln und sozialen Standards sollten wir aufpassen, dass nichts passiert, ganz klar. Aber wenn der Handel ohnehin so weit liberalisiert ist: Warum sollte jetzt ganz Fürchterliches passieren?
Was wäre aus Sicht von Attac denn die Alternative zu TTIP?
Strickner: Eine Abschottung wollen wir nicht. Das Abkommen lehnen wir aber als Ganzes ab. Für Wohlstand und Arbeitsplätze brauchen wir stattdessen höhere Löhne und öffentliche Investitionen in den ökologischen Umbau der Infrastruktur.
Die Öffnung des Marktes für Dienstleistungen durch TTIP ist noch umstrittener. Zu Recht?
Strickner: Das Kanada-Abkommen (CETA) zeigt, wohin auch TTIP führt. Bestehende Liberalisierungen sollen festgeschrieben werden. Ausnahmen sind sehr vage formuliert – außer dort, wo es Widerstand gibt: Bei Bildung, Gesundheit oder Wasserversorgung. Einige Konzerne würden das gerne aufbrechen, weil Milliarden an Profiten zu holen wären.
Schmid: Was stört Sie daran?
Strickner: Hat ein Staat einen Bereich liberalisiert, kommt er durch diese Abkommen nur schwer wieder raus.
Schmid: Sie fürchten private Spitäler oder Schulen? Das ist doch nichts Böses.
Strickner: Ein Beispiel: Viele Kommunen in Frankreich haben in den 1990ern die Wasserversorgung an Konzerne wie Veolia oder Suez vergeben. Die Qualität war schlecht, die Preise sind gestiegen, Investitionen ausgeblieben. Jetzt wollen Bürgerinitiativen das zurück in die öffentliche Hand bringen. Mit festgeschriebenen Liberalisierungen und dem geplanten Investorenschutz könnten Unternehmen entgangene Gewinne einklagen. Das schränkt die Handlungsfähigkeit von Staaten und Kommunen massiv ein.
Haben Sie Verständnis für die Kritik, wenn Unternehmen gegen Staaten bei Schiedsgerichten Klage einbringen können?
Schmid: Es geht nicht darum, Gesetzesänderungen zu bekämpfen, das wäre falsch verstandener Investorenschutz. Es geht darum, Diskriminierungen zu verhindern. Das ist gar nicht neu: Österreich hat 62 Abkommen, weltweit gibt es 3000. In manchen Regionen sind eben Rechtssicherheit und unabhängige Gerichte nicht selbstverständlich.
Das Kanada-Abkommen CETA ist schon fertig. Dort sind die Klagsrechte enger gefasst, Schiedsverfahren sollen öffentlich sein. Wäre das akzeptabel?
Strickner: Nein. Formal können zwar alle Firmen klagen, de facto sind das wegen der hohen Kosten zu 90 Prozent Großkonzerne. Dass nur ausländische Investoren Schiedsgerichte bemühen können, ist unfair für inländische Unternehmen. Und gegen tatsächliche Enteignungen wird nur selten geklagt. Viel öfter geht es um Umweltgesetze oder soziale Rechte.
Schmid: Sagen Sie mir ein Beispiel für Europa.
Strickner: Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat Deutschland geklagt. Die CDU hatte in Hamburg den Bau eines Kohlekraftwerks beschlossen. Dann wechselte die Stadtverwaltung und die Grünen wollten niedrigere Schadstoffgrenzen durchsetzen. Vattenfall hat erstritten, dass das rückgängig gemacht werden musste.
Schmid: Ist das Rechtssicherheit, wenn ein Vertrag einseitig abgeändert wird? Wenn ich eine Anlage bestelle und sie nachträglich verbessern will, wird der Lieferant sagen: Gerne, aber es kostet mehr.
Strickner: Die Liste der Fälle ist lang. Argentinien hat nach seiner Krise von 2000 …
Schmid: Kein gutes Beispiel. Das Land ist schlecht geführt.
Strickner: … eine Reihe sinnvolle Maßnahmen gesetzt, etwa die Preise für Wasser oder Gas geregelt, weil die Menschen sich das nicht mehr leisten konnten. Unternehmen haben daraufhin Hunderte Millionen Dollar Schadenersatz eingeklagt.
War Argentiniens Enteignung von Repsol 2012 auch legitim? Der spanische Energiekonzern hat erst durch ein Schiedsverfahren fünf Mrd. Dollar erhalten.
Strickner: Wie ein adäquater Entschädigungsprozess für echte Enteignungen aussehen müsste, ist zu diskutieren. In Venezuela gab es Verstaatlichungen, dort wurde normal Entschädigung gezahlt.
Schmid: Normal würde ich das nicht nennen. Der Frage, ob Enteignung zulässig ist, sind Sie elegant ausgewichen.
Wann rechnen Sie denn mit einem Abschluss von TTIP?
Strickner: Das kann man derzeit unmöglich sagen. Ich glaube nicht, dass das Parlament zustimmt, so lange der Investorenschutz bleibt.
Schmid: Ich bin überzeugt, dass TTIP kommen wird. Bis 2020 sind wir hoffentlich fertig, sonst verliert Europa den Anschluss an seinen größten Handelspartner.
Veit Schmid-Schmidsfelden Das Industriemagazin reiht ihn auf Platz 61 der mächtigsten Manager. Der geschäftsführende Gesellschafter der Rupert Fertinger GmbH, die mit 200 Mitarbeitern Autoteile und Sanitärbedarf erzeugt, ist Obmann der Fachgruppe Metallwaren-Industrie in der Wirtschaftskammer und Vorstand der IV NÖ. Kürzlich hat er für die Arbeitgeber die Löhne verhandelt.
Alexandra Strickner Die studierte Ökonomin ist Gründungsmitglied und Vorstand von Attac Österreich. Seit vielen Jahren beobachtet die Handels- und Agrarexpertin Verhandlungen über Freihandelsabkommen. Sie nahm unter anderem an mehreren Ministerkonferenzen der Welthandelsorganisation WTO teil. Attac Österreich ist eine von 274 Organisationen der Plattform „Stop TTIP“.
Am Tisch sitzen 40 Prozent der Weltwirtschaft: Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (englisch: TTIP) soll EU und USA noch enger verbinden, zwischen denen schon jetzt Waren und Dienstleistungen um zwei Milliarden Euro ausgetauscht werden. Und zwar täglich. Seit Juli 2013 gab es sieben Verhandlungsrunden. Anders als früher spielen Zölle nicht die Hauptrolle. Es geht vielmehr um die Zulassung zu öffentlichen Ausschreibungen, Abbau bürokratischer Hürden und einheitliche Normen. Kritiker sorgen sich um den Umweltschutz und die Lebensmittelsicherheit und fürchten, dass Konzerne zu viel Einfluss über Staaten erhalten.
Braucht Europa ein Freihandelsabkommen?
Mehr als Chlorhuhn: Was liberalere Handelsregeln zwischen USA und Europa bedeuten. Ein Pro und Kontra.
Europa in der Wohlfühlblase. Aber die Welt hat sich weitergedreht!“, meint Hermann Sileitsch. „Klagen von Investoren hebeln die Demokratie aus!“, kontert Franz Jandrasits. Die beiden Wirtschaftsjournalisten des KURIER über das Freihandelsabkommen.
Pro
Wer lauter schreit, hat Recht: So läuft die Debatte über TTIP derzeit ab. Die Europäer fürchten sich vor Chlorhühnern und Genmais, die Amis vor Schimmelkäse aus Frankreich. Alles andere verhallt ungehört. Dabei ist das Abkommen weit mehr: Die größten Wirtschaftsmächte schreiben die Blaupause für den künftigen Welthandel. Das birgt Risiken, keine Frage. Wer aber nichts als Gefahren sieht, sehnt sich ins Biedermeier zurück. Aufwachen, die Welt hat sich weitergedreht!
Wachstum muss Europa mit der Lupe suchen. Gute Ideen haben wir nicht, aber was richtig oder falsch ist, wissen wir genau: Handelsabkommen? Danke, nein. Schieferöl und -gas? Zu gefährlich. Russland? Wird mit Sanktionen zivilisiert. CO2-Ziele? Europa geht allein voran. Moralisch sind wir so auf der Siegerseite. Wirtschaftlich könnten wir in zehn Jahren erkennen, dass das ein großer Luxus war.
Aber in unserer Wohlfühlblase geht es uns eh wunderbar, besonders in Österreich. Drum dürfen wir, um Gottes Willen, nichts ändern, damit es immer so bleibt. Das ist nur leider ein bisserl naiv. Deshalb: Ja, Europa muss Chancen ergreifen. Das Handelsabkommen gehört dazu. Wenn der Vertrag auf dem Tisch liegt, hat das EU-Parlament ohnehin das letzte Wort. Manche Abgeordnete sagen aber jetzt schon „Nein“. Offenbar ohne zu wissen, wozu: Sind die Verhandlungen nicht angeblich vollkommen geheim?
Contra
Unter dem Strich scheinen die Auswirkungen von Nafta auf die US-Wirtschaft recht bescheiden gewesen sein.“ Zu dieser Bewertung des 20 Jahre alten Freihandelsabkommens Nafta zwischen Kanada, USA und Mexiko kommen nicht die Gegner des EU-USA-Handelsabkommens TTIP, sondern die Forscher des US-Kongresses. In den USA wurden nicht nur keine Jobs geschaffen, sondern hunderttausende Industriejobs verloren. In Mexiko wurden viele Kleinbauern durch Billig-Exporte von US-Mais ruiniert.
Die Befürworter von TTIP versprechen ebenfalls Wachstum und Jobs. Die EU erwartet 400.000 Jobs in 15 Jahren. Angesichts der 18 Mio. Arbeitslosen in der EU ein bescheidener Effekt.
Der Preis dafür ist zu hoch. Denn selbst wenn die EU-Standards in den Bereichen Umwelt, oder Lebensmittel – siehe Chlorhühner, gentechnisch veränderte Pflanzen – oder Konsumentenschutz nicht auf das niedrigere US-Niveau herunterverhandelt werden, wird es Abstriche von den höheren EU-Standards geben.
Die größte Gefahr ist das geplante Investitionsschutzabkommen. Wenn Investoren Nationalstaaten vor einem Schiedsgericht klagen können, weil eine Verschärfung von Umweltauflagen ihren Gewinn schmälern, wird die Demokratie ausgehebelt. Hohe Strafen würden die Vorteile aus dem Abkommen mit einem Schlag vernichten.