Finanzmarkt- und Konzernmacht-Zeitalter der Plutokratie unterstützt von der Mediakratie in den Lobbykraturen der Geld-regiert-Regierungen in Europa, Innsbruck am 29.08.2016
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6. Kapitel: Die »Strategie der Spannung« in der Zeit des Kalten Krieges (von Dr. Daniele Ganser)
(Original auf Englisch. Übersetzung von Oliver Bommer mit freundlicher Genehmigung von Dr. Daniele Ganser)
Der 11. September und das Amerikanische Imperium
Band 1: Die Stimme der Gelehrten
6. Kapitel
Dr. Daniele Ganser
Die »Strategie der Spannung« in der Zeit des Kalten Krieges
Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 warteten Wissenschaftler in Europa und in meinem Heimatland, der Schweiz, die Interesse an den Details des Phänomens hatten, gespannt auf die offizielle Untersuchung des Verbrechens durch die USA. Den meisten war sofort klar, daß die Terroranschläge in den USA ebenfalls große Auswirkungen auf Europa und den Rest der Welt haben würden und deshalb im Detail untersucht werden müßten. Als der 9/11-Kommissionsbericht (der manchmal auch als Kean-Zelikow-Bericht bezeichnet wird) schließlich im Juli 2004 – fast drei Jahre nach den Anschlägen des 11. September – veröffentlicht wurde, hofften viele Wissenschaftler aus den Bereichen zeitgenössische Geschichte und internationale Beziehungen, darin die definitive Darstellung des 11. September zu finden.1
Diese Hoffnung wurde wenige Monate später mit der Veröffentlichung von David Ray Griffins Buch The 9/11 Commission Report: Omissions and Distortions erschüttert.2 »Ich habe den Verdacht«, schrieb Griffin , »daß viele Leser durch die schiere Anzahl der Auslassungen und die Kühnheit der Verzerrungen schockiert sein werden, so wie ich es war.«3 Einige Akademiker in Europa mit Interesse am 11. September haben lediglich die 571 Seiten des offiziellen 9/11-Berichts gelesen und begnügten sich – aufgrund fehlender Zeit oder fehlenden Interesses – mit der Darstellung, die darin geboten wurde. Andere, die zusätzliche Zeit und Energie investierten und sich zusätzlich durch die 339 Seiten von Griffins Kritik pflügten, waren zutiefst beunruhigt.
Dieser Unterschied führte zu einer eher unglücklichen Kluft zwischen europäischen Wissenschaftlern, die sich für den 11. September interessieren – eine Kluft, die bis heute weiterhin existent ist. Eine erste Gruppe, jene die lediglich den Kean-Zelikow-Bericht gelesen haben, waren überzeugt, daß ihnen von der Bush-Cheney-Regierung und der offiziellen Kean-Zelikow-Kommission, die im Großen und Ganzen die offizielle Linie bestätigte, die Wahrheit über den 11. September gesagt wurde. Eine zweite Gruppe konnte nach der Lektüre von Griffins Analyse – wie er es vorausgesagt hatte – nicht umhin, aufgrund der Kühnheit der Auslassungen und Verzerrungen verdutzt zu sein. Für diese zweite Gruppe, zu der ich mich persönlich auch zähle, war der Kean-Zelikow-Bericht derart mangelhaft und unausgewogen, daß er niemals als akkurate Darstellung dessen, was wirklich am 11. September geschah, akzeptiert werden konnte.
Eine Erkenntnis, daß der Kean-Zelikow-Bericht mangelhaft ist, bietet nicht unmittelbar einen Einblick in das, was wirklich am 11. September geschah. Dieses Verbrechen bedarf daher einer weiteren Untersuchung durch Wissenschaftler auf der ganzen Welt – eine dringende Untersuchung, könnte man hinzufügen, angesichts der weitreichenden Folgen der Anschläge des 11. September in den Jahren danach. Diese Situation hat uns alle, die wir auf verdeckte Kriegsführung spezialisiert sind, gezwungen, zu den Einzelheiten des 11. September – und es ist wirklich ein Ozean an Informationen – zurückzukehren um herauszufinden, welche Theorie den 11. September am besten erklärt.
Dieses Kapitel erhebt keinen Anspruch darauf, erklären zu können, was wirklich am 11. September geschah. Es durchforstet auch nicht all die widersprüchlichen Informationen zum 11. September, die bis jetzt zur Verfügung stehen. Es behandelt lediglich Informationen zur verdeckten Kriegsführung während des Kalten Krieges. Bevor wir uns ihnen zuwenden, ist es jedoch notwendig, kurz auf einige der aktuellen, sich widersprechenden Theorien zum 11. September einzugehen.
Drei Theorien zum 11. September
Es ist wichtig zu betonen, daß alle Theorien zum 11. September Verschwörungstheorien sind. Eine Verschwörung ist eine geheime Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Personen, sich an einer kriminellen Handlung zu beteiligen. Verschwörungen sind nichts ungewöhnliches oder neues auf dem Gebiet der historischen Forschung. Spätestens seit der Ermordung von Julius Caesar im antiken Rom vor mehr als 2000 Jahren waren Verschwörungen ein Element des politischen Kampfes um Einfluß und Macht. Da der 11. September ein krimineller Akt war, der definitiv nicht von einer einzelnen Person alleine geplant und durchgeführt wurde, sondern von mindestens zwei oder mehr Personen, die dem Plan zustimmten, bevor er umgesetzt wurde, muß der 11. September als Verschwörung klassifiziert werden. Sobald wir erkennen, daß keine der Theorien mit der Begründung abgewiesen werden kann, daß es sich um eine »Verschwörungstheorie« handelt, lautet die eigentliche Frage: Welche Verschwörungstheorie beschreibt die 9/11-Verschwörung korrekt? Zurzeit dominieren drei sich gegenseitig widersprechende Theorien den Diskurs.
Die erste Theorie zum 11. September ist die sogenannte Surprise-Theorie (Überraschungstheorie). Sie wurde von der Bush-Regierung und dem Kean-Zelikow-Bericht aufgestellt und behauptet, daß sich Osama bin Laden zusammen mit Khalid Sheikh Mohammed, Mohammed Atta und weiteren Männern verschworen hat, am 11. September die USA anzugreifen. Die Surprise-Theorie argumentiert, daß der 11. September eine muslimische Verschwörung war. Sie räumt ein, daß es Gerüchte über einen drohenden Angriff gab, besteht jedoch darauf, daß die US-Geheimdienste, einschließlich NSA, CIA, FBI, DIA und weiterer Geheimdienste, zusammen mit dem Pentagon, nicht in der Lage waren, die Umsetzung der Verschwörung zu verhindern.
Die zweite Theorie zum 11. September ist die sogenannte LIHOP-Theorie (Let It Happen On Purpose; deutsch etwa: Laß es absichtlich geschehen). Wie die Surprise-Theorie geht sie davon aus, daß sich Osama bin Laden zusammen mit Khalid Sheikh Mohammed, Mohammed Atta und weiteren Männern verschworen hat, am 11. September die USA anzugreifen. Im krassen Gegensatz zur Surprise-Theorie behauptet die LIHOP-Theorie jedoch, daß Personen innerhalb der US-Regierung die Angriffe bewußt zuließen, um dadurch in der Lage zu sein, eine Reihe von Kriegen zu beginnen, die bereits zuvor geplant waren. Die LIHOP-Theorie argumentiert also, daß der 11. September eine kombinierte muslimische und christlich-jüdische Verschwörung war, bei der die letztere Gruppe die erste überlistete.
Die dritte Theorie zum 11. September ist die sogenannte MIHOP-Theorie (Make It Happen On Purpose; deutsch etwa: Mach es absichtlich). Sie argumentiert, daß kriminelle Personen innerhalb der US-Regierung, des Pentagons und der Geheimdienste die Angriffe selbst ausführten, um dadurch in der Lage sein, eine Reihe von Kriegen zu beginnen, die bereits zuvor geplant waren. Die MIHOP-Theorie argumentiert also, daß der 11. September in erster Linie eine christliche oder christlich-jüdische Verschwörung war, bei der Muslime – wenn überhaupt welche beteiligt waren – nur eine untergeordnete Rolle spielten.4
Theologen haben zu Recht darauf hingewiesen, daß keine wahren christlichen, jüdischen oder muslimischen Werte – einschließlich der Liebe und des Respekts für andere Menschen – bei den Verbrechen des 11. September gefunden werden können, und daß es daher grundsätzlich falsch ist, eine der drei größten monotheistischen Weltreligionen mit diesem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Wenn Religion bei dem fanatischen Verbrechen überhaupt eine Rolle gespielt hat, dann war es fehlgeleitete Religion.
Die Bedeutung der Geschichte der verdeckten Kriegsführung
Normale Menschen mit geringen Kenntnissen der Geschichte der verdeckten Kriegsführung fanden es zutiefst beunruhigend, die LIHOP- und MIHOP-Theorie auch nur in Betracht zu ziehen. Warum sollte irgendeine Regierung in der Welt – haben sie sich gefragt – ihre eigene Bevölkerung angreifen oder – nur geringfügig weniger kriminell – einer ausländischen Gruppe die Durchführung eines solchen Anschlags wissentlich erlauben? Während brutale Diktaturen, wie das Regime von Pol Pot in Kambodscha, dafür bekannt sind, wenig Respekt vor dem Leben und der Würde ihrer Bürger zu haben, würde eine westliche Demokratie sicherlich – so der Gedankengang – sich nicht an einem solchen Machtmißbrauch beteiligen. Und wenn sich kriminelle Elemente innerhalb einer westlichen Demokratie – in Nordamerika oder in Europa – an einem solchen Verbrechen beteiligt hätten, würden gewählte Beamte oder die Medien nicht davon erfahren und darüber berichten? Ist es vorstellbar, daß kriminelle Personen innerhalb einer Regierung Terroranschläge gegen unschuldige Bürger begehen könnten, die gerade diese Regierung mit den Steuergeldern unterstützen, die sie jedes Jahr zahlen? Würde dies niemand bemerken? Das sind schwierige Fragen selbst für Wissenschaftler, die auf die Geschichte der verdeckten Kriegsführung spezialisiert sind. Aber tatsächlich gibt es historische Beispiele für solche Operationen, die von westlichen Demokratien durchgeführt wurden.
In diesem Aufsatz werde ich über einige der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur verdeckten Kriegsführung während des Kalten Krieges berichten. Eine geheime militärische Strategie, die sich mit Hilfe des Terrorismus gegen die inländische Bevölkerung richtet, existiert in der Tat. Man nennt sie die »Strategie der Spannung«. Und sie wurde von westlichen Demokratien umgesetzt.
Die Strategie der Spannung
Es ist wahrscheinlich nicht übertrieben, wenn ich sage, daß von den rund sechs Milliarden Menschen, die aktuell auf unserem Planeten leben, weit weniger als ein Prozent jemals von der »Strategie der Spannung« gehört haben. Und nur sehr wenige von ihnen können diese Strategie mit konkreten historischen Beispielen veranschaulichen. Es ist tatsächlich eine Strategie einer Schattenwelt, die nur wenigen Militärs und Geheimdienstmitarbeitern (und einigen Kriminellen), die sie durchgeführt haben, bekannt ist, ein paar Polizisten und Richtern, die sie bekämpft haben, und einer Handvoll Journalisten und Wissenschaftler, die darüber geschrieben haben.
In ihrem Kern zielt die Strategie der Spannung auf die Emotionen der Menschen und will maximale Angst unter der Zielgruppe verbreiten. »Spannung« bezieht sich auf emotionale Verzweiflung und psychische Angst, während sich »Strategie« auf die Technik der Herbeiführung solcher Emotionen wie Verzweiflung und Angst bezieht. Ein terroristischer Anschlag an einem öffentlichen Ort, wie einem Bahnhof, einem Marktplatz oder einem Schulbus, ist die typische Technik, durch die die Strategie der Spannung umgesetzt wird. Nach dem Angriff – und das ist ein entscheidendes Element – beschuldigen die Geheimagenten, die das Verbrechen ausgeführt haben, einen politischen Gegner durch Beseitigen beziehungsweise Platzieren von Beweisen.
Es ist zu beachten, daß die Ziele der Strategie der Spannung nicht die Toten und Verletzten der Terroranschläge sind, wie viele vielleicht annehmen mögen. Das Ziel sind die politischen Gegner, die durch den Angriff diskreditiert werden, und diejenigen, die zwar unverletzt bleiben, aber von dem Angriff erfahren, und somit Angst um ihr Leben und das ihrer Angehörigen haben. Da es das Ziel der Strategie ist, Gegner zu diskreditieren und Angst zu erzeugen, sind die tatsächlichen Ziele nicht die Menschen, die getötet wurden, unabhängig davon, ob es Dutzende oder sogar Tausende sind, sondern die Millionen Menschen, die zwar körperlich unversehrt, aber emotional erschüttert überlebt haben.
Die Strategie der Spannung ist Teil der sogenannten »psychologischen Kriegsführung« oder PSYWAR. Wie der Begriff schon sagt, greift diese Form der Kriegsführung nicht menschliche Körper, Panzer, Flugzeuge, Schiffe, Satelliten und Häuser an, um sie zu zerstören, sondern die menschliche Psyche, die menschliche Seele. Abgesehen von der Tatsache, daß Philosophen, Psychologen, Neurologen und Theologen sich bisher nicht darauf einigen konnten, was genau »die Seele« ist, können wir sie hier für unsere Zwecke einfach als unsere menschliche Fähigkeit zu denken und zu fühlen definieren. Wenn eine Gruppe ohne unser Wissen, Zugang zu unserem Denken und unseren Gefühlen erlangen kann, kann sie große Macht über uns ausüben. Sobald wir erkennen, daß unsere Psyche durch psychologische Kriegsführung manipuliert wird, verliert die Technik einen Teil ihrer Wirkung.
Psychologische Kriegsführung spielte im Zweiten Weltkrieg und allen folgenden Kriegen eine zentrale Rolle. Sie wurde von militärischen Führern in Europa, Nord- und Südamerika, Asien, Australien und Afrika angewandt. Sie wird manchmal im Volksmund als »Propaganda« bezeichnet, aber Propaganda ist nur eine Form der psychologischen Kriegsführung. Die Strategie der Spannung ist eine weniger bekannte Form. Das US-Verteidigungsministerium definiert psychologische Kriegsführung folgendermaßen: »Der geplante Einsatz von Propaganda und anderen psychologischen Maßnahmen mit dem Hauptzweck der Beeinflussung der Meinungen, Gefühle, Einstellungen und Verhalten feindlicher ausländischer Gruppen in einer Weise, die das Erreichen nationaler Ziele unterstützt.«5
Psychologische Kriegsführung kann in vielen verschiedenen und scheinbar unzusammenhängenden Formen vorkommen – Flugblättern, Plakaten oder Fernsehberichten, die alle das Denken und Fühlen der Zielgruppe formen. Oder sie kann in Form eines Terroranschlags vorkommen, der von Geheimagenten ausgeführt wird und einem politischen Gegner die Schuld zuschiebt. Unnötig zu sagen, daß Terrorismus im Zuge der Strategie der Spannung, der unschuldige Menschen tötet, eine viel radikalere und brutalere Form der psychologischen Kriegsführung ist, als das Abwerfen von Papierflugblättern aus einem Flugzeug über feindlichem Gebiet. Aber die beiden Formen der psychologischen Kriegsführung stehen mit ihrem Abzielen auf die Seele – auf die Emotionen und Gedanken der Menschen – in Verbindung.
Ich werde nun einige historische Beispiele für Terrorismus im Zuge der Strategie der Spannung aufführen. Die wohl besten historischen Informationen, die heutzutage zur Strategie der Spannung verfügbar sind, kommen aus Italien, wo Richter, Parlamentarier und Wissenschaftler weiterhin gemeinsam große Anstrengungen unternehmen, um diese geheime Strategie zu verstehen und zu beschreiben.
Richter Casson und der Peteano-Anschlag
Der italienische Richter Felice Casson hat diese Strategie während seinen Untersuchungen zu einer Reihe von Terroranschlägen wiederentdeckt, die Italien in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren durchlitten hatte. Laut Casson fand der am besten dokumentierte historische Fall, bei dem die Strategie der Spannung angewandt wurde, in dem italienischen Dorf Peteano statt. Dort wurden am 31. Mai 1972 drei Angehörige der italienischen paramilitärischen Polizei – der Carabinieri – mit einem anonymen Anruf zu einem verlassenen Fiat 500 gelockt und wurden ermordet, als sie die Motorhaube des Autos öffneten und dadurch eine Bombe zur Explosion brachten. Viele Jahre wurden die Roten Brigaden, eine linksgerichtete Terrororganisation in Italien, für diesen Terroranschlag verantwortlich gemacht. Aber nachdem Casson das Verfahren wiederaufgenommen hatte, fand er heraus, daß der katholische Neofaschist Vincenzo Vinciguerra, ein militanter Antikommunist, das Verbrechen begangen hatte.
Casson fand zu seiner großen Überraschung ebenfalls heraus, daß Vinciguerra nicht alleine gehandelt hatte, sondern unter dem Schutz von Angehörigen des italienischen Militärgeheimdienstes, des heutigen SISMI (Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Militare) stand.6 Richter Casson verhaftete Vinciguerra, der im Jahre 1984 während der Gerichtsverhandlung bestätigte, daß es für ihn relativ leicht war zu fliehen und sich zu verstecken, weil große Teile des italienischen Sicherheitsapparats, einschließlich des SISMI, seine antikommunistische Überzeugungen teilten und daher stillschweigend Verbrechen unterstützten, die die italienische Linke und vor allem die Kommunistische Partei, die ziemlich stark war, diskreditierten. Nach dem Bombenanschlag, erinnerte sich Vinciguerra, »kam ein ganzer Mechanismus zum Einsatz. … Die Carabinieri, der Innenminister, der Zoll und die militärischen und zivilen Geheimdienste akzeptierten die ideologische Begründung für den Angriff.«7
Casson fand heraus, daß dadurch, daß die linksgerichteten Roten Brigaden für dieses Verbrechen und weitere Anschläge verantwortlich gemacht wurden, der politische Hauptgegner, die Kommunistische Partei Italiens, diskreditiert wurde. Die Direktoren des militärischen Geheimdienstes und Politiker argumentierten nach der Tat, daß die »kommunistische Gefahr« im Interesse der Staatssicherheit gesteigerte Militärausgaben und eine Reduzierung der bürgerlichen Freiheiten rechtfertigte. Auf diese Weise verbreitete die Strategie der Spannung – wie sie beim Peteano-Anschlag angewandt wurde – Angst in ganz Italien, diskreditierte einen politischen Gegner und erlaubte die Umsetzung von konservativen Sicherheitsrichtlinien. Sie war sehr effektiv, denn zu dieser Zeit wußte niemand, daß die Geheimdienste das Verbrechen unterstützt hatten.
»Soweit die Geheimdienste betroffen sind, ist der Peteano-Anschlag ein Teil dessen, was als ›die Strategie der Spannung‹ bezeichnet wird«, erklärte Richter Casson im Jahre 1991 in einem BBC-Interview.
Die Spannung, die innerhalb des Landes erzeugt wurde, diente dann dazu, konservative, reaktionäre soziale und politische Tendenzen zu fördern. Während diese Strategie umgesetzt wurde, war es notwendig, diejenigen, die dahinterstanden zu schützen, weil Beweise für ihre Verwicklung entdeckt worden waren. Zeugen hielten Informationen zurück, um Rechtsextremisten zu decken.8
Vinciguerra war Mitglied einer privaten italienischen faschistischen Organisation, Ordine Nuovo (Neue Ordnung), die enge Beziehungen zum SISMI pflegte. Ein Ordine Nuovo-Mitglied, Clemente Graziani, argumentierte in einem Buch von 1963, daß es als Katholiken ihre Pflicht gewesen sei, die gottlosen Kommunisten mit allen Mitteln zu bekämpfen, einschließlich Operationen mithilfe der Strategie der Spannung, die auf den ersten Blick zu brutal und zu unmoralisch erscheinen mögen. Die Kommunisten wandten ebenfalls, so argumentierte er, schmutzige Tricks an und würden deshalb niemals besiegt werden, wenn Ordine Nuovo sich aus moralischen Gründen nicht auch vor Terrorismus scheuen würde: »Der Terrorismus hat offenkundig die Möglichkeit, auch ältere Menschen, Frauen und Kinder zu töten oder töten zu lassen«, hob Graziani hervor. Aber, fuhr er fort:
Operationen dieser Art wurden bis jetzt für verächtliche und verabscheuungswürdige Verbrechen und vor allem nutzlose Verbrechen gehalten, um einen Konflikt zu gewinnen. Der Kanon der revolutionären Kriegsführung unterläuft jedoch diese humanitären und moralischen Prinzipien. Diese Formen der terroristischen Einschüchterung werden heutzutage nicht nur als akzeptable Operationen betrachtet, sondern sind manchmal sogar absolut notwendig.9
Weitere Terroranschläge
Peteano war in Italien keine isolierte Tragödie, sondern Teil einer langen Reihe von Terroranschlägen, die im Jahre 1969 begonnen hatte. Am 12. Dezember jenes Jahres explodierten auf öffentlichen Plätzen in Rom und Mailand vier Bomben, die 16 unschuldige Zivilisten töteten und 80 Personen verstümmelten und verwundeten, wobei es die meisten Toten und Verletzten auf dem Mailänder Piazza Fontana gab. Nach dem Massaker platzierte der italienische Militärgeheimdienst SID nach den Regeln der Strategie der Spannung Bombenbauteile in der Villa des bekannten linken Verlegers Giangiacomo Feltrinelli, um die Kommunisten und andere Mitglieder der extremen Linken des Terrors zu beschuldigen.10 Erst Jahre später wurde bekannt, daß Feltrinelli absolut gar nichts mit dem Verbrechen zu tun hatte und daß in Wirklichkeit die italienischen Rechtsextremen, einschließlich Ordine Nuovo, die Gräueltaten ausgeführt hatten, um die Strategie der Spannung zu befördern.
Große Anschläge gab es auch im Jahre 1974, einige Jahre nach der Peteano-Tragödie. Am 28. Mai explodierte eine Bombe auf einer antifaschistischen Kundgebung, bei der sich in der italienischen Stadt Brescia 3000 Menschen versammelt hatten, und tötete acht Menschen und verletzte und verstümmelte weitere 102 Personen. Um die Spuren der rechtsextremen Bombenleger zu vertuschen, wurde der Platz mit Wasserschläuchen gereinigt, bevor die Untersuchungsrichter den Tatort erreichen konnten, um die Beweise zu sichern. Eine italienische Senatskommission beobachtete später, daß »die Ermittlungen unmittelbar nach dem Massaker von solch unglaublichen Fehlern charakterisiert waren, daß man sprachlos blieb.«11 Des weiteren explodierte am 4. August eine Bombe in einem Zug, dem Rom-München-Italicus-Express, und tötete 12 unschuldige Zivilisten und verletzte und verstümmelte 48 weitere Personen.
Den tödlichsten Anschlag gab es am 2. August 1980, einem warmen und sonnigen Samstag-Nachmittag, der außerdem der erste Tag der italienischen Sommerferien war. Eine gewaltige Explosion zerfetzte den Wartesaal der zweiten Klasse des Bahnhofs von Bologna und tötete durch die Druckwelle 85 Menschen und verletzte und verstümmelte weitere 200 Personen schwer.
Der Zweck der Anschläge
Diese Serie von Terroranschlägen diskreditierte die italienischen Kommunisten und verbreitete maximale Angst unter der italienischen Bevölkerung, da niemand wirklich wußte, was los war und wer als nächstes getötet werden würde. Da es unmöglich war, das ganze Transportsystem zu schützen, geschweige denn alle öffentlichen Plätze, war allen Sicherheitsexperten dieser Zeit klar, daß demokratische Gesellschaften jederzeit für Terroranschläge anfällig bleiben würden. »Man mußte Zivilisten, das Volk, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen fernab jedes politischen Spiels angreifen,« erklärte der Neofaschist Vincenzo Vinciguerra nach seiner Verhaftung die Strategie der Spannung, an der er selbst teilgenommen hatte.
Der Grund war ganz einfach [fuhr er fort]. Sie [die Anschläge] sollten diese Menschen – die italienische Öffentlichkeit – zwingen, sich an den Staat zu wenden und um mehr Sicherheit zu bitten. Dies ist die politische Logik, die hinter all den Massakern und Bombenanschlägen steht, die ungesühnt bleiben, weil der Staat sich nicht selbst verurteilen kann und sich für das verantwortlich erklären kann, was passiert ist.12
Die Gladio-Enthüllungen
Der italienische Richter Felice Casson, der die Strategie der Spannung wiederentdeckt hatte, wollte wissen, warum Personen innerhalb der italienischen Regierung und der Geheimdienste die kriminelle Strategie der Spannung unterstützt hatten. Nach der Verhaftung des Peteano-Bombers Vinciguerra entschied er sich, tief zu graben: »Ich wollte, daß neues Licht auf diese Jahre der Lügen und Geheimnisse scheint, das ist alles. Daß Italien ausnahmsweise einmal die Wahrheit erfährt.«13 Im Sommer 1990 erbat Richter Casson vom italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti die Erlaubnis, die Archive des italienischen Militärgeheimdienstes (SISMI) in Rom zu durchsuchen.
Die Erlaubnis wurde erteilt und Casson machte eine sensationelle Entdeckung: Er fand heraus, daß unter dem Codenamen »Gladio« (»Schwert«) eine geheime Armee existierte, die vom italienischen Militärgeheimdienst in enger Zusammenarbeit mit der CIA in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden war. Diese geheime Armee sollte im Falle einer sowjetischen Invasion und Besetzung Italiens als Guerilla-Einheit fungieren.
Die von Casson gefundenen Informationen wiesen darauf hin, daß diese geheimnisvolle Gladio-Armee mit der NATO in Verbindung stand, und – in Ermangelung einer sowjetischen Invasion – die italienische Politik mit einer Reihe von verdeckten Operationen während des Kalten Krieges manipuliert zu haben schien, um die italienischen Kommunisten zu schwächen.
Casson informierte vertraulich eine italienische parlamentarische Kommission von seinen weitreichenden Erkenntnissen. Die Senatoren waren sehr überrascht und wiesen am 2. August 1990 den Leiter der italienischen Exekutive Premierminister Giulio Andreotti an, »innerhalb von sechzig Tagen das Parlament in Bezug auf die Existenz, Eigenschaften und Zwecke einer parallelen und okkulten Struktur zu informieren, die innerhalb unseres Militärgeheimdienstes mit dem Ziel operiert haben soll, das politische Leben des Landes zu bestimmen.«14
Am 24. Oktober 1990 übergab Andreotti der Untersuchungskommission des Senats unter Senator Gualtieri einen Zehn-Seiten-Bericht mit dem Titel »Der sogenannte ›Parallel-SID‹ – Der Gladio-Fall«. Andreottis Bericht bestätigte, daß unter dem Decknamen Gladio innerhalb des militärischen Geheimdienstes eine geheime Armee existierte. Andreotti fügte hinzu, daß sie immer noch aktiv und operationsbereit sei. Andreotti war nicht bereit, den weitreichenden Vorwurf der Verschwörung allein zu schultern und beharrte am selben Tag vor dem Parlament darauf, daß »jeder Regierungschef über die Existenz von Gladio informiert worden war.«15 Diese Verkündigung kompromittierte unter anderem den ehemaligen sozialistischen Premierminister Bettino Craxi (1983-1987) und vor allem den ehemaligen Premierminister Francesco Cossiga (1978-1979), der im Jahre 1990 amtierender Präsident war. Die hochrangigen Beamten waren gezwungen, Stellung zu beziehen. Craxi behauptete, bis er mit einem Dokument zu Gladio konfrontiert wurde, das er selbst als Premierminister unterzeichnet hatte, daß er nicht informiert worden war. Cossiga sagte, er sei »stolz auf die Tatsache, daß wir das Geheimnis 45 Jahre lang bewahrt haben.«16
In seinem Bericht bestätigte Andreotti die Ergebnisse von Casson und erklärte, daß Gladio der italienische Arm einer geheimen »Stay-behind«-Armee war, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der CIA und dem SIFAR als Teil eines internationalen Netzwerks von verdecktem Widerstand innerhalb der NATO-Länder aufgestellt worden war, um einer möglichen sowjetischen Invasion entgegenzutreten. Im Falle einer Invasion sollten die »Stay-behind«-Armeen eine Widerstandsbewegung aufbauen und hinter den feindlichen Linien operieren. Diese »Stay-behind«-Armeen wurden von zwei geheimen Zentren der NATO für unkonventionelle Kriegsführung, dem Allied Clandestine Committee (ACC) und dem Clandestine Planning Committee (CPC), beaufsichtigt und koordiniert. In Andreottis Worten:
Sobald die geheime Widerstandsorganisation aufgebaut worden war, wurde Italien aufgefordert, sich … an den Arbeiten des CPC (Clandestine Planning Committee) von 1959 zu beteiligen, die im Geltungsbereich von SHAPE [NATO Supreme Headquarters Allied Powers Europe] operierte …; im Jahre 1964 trat der italienische Geheimdienst ebenso dem ACC (Allied Clandestine Committee) bei.17
Andreotti sah sich scharfen Protesten der italienischen Presse entgegen und behauptete, daß der italienische Militärgeheimdienst im allgemeinen sowie die Gladio-Mitglieder im speziellen nichts mit dem Terror zu tun hätten, unter dem Italien während des Kalten Krieges litt. Er sagte, daß »die zuvor genannten Staatsbürger weder ein Strafregister besitzen, noch an der aktiven Politik teilnehmen, noch an irgendeiner Art von extremistischen Bewegungen beteiligen.«18
Der Peteano-Bomber Vinciguerra, der sich im Zentrum der Strategie der Spannung befand, widersprach dieser Darstellung. Bereits während seines Prozesses im Jahre 1984 hatte er erklärt: »Mit dem Massaker von Peteano und mit all denen, die darauf folgten, sollte inzwischen die Erkenntnis klar sein, daß eine echte, lebendige Struktur existiert – okkult und verborgen – mit der Fähigkeit einer strategischen Ausrichtung auf die Gräueltaten.« Die Struktur, sagte er, »liegt innerhalb des Staates selbst. Es gibt in Italien eine geheime Macht parallel zu den Streitkräften, zusammengesetzt aus Zivilisten und Militärs, in einer antisowjetischen Funktion, um auf italienischem Boden Widerstand gegen eine russische Armee zu organisieren.«
Ohne den Namen Gladio zu verraten, hatte Vinciguerra eindeutig viele Jahre, bevor Ministerpräsident Andreotti dessen Existenz bestätigte, von der geheimen Armee gesprochen. Vinciguerra sagte im Jahre 1984, daß das, was er beschrieb, »eine geheime Organisation [war], eine übergeordnete Organisation mit einem Netzwerk aus Kommunikationsmitteln, Waffen und Sprengstoff und Männern, die geschult waren, diese zu benutzen.« Vinciguerra bestand darauf, daß diese »übergeordnete Organisation, mangels einer sowjetische Invasion, die Aufgabe übernommen hatte, im Auftrag der NATO ein Abdriften des politischen Gleichgewichts des Landes nach links zu verhindern. Sie taten dies mit Unterstützung der offiziellen Geheimdienste und den politischen und militärischen Kräften.«19
Die ehemaligen Leiter des italienischen Militärgeheimdienstes waren schockiert, daß Ministerpräsident Andreotti enthüllt hatte, was viele für eines seiner bestgehütetsten Geheimnisse gehalten hatten. General Vito Miceli, Chef des italienischen Militärgeheimdienstes von 1970 bis 1974, protestierte bei der italienischen Presse: »Ich bin ins Gefängnis gegangen, weil ich nicht wollte, daß die Existenz dieser supergeheimen Organisation enthüllt wird. Und jetzt kommt Andreotti und erzählt es dem Parlament!«20
Die italienische Presse stand den Gladio-Enthüllungen und der Tatsache sehr kritisch gegenüber, daß die CIA eine zentrale Rolle bei der geheimen Operation spielte. Die Tageszeitung La Stampakommentierte:
Keine Staatsräson könnte die Aufrechterhaltung, Vertuschung oder die Verteidigung einer geheimen militärischen Struktur wert sein, die aus ideologisch ausgewählten Mitgliedern besteht, – abhängig oder zumindest unter dem Einfluß einer fremden Macht – die angeblich als ein Instrument des politischen Kampfes dient. Es kann nicht geringer als Hochverrat und als ein Angriff auf die Verfassung definiert werden.21
Die Kommunistische Partei Italiens (PCI) – davon überzeugt, daß sie selbst und nicht fremde Armeen während des gesamten Kalten Krieges das wahre Ziel der Gladio-Armeen gewesen war – war besonders empört:
Mit diesem geheimnisvollen Parallel-SID, der hervorgezaubert worden war, um einen unerreichbaren Putsch der Linken abzuwenden, haben wir ernstlich einen Staatsstreich der Rechten riskiert. … Wir können nicht akzeptieren, daß … dieser Super-SID als ein militärisches Instrument durchgeht, das dazu bestimmt war, »im Falle einer feindlichen Besetzung« zu operieren. Der wahre Feind ist alleine die Italienische Kommunistische Partei und war es immer gewesen, also ein inländischer Feind.22
Die Rolle der CIA
In den Vereinigten Staaten wurde die Geschichte von den Mainstream-Medien ignoriert. In einem der sehr wenigen Artikel zu diesem Thema berichtete die Washington Post – unter der Überschrift »CIA organisiert Geheimarmee in Westeuropa; paramilitärische Truppe aufgestellt, um sowjetischer Besatzung zu widerstehen« – daß ein ungenannter Geheimdienst-Offizier, der mit Gladio vertraut war, erklärt hatte, daß es »sich um eine rein italienische Operation handelte. Wir hatten keinerlei Kontrolle darüber. … Wenn es Anschuldigungen gibt, daß die CIA an Terroraktivitäten in Italien beteiligt war, so sind diese absoluter Unsinn.«23
Es ist äußerst schwierig, die Details von Operationen im Zuge der Strategie der Spannung zu erforschen und aufzuklären, da niemand bereit ist, öffentlich zu bestätigen, daß er oder sie verdeckte Terror-Operationen in Auftrag gab oder sich daran beteiligte, die unschuldige Zivilisten töteten, Angst unter einer Zielgruppe verbreiteten und für die ein politischer Gegner zu Unrecht verantwortlich gemacht wurde. Wenn, wie im Falle von Italien, eine Reihe von verschiedenen Geheimdiensten beteiligt sind, einschließlich des italienischen SISMI und der amerikanischen CIA, dann wird die Sache noch schwieriger, da sich die verschiedenen Dienste einander beschuldigen und sich gegenseitig widersprechen.
Im Gegensatz zu dem anonymen US-Geheimdienst-Offizier, der in der Washington Post zitiert wurde, und der implizit die Italiener für den Terror in ihrem Land beschuldigte, argumentiert der Forscher Philip Willan, daß die Schuld bei der US-Regierung und ihren Geheimdiensten liegt:
Es ist keineswegs leicht zu bestimmen, wer für die täglichen, taktischen Entscheidungen bei der Durchführung der Strategie der Spannung verantwortlich war. Aber es kann kaum Zweifel daran geben, daß die Gesamtverantwortung für die Strategie bei der Regierung und den Geheimdiensten der Vereinigten Staaten liegt. … Fragen werden zur Wahl der Methoden bleiben, die Hunderten unschuldiger Opfer den gewaltsamen Tod brachten.24
In einem Fernseh-Interview in Italien im Jahre 1990 war Admiral Stansfield Turner, Direktor der CIA von 1977 bis 1981, nicht bereit, diese Behauptung von Willan zu bestätigen und weigerte sich strikt, Fragen zu Gladio zu beantworten. Aus Respekt vor den Opfern der zahlreichen Massaker bestand der italienische Journalist, der das Interview führte, darauf, daß Turner die Strategie der Spannung darlegte. Aber Turner riß verärgert das Mikrofon ab und schrie: »Ich sagte, keine Fragen zu Gladio!«, woraufhin das Interview beendet war.25
Einige im Ruhestand befindliche CIA-Offiziere mittleren Ranges waren bezüglich der geheimen Strategien des Kalten Krieges und der illegalen Operationen der CIA gesprächiger. Unter ihnen war auch Thomas Polgar, der 1981 nach einer 30-jährigen CIA-Karriere in den Ruhestand ging. Als Polgar zu den geheimen Gladio-Armeen in Europa befragt wurde, bestätigte er, daß die »Stay-behind«-Armeen »von einer Art Planungsgruppe für unkonventionelle Kriegsführung in Verbindung mit der NATO« koordiniert worden waren. Polgar bestand darauf, daß »jeder nationale Dienst dies mit unterschiedlichem Grad an Intensität tat«, und fügte hinzu, daß »in den 1970er Jahren in Italien einige der Leute ein wenig über die Charta hinausgingen, die die NATO niedergeschrieben hatte.«26
Mitglieder des italienischen Parlaments beschlossen, tiefer zu graben. Acht Senatoren, von denen die meisten zur Demokratischen Linkspartei (PDS: Partito Democratico della Sinistra) gehörten, die die Italienische Kommunistische Partei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 ersetzt hatte, führten die Untersuchung von Gladio und der Strategie der Spannung fort. Unter dem Vorsitz von Senator Giovanni Pellegrini hörten sie Zeugen, sichteten Dokumente und legten im Jahre 2000 einen 326-seitigen Bericht vor.27 Die ehemaligen Kommunisten kamen zu dem Schluß, daß die geheime Gladio-Armee während des Kalten Krieges zusammen mit der CIA, dem italienischen Militärgeheimdienst und ausgewählten italienischen Neofaschisten gegen die italienischen Kommunisten und Sozialisten gekämpft hatte, aus Angst, sie würden die NATO »von innen heraus« verraten. Der Bericht besagte: »Diese Massaker, diese Bomben, diese militärischen Aktionen wurden organisiert, gefördert oder unterstützt von Männern innerhalb italienischer staatlicher Institutionen und, wie erst in jüngerer Zeit entdeckt wurde, von Männern in Verbindung zu den Strukturen der Geheimdienste der Vereinigten Staaten.«28
Laut den weitreichenden Erkenntnissen des italienischen Senats war die Strategie der Spannung daher von Mitgliedern sowohl der amerikanischen als auch der italienischen nationalen Sicherheitsgemeinden angewandt worden, einschließlich der CIA und des SISMI, die mit Extremisten in Verbindung standen, die dann die Bomben platzierten. General Giandelio Maletti, ehemaliger Leiter der italienischen Spionageabwehr, bestätigte diese Darstellung im März 2001, wenige Monate vor den Terroranschlägen des 11. September.
In einer Gerichtsverhandlung von Rechtsextremisten, denen die Beteiligung an dem Massaker von 1969 auf dem Mailänder Piazza Fontana vorgeworfen wurde, bezeugte General Maletti:
»Die CIA, die den Richtlinien ihrer Regierung folgte, wollte einen italienischen Nationalismus schaffen, der in der Lage war, das zu stoppen, was sie als ein Abdriften nach links ansah, und könnte zu diesem Zweck rechtsradikalen Terrorismus benutzt haben. … Der Eindruck war, daß die Amerikaner alles tun würden, um Italiens Abgleiten nach links zu stoppen,« erklärte der General, und fügte dann hinzu: »Vergessen Sie nicht, daß Nixon im Amt war, und Nixon war ein seltsamer Mann, ein sehr intelligenter Politiker, aber ein Mann mit eher unorthodoxen Initiativen.«29
Untersuchungen in den Vereinigten Staaten
In den USA – abgesehen von der oft ignorierten, aber wichtigen Arbeit von Jeffrey McKenzie Bale (30) – wurde zum Thema US-gesponserte Operationen im Rahmen der Strategie der Spannung in Italien kaum Forschung betrieben. Arthur Rowse, ein ehemaliger Mitarbeiter bei der Washington Post, war ein weiterer der ganz wenigen Amerikaner, die sich dem Phänomen widmeten. In der Schlußfolgerung eines wertvollen Artikels zog er mit folgenden Worten »die Lehren aus Gladio«: »Solange die amerikanische Öffentlichkeit über dieses dunkle Kapitel in den auswärtigen Beziehungen der USA in Unwissenheit bleibt, werden die Behörden nur wenig Druck erfahren, ihre Arbeitsweise zu korrigieren.« Er fügte hinzu: »Das Ende des Kalten Krieges … änderte wenig in Washington. Auf die USA … wartet noch eine echte nationale Debatte über die Mittel und Zwecke und Kosten unserer nationalen Sicherheitspolitik.«31
Die Entdeckung der »Stay-behind«-Armee der NATO in Italien im Jahre 1990 und die anschließende Debatte über die Strategie der Spannung hatte weitreichende internationale Auswirkungen. Als die Details der Operation zum Vorschein kamen, kam die Times (London) zu der Schlußfolgerung, daß die »Geschichte direkt aus den Seiten eines Polit-Thrillers zu sein scheint.«32 Nur für einen kurzen Moment wurde der breiten Öffentlichkeit ein Einblick in eine Schattenwelt des Terrors, der Lügen und der Vertuschung gestattet. Die britische Presse kam zu dem Schluß, daß Gladio – zusammen mit seiner Strategie der Spannung – »das am besten gehütetste und das schändlichste politisch-militärische Geheimnis seit dem Zweiten Weltkrieg« war.33
Die Reaktion der NATO
Indem er erklärte, daß die NATO die geheimen internationalen Netzwerke koordinierte, von denen Gladio lediglich ein Arm war, hatte Andreotti das europäische Hauptquartier der NATO in Belgien großem Druck ausgesetzt. Meine nachfolgenden Forschungen bestätigten, daß in allen Ländern Westeuropas »Stay-behind«-Armeen existierten, die unter unterschiedlichen Codenamen operierten: in Dänemark »Absalon«, in Deutschland »TD BDJ«, in Griechenland »LOK«, in Luxemburg »Stay-Behind«, in den Niederlanden »I&O«, in Norwegen »ROC«, in Portugal »Aginter«, in der Schweiz »P26«, in der Türkei »Counter-Guerrilla« und in Österreich »OWSGV«.34
NATO, das weltweit größte Militärbündnis, reagierte durch die Herausgabe von zwei sich widersprechenden Kommentaren mit Verwirrung auf die Enthüllungen des geheimen Netzwerks. Am 5. November 1990, nach fast einem Monat des Schweigens, bestritt die NATO kategorisch Andreottis Behauptung in Bezug auf die NATO-Beteiligung an der Operation Gladio und den Geheimarmeen. Der leitende NATO-Sprecher Jean Marcotta sagte im SHAPE-Hauptquartier in Mons (Belgien), daß »die NATO niemals [einen] Guerillakrieg oder verdeckte Operationen in Erwägung gezogen hat; sie hat sich immer nur mit militärischen Angelegenheiten und der Verteidigung der alliierten Grenzen beschäftigt.«35 Am 6. November erklärte ein anderer NATO-Sprecher jedoch, daß das Dementi der NATO vom Vortag falsch war. Diesmal ließ die NATO die Journalisten lediglich mit einem kurzen Kommuniqué zurück, welches besagte, daß die NATO niemals Angelegenheiten der militärischen Geheimhaltung kommentiert und daß Marcotta überhaupt nichts hätte sagen dürfen.36 Die internationale Presse protestierte gegen die schlecht durchdachte Politik der Öffentlichkeitsarbeit des Militärbündnisses, wobei eine britischen Zeitung schrieb: »Als auf dem ganzen Kontinent Schock auf Schock folgte, dementierte ein NATO-Sprecher: nichts war über Gladio oder »Stay-behind« bekannt. Dann verkündete ein Kommuniqué, das aus sieben Worten bestand, daß das Dementi ›unzutreffend‹ war und weiter nichts.«37
Um die Position der NATO aufzuklären, rief ich das Sicherheitsamt der NATO an, wo Isabelle Jacobs mir mitteilte, daß es unwahrscheinlich ist, daß ich irgendwelche Antworten bezüglich heikler Fragen zu Gladio erhalten würde, und riet mir, solche Fragen in schriftlicher Form über meine Botschaft einzureichen. Und so leitete die Schweizer Mission bei der NATO in Brüssel meine Fragen zu Gladio an die NATO weiter, einschließlich der folgenden Frage: »Warum hat der leitende NATO-Sprecher Jean Marcotta am Montag, den 5. November 1990 jegliche Verbindungen zwischen der NATO und Gladio kategorisch abgestritten, woraufhin am 7. November ein anderer NATO-Sprecher erklären mußte, daß Marcottas Aussage zwei Tage zuvor unzutreffend war?« Im Mai 2001 antwortete Lee McClenny, der Leiter des NATO-Presse- und Mediendienstes, mit einem pauschalen Dementi: »Ich habe keinerlei Kenntnis von einem Zusammenhang zwischen der NATO und ›Operation Gladio‹. Desweiteren kann ich keinen Eintrag finden, daß jemand namens Jean Marcotta jemals NATO-Sprecher war.«38
Hinter den Kulissen war die NATO jedoch gezwungen, bezüglich der heiklen Gladio-Affäre offener zu kommunizieren, wie weitere Quellen aufdeckten. Im Anschluß an das Debakel in der Öffentlichkeitsarbeit informierte NATO-Generalsekretär Manfred Wörner die NATO-Botschafter am 7. November 1990 hinter verschlossenen Türen über »Stay-behind«. Ein Bericht in der spanischen Presse kommentierte diese Unterrichtung folgendermaßen:
Laut den Enthüllungen zu Gladio durch Generalsekretär Manfred Wörner bei einer Zusammenkunft mit den NATO-Botschaftern der 16 alliierten Nationen koordinierte das Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE), das leitende Organ des militärischen Apparats der NATO, die Gladio-Aktionen.
Dieser Bericht fügte hinzu, daß »Wörner angeblich um Zeit gebeten hätte, um in Bezug auf die ›keinerlei Kenntnis‹-Aussage eine Untersuchung durchzuführen, welche die NATO am Vortag gemacht hatte.« Diese Präzisierungen wurden vor dem Atlantic Council-Treffen auf Botschafterebene präsentiert, das laut einigen Quellen am 7. November abgehalten wurde.«39
NATO-Generalsekretär Manfred Wörner war selbst, fuhr dieser Bericht fort, vom ranghöchsten Offizier der NATO in Europa, US-General John Galvin, dem amtierende SACEUR (Supreme Allied Commander Europe) informiert worden.
Während dieses Treffens hinter verschlossenen Türen berichtete der NATO-Generalsekretär, daß die befragten Militärs – General John Galvin, Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte in Europa, um genau zu sein – angegeben hatte, daß SHAPE die Gladio-Operationen koordinierte. Von da an war die offizielle Position der NATO, daß sie keine offiziellen Geheimsachen kommentieren würde.40
Die NATO kommentierte niemals öffentlich die Strategie der Spannung, ob Personal oder Planungen der NATO beteiligt waren, noch bot sie irgendwelche weiteren Details zu den geheimen Armeen. »Da es sich um eine geheime Organisation handelt, würde ich nicht erwarten, daß allzuviele Fragen beantwortet werden, trotz der Tatsache, daß der Kalte Krieg vorbei ist«, erörterte ein NATO-Diplomat, der auf Anonymität bestand, vor der Presse. »Wenn es irgendwelche Verbindungen zu Terrororganisationen gäbe, wären diese Art von Informationen in der Tat sehr tief vergraben. Wenn nicht, was wäre dann falsch an Vorkehrungen, um Widerstand zu organisieren, falls man zu der Auffassung gelangt, die Sowjets könnten angreifen?«41
Das Parlament der Europäischen Union war nicht darüber begeistert, daß die NATO eine Kommentierung ablehnte und gab in einem Sonderbeschluß zu den Geheimarmeen und der Strategie der Spannung eine scharfe Erklärung heraus, daß »diese Organisationen vollständig außerhalb des Gesetzes operierten und weiterhin operieren, da sie nicht Gegenstand irgendeiner parlamentarischen Kontrolle sind.« Das Parlament forderte daraufhin »eine umfassende Untersuchung der Art, Struktur, Ziele und aller weiteren Aspekte dieser geheimen Organisationen.« Eine solche Untersuchung wurde jedoch niemals durchgeführt, weil sowohl die NATO als auch ihre Mitgliedsstaaten über eine Reihe von Problemen besorgt waren, die eine solche Untersuchung hervorbringen könnte. Doch das EU-Parlament machte deutlich, daß es »heftig gegen die Anmaßung bestimmter US-Militärs bei SHAPE und in der NATO protestiert, sich das Recht herauszunehmen, die Errichtung eines verdeckten Geheimdienst- und Operationsnetzwerks in Europa zu fördern.« Und dabei blieb die Sache auch.42
Frankreich
Italien war, wie ich erwähnt habe, nicht das einzige Land, in dem »Stay-behind«-Netzwerke an Operationen in Zuge der Strategie der Spannung beteiligt waren. Terror-Operationen gegen die einheimische Bevölkerung fanden auch in Belgien, der Türkei und Griechenland statt. Wie in Italien wurden die geheimen Armeen von der CIA und seinem britischen Pendant, dem MI6, ausgebildet und ausgerüstet und als streng geheimer Zweig des nationalen Militärgeheimdienstes betrieben. Die Einzelheiten der Operationen in diesen drei Ländern werden in meinem Buch NATO-Geheimarmeen in Europa aufgeführt.43 In dem vorliegenden Aufsatz habe ich etwas Platz gelassen, um lediglich eine kurze Erörterungen der Aktivitäten in Frankreich darzulegen.
Die Enthüllungen des italienischen Ministerpräsidenten Andreotti überraschten den Sozialisten François Mitterrand, Frankreichs Präsident von 1981 bis 1995, völlig. Als Mitterrand im Jahre 1990 von der französischen Presse befragt wurde, versuchte er, sich von der französischen Geheimarmee zu distanzieren und behauptete, diese hätte schon vor langer Zeit ihre Tätigkeit eingestellt. Er sagte: »Als ich ins Amt kam, hatte ich nicht mehr viel übrig, was es aufzulösen gab. Es blieben nur wenige Überreste, von deren Existenz ich mit einiger Verwunderung erfuhr, weil sie bei allen in Vergessenheit geraten waren.«44
Der italienische Ministerpräsident Andreotti schätzte jedoch nicht die Art, mit der die ›Grande Nation‹ versuchte, ihre Rolle bei der »Stay-behind«-Verschwörung zu verharmlosen. Er erklärte der Presse gnadenlos, daß die französische Geheimarmee keineswegs vor langer Zeit aufgelöst worden war, und erst vor kurzem – am 24. Oktober 1990 – Vertreter zu einem geheimen Treffen des »Stay-behind«-Rates des Allied Clandestine Committee (ACC) der NATO nach Brüssel geschickt hatte. Als diese Behauptung bestätigt wurde, brachte dies Paris in erhebliche Verlegenheit. Mitterrand lehnte jeden weiteren Kommentar ab.
Edward Barnes, CIA-Offizier im Ruhestand, der während der Vierten Französischen Republik für die CIA in Frankreich gearbeitet hatte, bevor er im Jahre 1956 das Land verließ, war bereit, einige Informationen liefern. Da die Angst vor den starken französischen Kommunisten anhielt, erklärte Barnes, stellte der französische Militärgeheimdienst SDECE (Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionnage) unter Henri Alexis Ribière eine geheime, antikommunistische Armee auf. »Es gab wahrscheinlich eine Menge Franzosen, die bereit sein wollten, für den Fall, daß etwas passieren sollte«, argumentierte Barnes. Unter Hinweis auf seine eigene Arbeit in Frankreich, sagte er, daß das Hauptmotiv der französischen Geheimarmee eine sowjetische Besatzung war, während das Fördern von antikommunistischen politischen Tätigkeiten in dem Land »eine untergeordnete Rolle besessen haben mag.«45
Terroraktionen in Algerien
In den frühen 1960er Jahren begannen große Teile des französischen Militärs und der Geheimdienste Präsident Charles de Gaulles Absicht stark zu mißbilligen, die ehemalige Kolonie Algerien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Die Geheimarmee, die de Gaulles Regierung als Feind wahrnahm, beteiligte sich offenkundig an Operationen im Zuge der Strategie der Spannung gegen sie. Einige »Terroraktionen« gegen de Gaulle und seinen algerischen Friedensplan wurden von Gruppen durchgeführt, die »eine begrenzte Anzahl von Personen« aus dem französischen »Stay-behind«-Netzwerk beinhaltete, gab Admiral Pierre Lacoste, der ehemalige Direktor des französischen Militärgeheimdienstes (DGSE, früher unter dem Namen SDECE) im Jahre 1990 zu. Lacoste, der 1985 zurücktrat, nachdem die DGSE das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior gesprengt hatte, während es gegen französische Atomtests im Pazifik protestierte, argumentierte, daß trotz seiner Verbindungen zum Terrorismus Frankreichs »Stay-behind«-Programm durch die Notfallpläne für eine sowjetische Invasion gerechtfertigt war.46
Ein Offizier, der in dieser Zeit Terror im Rahmen der Strategie der Spannung förderte, war Yves Guerin-Serac, ein katholischer militanter Antikommunist. Als Spezialist für verdeckte Kriegsführung hatte er in Korea, Vietnam und (als Mitglied der französischen 11. Demi-Brigade Parachutiste du Choc) im Algerien-Krieg gedient. Roger Faligot, ein auf Fragen des französischen Geheimdienstes spezialisierter Autor, nannte diese Einheit »den eisernen Speer des verdeckten Krieges in Algerien von 1954 bis 1962.«47 Bis zum Jahre 1954 waren 300 Männer dieser Spezialeinheit in Algerien eingetroffen. Die meisten von ihnen besaßen umfangreiche Erfahrung in verdeckten Aktionen und Guerilla-Bekämpfung, und kamen direkt nach der Niederlage Frankreichs in der Schlacht von Dien Bien Phu – die Frankreich zum Verzicht auf seinen Versuch brachte, dieses Land erneut zu kolonialisieren – aus Vietnam. Die Mission von Serac und seinen Kollegen war völlig klar: nach Frankreichs demütigenden Niederlagen im Zweiten Weltkrieg und in Vietnam die algerische Befreiungsfront (FLN) in Nordafrika mit allen Mitteln zu besiegen. Diese Bemühungen schlossen Operationen im Zuge der Strategie der Spannung ein, die entworfen wurden, um die algerische Befreiungsbewegung zu diskreditieren.
Nach der Niederlage der Franzosen und Algeriens Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1962 war der verdeckte Krieg für Guerin-Serac, der sich gemeinsam mit weiteren Offizieren von der französischen Regierung verraten fühlte, nicht zu Ende, und er beschloß, seinen verdeckten Krieg fortzusetzen. Serac wußte genau, wie eine Strategie der Spannung-Operation durchgeführt werden mußte, um die Kommunisten und die Mitglieder der Befreiungsbewegungen in der ganzen Welt zu diskreditieren. In einen Text von November 1969 mit dem Titel »Unser politisches Handeln« betonten Serac und weitere Offiziere, daß sie den Feind infiltrieren müßten, um dann Gräueltaten in dessen Namen auszuführen. Sie schrieben:
Unsere Überzeugung ist, daß es die erste Phase des politischen Handelns sein muß, die Bedingungen zu schaffen, die das Verbreiten von Chaos in allen Strukturen des Regimes begünstigen. … Aus unserer Sicht ist der erste Schritt, den wir machen sollten, die Struktur des demokratischen Staates zu zerstören – unter dem Deckmantel von kommunistischen und prochinesischen Aktivitäten – zu zerstören. Darüber hinaus haben wir Leute, die diese Gruppen infiltriert haben und natürlich werden wir unsere Maßnahmen dem Ethos des Milieus anpassen – Propaganda und Aktionen einer Art und Weise, die von unserem kommunistischen Widersacher entsprungen zu sein scheinen. … Dies wird ein Gefühl der Feindseligkeit gegenüber denjenigen erzeugen, die den Frieden eines jeden Landes bedrohen, und gleichzeitig müssen wir uns als Verteidiger der Bürgerschaft gegen den Zerfall emporheben, der durch Terrorismus und Subversion hervorgebracht wird.48
Der italienische Richter Guido Salvini, der die Strategie der Spannung untersucht hatte, stellte fest, daß Serac tatsächlich die dunklen Pläne der Strategie der Spannung durchgeführt hatte. Er schrieb:
1975 organisierte die Gruppe von Guerin-Serac – zusammen mit dem Amerikaner Salby und militanten französischen, italienischen und spanischen Rechten – eine Reihe von Bombenanschlägen. … Die Bomben wurden an algerischen Botschaften in vier verschiedenen Ländern, Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien platziert. In Wirklichkeit wurden die Bombenanschläge von der Guerin-Serac-Gruppe durchgeführt, die damit ihre großen Fähigkeiten der Tarnung und Infiltration demonstrierte. … Die Bombe vor der algerischen Botschaft in Frankfurt ging nicht in die Luft und wurde von der deutschen Polizei akribisch analysiert. … Es ist daher wichtig, die komplexe Herstellung der Bombe zu beachten. Sie enthielt C4, einen Sprengstoff, der ausschließlich von US-Streitkräften verwendet wird, und niemals zuvor bei einem der anarchistischen Bombenanschlägen verwendet worden war.49
Diese Aussagen von und über Guerin-Sarac bieten unbestreitbare Beweise für die Tatsache, daß geheime Armeen in Westeuropa an terroristischen Morden an unschuldigen Zivilisten zur Erreichung politischer Ziele beteiligt waren. Diese geheimen Armeen wurden, wie wir gesehen haben, unter Anleitung von CIA und NATO betrieben – und somit durch amerikanische Geheimdienste und Militärs. Ich wende mich nun der Frage der Operationen in Rahmen der Strategie der Spannung in den Vereinigten Staaten selbst zu.
Die Vereinigten Staaten
In den Vereinigten Staaten wurde die Strategie der Spannung in den frühen 1960er Jahren prominent vom ranghöchsten Offizier im Pentagon – General Lyman Lemnitzer, Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff (Vereinigte Stabschefs) – als ein Vorwand befürwortet, um die US-Öffentlichkeit von der Notwendigkeit zu überzeugen, Kuba zu erobern und Castro zu stürzen. Lemnitzer, der 1988 starb, war einer der leitenden Offiziere, die entsandt wurden, um die italienische Kapitulation im Jahre 1943 und die deutsche Kapitulation im Jahr 1945 zu verhandeln. Nachdem er in Korea gekämpft hatte, wurde er im Jahre 1960 Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs. Im Anschluß an die gescheiterte CIA-Invasion in der Schweinebucht im Jahre 1961 argumentierten führenden Generäle im Pentagon, einschließlich Lemnitzer, daß Techniken im Rahmen der Strategie der Spannung gegen die US-Bevölkerung angewandt werden sollten, um einen Vorwand für den Krieg zu schaffen. Unter dem Namen »Operation Northwoods« entwickelten sie eine Reihe von kombinierten Operationen im Zuge der Strategie der Spannung, die dafür entwickelt wurden, die US-Öffentlichkeit in Schock zu versetzen und Castro zu diskreditieren.
Zu dieser Zeit widersetzten sich Präsident John F. Kennedy und sein Verteidigungsminister, Robert McNamara, solchen Operationen, die die Ermordung von US-Bürgern einschlossen und eine groß angelegte Manipulation der amerikanischen Bevölkerung beinhaltete. Lemnitzers Plan wurde dementsprechend nicht ausgeführt.50
Wie bei den meisten Operationen der Strategie der Spannung vergingen viele Jahre, bevor die Öffentlichkeit von der Operation Northwoods erfuhr. Dank des ausgezeichneten US-Ermittlers James Bamford gelangten die ursprünglich streng geheimen Dokumente der Operation Northwoods im April 2001 – wenige Monate vor den Terroranschlägen des 11. September – als Bamford sein Buch Body of Secrets: An Anatomy of the Ultra Secret National Security Agency veröffentlichte, an die Öffentlichkeit. Dies war 40 Jahre, nachdem die Northwoods-Pläne innerhalb des Pentagons als »streng geheim« gestempelt worden waren. Die Originaldokumente sind heutzutage online verfügbar.51
Die Dokumente der Operation Northwoods beschrieben genau, wie das Pentagon Operationen im Zuge der Strategie der Spannung plante. Neben anderen Aktionen schlugen die US-Beamten die Entfaltung einer gefälschten »kommunistischen, kubanischen Terrorkampagne in der Gegend von Miami, in anderen Städten Floridas und sogar in Washington«, das Vortäuschen eines Angriffs durch die kubanische Luftwaffe auf ein ziviles Passagierflugzeug, das »Versenken einer Schiffsladung von kubanischen Flüchtlingen (real oder simuliert)«, und das Aushecken eines »Remember the Maine«-Zwischenfalls durch Sprengen eines amerikanischen Schiffes in kubanischen Gewässern vor, um dann die Schuld an dem Vorfall auf kubanische Sabotage zu schieben.
Spätestens seitdem Bamford die Dokumente der Operation Northwoods veröffentlichte, haben sich diejenigen, die sich für die Strategie der Spannung interessieren, gefragt, wie weit bestimmte radikale Gruppen innerhalb des Pentagons zu gehen bereit sind und welche Chancen die US-Bevölkerung und anderen Nationen haben, solche Pläne zu entdecken und zu stoppen. Bamford fragte sich, ob die Operation Northwoods der korrupteste Plan war, der jemals von der US-Regierung aufgestellt wurde oder ob der Tonkin-Zwischenfall von 1964 – der Vorfall, der Amerikas ausgewachsenen Krieg in Vietnam provozierte und zum Tod von 56.000 US-Soldaten und 3 Millionen Vietnamesen führte – eine typische Strategie der Spannung-Operation war, die durch das Pentagon geplant und ausgeführt wurde. »In Anbetracht der Dokumente der Operation Northwoods« kam Bamford zu der Schlußfolgerung, daß »es klar ist, daß die Täuschung der Öffentlichkeit und das Aushecken von Kriegen, damit Amerikaner darin kämpfen und sterben, standardisierte und in den höchsten Ebenen des Pentagons bewährte Politik waren.«52
Schlußfolgerung
Die beiden Hauptargumente gegen die Ansicht, daß die Anschläge des 11. September von der US-Regierung und ihrem Militär beeinflußt wurden, entweder in einem LIHOP- oder einem MIHOP-Szenario, waren a-priori-Argumente. Eines davon ist, daß zivilisierte westliche Regierungen im allgemeinen und die US-Regierung im speziellen niemals eine solch abscheuliche Sache tun würden. Das andere wichtige a-priori-Argument ist, daß, wenn die Anschläge des 11. September von Kräften innerhalb Amerikas eigener Regierung durchgeführt wurden, diese Tatsache nicht für lange Zeit geheim gehalten werden könnte. Die Informationen in diesem Kapitel zeigen, daß diese beiden Argumente bestenfalls zweifelhaft sind.
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Aus dem per ÖVP-Amtsmissbräuche offenkundig verfassungswidrig agrar-ausgeraubten Tirol, vom friedlichen Widerstand, Klaus Schreiner
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“Wer behauptet, man braucht keine Privatsphäre, weil man nichts zu verbergen hat, kann gleich sagen man braucht keine Redefreiheit weil man nichts zu sagen hat.“ Edward Snowden
PDF-Downloadmöglichkeit eines wichtigen sehr informativen Artikels über den amerikanischen Militärisch-industriellen-parlamentarischen-Medien Komplex – ein Handout für Interessierte Menschen, die um die wirtschaftlichen, militärischen, geopolitischen, geheimdienstlichen, politischen Zusammenhänge der US-Kriegsführungen samt US-Kriegspropaganda mehr Bescheid wissen wollen : Ursachen und Hauptantriebskräfte der US Kriege und Flüchtlinge der amerik. MIK (… auf Unterstrichenes drauf klicken 🙂 )
Hier noch eine kurzes Video zur Erklärung der Grafik Gewaltspirale der US-Kriege
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