Finanzmarkt- und Konzernmacht-Zeitalter der Plutokratie unterstützt von der Mediakratie in den Lobbykraturen der Geld-regiert-Regierungen in Europa, Innsbruck am 30.05.2016
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Regional ist relativ. Wer erntet das Tiroler Gemüse?
Österreicher_innen, die in der heimischen Landwirtschaft als Erntehelfer_innen arbeiten, kann man an einer Hand ablesen. Warum das so ist, lässt sich erst verstehen, wenn mensch sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Erntehelfer_innen ansieht.
Regionales, biologisches und saisonales Gemüse kaufen ist Silber. Wenn dieses dazu auch noch fair ist, unter fairen Bedingungen hergestellt, ist es Gold. Österreicher_innen, die in der heimischen Landwirtschaft als Erntehelfer_innen arbeiten, kann man an einer Hand abzählen. Dafür müssen “billige” Arbeitskräfte aus dem Ausland geholt werden. Warum das so ist, lässt sich erst verstehen, wenn mensch sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Erntehelfer_innen ansieht.
Erntehelfer_innen verrichten eine körperlich sehr anstrengende Arbeit, siebentage Woche, bis zu 15 Stunden am Tag, für einen sehr niedrigen Lohn – in Tirol beträgt dieser €5,70 die Stunde – das ist der niedrigste in ganz Österreich. Dieser Stundenlohn gilt als Mindestlohn, auch wenn es nach Akkord bezahlt wird.
Der Akkordlohn, auch Stücklohn genannt, ist ein leistungsbezogenes Arbeitsentgelt, bei dem die Vergütung pro erbrachter Leistungseinheit erfolgt, also pro gefüllte Kiste. Trotzdem nutzen viele Bauern und Bäuerinnen den Akkordlohn um die Arbeiter_innen auszubeuten, indem sie an Tagen, wo das Gemüse und das Wetter schlecht sind, den Akkordlohn einführen. Da die Ernte an solchen Tagen länger dauert, bekommen die Arbeiter_innen weniger bezahlt.
In Tirol kommen die meisten Erntearbeiter_innen aus Rumänien, der Ukraine und Serbien. Sie nehmen die harte Arbeitsbedingungen in Kauf, denn in Österreich haben sie das was zu Hause nicht zu finden ist – Arbeit.
Jedes Bundesland hat einen eigenen Kolelktivvertrag für Landarbeiter_innen, unter den auch Erntehelfer_innen und Saisoniers fallen. Dieser Stundenlohn überschreitet nirgendwo in Österreich 7 Euro netto und wird überdies selten voll ausbezahlt. Denn – so häufig das Argument der Bauern, Bäuerinnen und Handelsvertreter_innen – dieser Lohn “sei wohl sehr gut für ihre Verhältnisse, viel besser als bei ihnen in den Herkunftsländern und bei weitem nicht so niedrig wie in Süditalien oder im sogenanten Plastikmeer von Almeria”, eine 40.000 Tausend Hektar große Gemüseanbaufläche unter Folien in Südspanien.
So argumentieren gerne Landwirte und Handel und versuchen damit die Verantwortung für die Ausbeutung von Erntehelfer_innen los zu werden. Dennoch stimmt das nicht ganz. Das beste Gegenargument brachte vor zwei Jahren eine Projektgruppe des Management Centers Innsbruck (MCI) hervor, die sich drei Semester lang mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Saisonarbeiter_innen im Raum Innsbruck beschäftigte. In dem im Januar 2014 präsentierten Forschungsbericht der Studierenden des MCI-Masterstudiengangs „Soziale Arbeit, Sozialpolitik & -management“ heißt es: „Das wäre so, als würde man dann so rechtfertigen, dass Österreicher_innen, die in der Schweiz arbeiten, weniger als die Schweizer_innen verdienen sollen, weil der Verdienst in der Schweiz noch viel höher ist als in Österreich.“ Touché.
Zudem war der Vergleich, den Sorin*, ein Erntehelfer aus Rumänien, neulich machte, noch treffender: „Ich komme seit sieben Jahren zu einem Thaurer Bauern als Saisonier zum Ernten. Mein Chef baute sich einen modernen Bauernhof mit einer Villa innerhalb des letzten Jahres fertig und ich baue ein kleines Haus in Rumänien seit sieben Jahren und das Haus ist immer noch nicht fertig“. Abgesehen davon, muss Sorin jedes Jahr neun Monaten im Jahr auf seinen 5-jährigen Sohn verzichten, der beinahe vaterlos aufwächst. Die Aussage, Erntehelfer_innen aus dem Ausland verdienen ein gutes Geld für ihre Verhältnisse und deshalb sollen sie froh sein überhaupt einen Job bei uns zu bekommen, bedeutet sie als reine Arbeitskräfte zu betrachten und nicht als Menschen.
Wie es diesen Menschen geht, wissen die wenigsten Konsument_innen in Tirol. Ab und zu nehmen wir sie wahr, wenn wir nach Hall über die Bundesstraße fahren oder in Tirol auf Gemüse- und Obstfeldern unterwegs sind, doch die Fragen „Wer sind sie? Woher sind sie?“ und vor allem „Wie geht es ihnen?“ werden, wenn überhaupt gestellt, selten beantwortet. Denn sie sind trotzdem unsichtbar.
Sich als Konsument_in mit diesen Fragen auseinandersetzen bedeutet das System in Frage stellen, vielleicht sogar mehr Geld für das Gemüse ausgeben müssen und so kaufen wir lieber Fairtrade-Bananen aus Peru und beruhigen damit unser gutes Gewissen. Ob auch die Radieschen aus Tirol fair sind, das wird nicht thematisiert. Warum das so ist, das kann ich nicht nachvollziehen.
Erntehelfer_innen haben keine Zeit um sich in der österreichischen Gesellschaft einzubringen. Die Sprachbarriere stellt zudem ein großes Problem dar – sie unterschreiben Verträge, die sie zumeist nicht verstehen. Außerdem haben sie häufig mit unkorrekten Anmeldung zu kämpfen, etwa Teilzeitmeldungen: sie unterschreiben Verträge für 20 Stunden und müssen dann 40 bis 60 Stunden arbeiten – und die Differenz entweder schwarz oder gar nicht ausbezahlt bekommen.
In vielen Fällen bekommen die Arbeiter_innen keine Lohnzettel oder sie müssen Blankounterschriften abgeben. Hinzu kommt, dass ihnen zu hohe Summen für Kost, Logis und Arbeitswerkzeug vom Lohn abgezogen werden, hoher als es gesetztlich geregelt ist.
Die Mehrheit der etwa 70 Erntearbeiter_innen vom größten Gemüsebauern Tirols, die vor drei Jahren in einem pionierhaften und mutigen Schritt protestiert und die Arbeit niedergelegt haben, waren langjährige Arbeiter_innen des Thaurer Großbauern, zum Teil über zehn Jahre lang. Sie forderten gesetzlichen Ansprüche wie Urlaubs-und Weihnachtgeld ein, die ihnen vorenthalten wurden.
All die Jahre wussten sie nicht, dass diese Sonderzuschläge ihnen zustand, sie wussten nicht Mal die Höhe des Mindestlohns. Jedes Jahr kamen sie nach Tirol, unterschrieben einen Dienstvertrag, den sie nicht verstanden haben und nie wurden sie von ihrer Vertretung, der Landarbeiterkammer, über ihre Grundrechte informiert.
Im Gegensatz zu dem, was mensch in Österreich, so auch in Tirol, so gern glaubt, ist die Arbeit am Feld für Menschen aus dem Land keinen Traumjob, sondern nur wer es aufgrund des beschränkten Arbeitsmarktzugangs und/oder mangelnder Erwerbsmöglichkeiten im Herkunftsland nötig hat, lässt sich auf dieses Arbeitsverhältnis ein.
Aber nicht die Produzent_innen alleine tragen für die Ausbeutung von migrantischen Erntehelfer_innen Verantwortung. Das hat System. Die Bauern und Bäuerinnen sind stark von den Abnehmer_innen im Handel anhängig. Die Supermarkketten ordern mehrmals täglich frische Ware, die innerhalb weniger Stunden angeliefert werden muss. Käufer_innen erwarten jeden Tag frische Produkte in den Regalen, weshalb Erntehelfer_innen an Sonn- und Feiertagen auf die Felder müssen.
Der Handel drückt die Preise nach unten, folglich haben die Produzent_innen, welche die Produktionskosten senken können, die Nase vorne. Im landwirtschaftlichen Sektor spielen die Lohnkosten eine entscheidende Rolle, da die Erntearbeit großteils händisch erfolgt. Ohne „billige“ ausländische Arbeiter_innen, die während der Arbeitsspitzen angestellt werden, können viele Bauern und Bäuerinnen mit diesem Wettlauf nach unten nicht mithalten. So bleiben die Arbeitsrechte der Erntehelfer_innen auf der Strecke.
Kleine Produzent_innen wollen sich übers Wasser halten, industrielle Landwirte und Handelskette wollen Gewinn machen und Konsument_innen wollen so wenig Geld wie möglich für Lebensmittel ausgeben. Wenn Konsument_innen mehr ausgeben, dann für biologische und regionale Produkte, für die es keine Garantie gibt, dass sie auch fair sind. Erntehelfer_innen sind somit die Verlierer_innen in der Kette der Lebensmittelproduktion.
Sie kommen von weit her, von dort, wo große europäische Konzerne Landraub betreiben und dadurch Menschen ins Ausland zwingen um die Familie ernähren zu können. Wie es bei Sorin der Fall ist – selber einst ein kleiner Gemüseproduzent in Rumänien, der aber mit den Preisen des importierten europäischen Gemüse nicht mehr konkurrieren konnte und sein Grundstück an einer deutschen Firma verkaufen musste, die nun dort Mais anbaut.
„Lebensmittel sollen nicht über die Grenzen hinaus konkurrieren“, heißt es in der Verfassung der weltweiten Bewegung „Via Campesina“, die aus Kleinbäuer_innen und Landarbeiter_innen besteht und das Konzept der Ernährungssouveranität vertritt.
Stichwort Ernährungssouveranität: bewusst einkaufen – biologisch und regional – bedeutet nicht, dass die Produkte auch fair sind. Es liegt an uns allen Konsument_innen, die Information vom Handel einzufordern, ob die Produkte fair produziert wurden, uns dafür interessieren und nicht ein Auge zudrücken und so tun, als hätten wir nichts damit zu tun – damit Menschenrechte einen Platz in der Produktion von unseren Lebensmittel haben.
Eine gemeinsame Aufklärungskampagne der Produktionsgewerkschaft PRO-GE im ÖGB mit NGO´s und Aktivist_innen aus dem Bereich Landwirtschaft will der Ausbeutung von Erntehelfer_innen in Österreich entgegenwirken und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern.
Die Kampagne heißt SEZONIERI, Saisonier auf Rumänisch, die Sprache der meisten Erntehelfer_innen in Österreich. Sie wurde vor zwei Jahren initiiert und wird abseits von Tirol auch im Burgenland, in der Steiermark, in Niederösterreich und in Wien durchgeführt. SEZONIERI trägt bereits Früchte und ist auch auf Facebook mit einer Infoseite vertreten.
Sónia Melo
sezonieri@gmx.at
* Name von der Autorin geändert
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Aus dem per ÖVP-Amtsmissbräuche offenkundig verfassungswidrig agrar-ausgeraubten Tirol, vom friedlichen Widerstand, Klaus Schreiner
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“Wer behauptet, man braucht keine Privatsphäre, weil man nichts zu verbergen hat, kann gleich sagen man braucht keine Redefreiheit weil man nichts zu sagen hat.“ Edward Snowden
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